Graffitibesprühte Container, Happy-Hour – Gäste in Schanigärten, Co-Working-Spaces, ein Riesenrad zwischen Baustellen und Hochhäusern. Das Werksviertel ist ein einmaliger Ort in München. Urban, ein bisschen wild, und vor allem nachts kann man sich leicht verlaufen zwischen den Häusern. Gerade gastiert der Circus Roncalli hier, genau auf dem Gelände, wo das Konzerthaus stehen soll. Warum das so lange dauert, versteht Dirigent Sir Simon Rattle, seit Mitte September im Dienst des BRSO, des Symphonieorchesters des BR, als Außenstehender nicht. "Es ist sehr seltsam, all diese Möglichkeiten und alle Vereinbarungen zu haben und zu sehen, dass nichts passiert", sagt der Maestro. Das sei nicht das Bild, das man sonst von München habe, "das wir uns als eine unglaublich starke Kunststadt vorstellen, die auch in die Zukunft blickt. Es ist schon eine etwas rätselhafte Situation."
Konzerthaus in den neuen Koalitionsvertrag
Georg Randlkofer, Vorsitzender der Stiftung Neues Konzerthaus München, bekräftigt, das Konzerthaus München müsse in den neuen Koalitionsvertrag der regierenden Parteien, so wie es auch im alten stand. Zu einer zukunftsfähigen Kulturpolitik gehört in seinen Augen "so ein Haus, das weit hinausstrahlt in die Welt".
Derzeit wird das Ministerium für Wissenschaft und Kunst dazu keine Stellung nehmen, wie es auf BR-Anfrage mitteilte. Aktuell gebe es keinen neuen Stand, die Planungen liefen weiter. Die Stiftung hat bereits vier Millionen Euro gesammelt, man könnte mehr sammeln, brauche aber Klarheit. Söders eineinhalbjährige Denkpause habe man genutzt, die Planungen sind abgeschlossen, so Randlkofer: "Man hat jetzt ein fertiges Konzept und hat berechnete Kosten, das liegt vor. Es ist alles im Detail geplant, bis zu den Bodenbelägen. Also man kann anfangen, wir müssen jetzt die Staatsregierung auffordern, zu handeln."
Stätte für Proben, Begegnungen und digitale Vermittlung
Der Freistaat hat einen Vertrag mit dem Werksviertel mit einer Bauverpflichtung. Genaue Kosten gibt es noch nicht. Zuletzt gab es Schätzungen, dass das Leuchtturmprojekt eine Milliarde Euro kosten könnte. Dafür könne es auch einiges, sagen die Befürworter: Begegnungsraum sein; Kneipen, Cafés, Proberäume. Alle Konzerte können gestreamt werden, weltweit, immer. Sogar digitalen Musikunterricht soll es geben, erklärt Anna Kleeblatt aus dem Vorstand der Stiftung.
Kleeblatt ist begeistert von der Vision, dass wenn in Hof oder in Würzburg eine Unterrichtsstunde Musik ausfalle, sich dann eine Schulklasse digital ins Konzerthaus schalten könne, wo ein Musikpädagoge eine Stunde tollen Musikunterricht halten würde. "Und das alles wird in diesem Konzerthaus möglich sein. Unter anderem auch, weil die Hochschule für Musik und Theater hier einen eigenen Studiengang unterbringen soll, der sich mit dem Thema Vermittlung befasst."
Neue Heimat für Klangkörper
Alle Klangkörper, die derzeit keine Heimat haben, könnten hier spielen und das Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks sowieso. Marije Grevnik spielt dort in der Ersten Violine. Sie sagt, ein Haus sei wie ein Instrument: "Wir sitzen im Saal. Der Saal klingt. Wir kriegen ein Feedback vom Klang und können das entwickeln". Und sie entwickelten sich auch als Orchester für das Publikum, für die Leute in Bayern. Und das heißt, dass sie im Neuen Konzerthaus Projekte machen könnten, die für alle offen sind – was sie jetzt nicht machen könnten.
Das Leuchtturmprojekt war vor der Wahl auch von CSU und den Freien Wählern, aber auch von den Grünen und der FDP befürwortet worden. Auf der anderen Seite hat Bayern viele millionen-teure Kulturbaustellen. Das Staatstheater Augsburg, das nicht fertig wird. Das Mainfranken-Theater in Würzburg, das bis dato mehrmals die Eröffnung verschieben musste, die Neue Pinakothek in München, Wiedereröffnung vielleicht 2029. Andererseits wäre die Klassik im Werkviertel, zwischen Jugendkultur, Bahnhof, Hotels und Wohnungen, etwas, was genau passt: "Diese Musik ist für alle da und es ist unsere Mission, sie zu allen zu bringen", sagt Sir Simon Rattle.
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