Szene aus Nicolas Stemanns "Orestie" bei den Salzburger Festspielen
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Szene aus Nicolas Stemanns "Orestie" bei den Salzburger Festspielen

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Theatralisches Trockenbrot: Nicolas Stemanns "Orestie"

Für die Salzburger Festspiele hat Regisseur Nicolas Stemann die "Orestie" sprachlich modernisiert, sich bei der Handlung aber an die Chronologie der Sage gehalten. Entstanden ist eine Art Theater-Mini-Serie von knapp vier Stunden Gesamtspieldauer.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Die Bühnenrückwand zeigt Krieg. Dort hängen Fotos von Kampfjets, Panzern und vor allem: Häuserruinen. Ausgebombte Gebäude, wie wir sie von den Nachrichtenbildern aus Aleppo, Mariupol oder Gaza kennen. Troja dürfte, nachdem es von den Griechen besiegt wurde, einen ähnlich trostlosen Anblick geboten haben.

Das Ende eines Krieges bedeutet nicht notwendig den Anfang von Frieden. Die "Orestie" erzählt von einem Strudel der Gewalt, der sich schier endlos weiterdreht. Agamemnon, der siegreich heimgekehrte Feldherr der Griechen, wird von seiner Frau Klytaimnestra erschlagen – aus Rache, weil er einst auf dem Weg nach Troja Tochter Iphigenie den Göttern opferte. Sohn Orest wiederum rächt den Mord am Vater und tötet die Mutter.

Die fatale Logik von Schlag und Gegenschlag

"Mord schreit nach Mord schreit nach Mord", heißt es einmal in einem von einer Live-Band begleiteten, chorisch vorgetragenen Song. Es ist diese fatale Logik von Schlag und Gegenschlag – derzeit beispielsweise wieder in besonders verheerender Ausprägung zu beobachten im Nahostkonflikt – die Nicolas Stemanns in seiner "Orestie" durchaus eindrücklich herausarbeitet. Und doch ist seine Inszenierung kein ungebrochenes Plädoyer für Pazifismus.

Stemann weiß: Es lässt sich leicht zum Gewaltverzicht aufrufen und ist auch etwas wohlfeil, wenn man in einem Teil der Welt lebt, in dem der Friede noch der Normalzustand ist. Und überdies: Kann man Aggressoren so einfach ungeschoren davonkommen lassen? Kann man das wirklich wollen, dass am Ende das Recht des Stärkeren obsiegt? Oder muss man nicht doch zurückschlagen oder sich zumindest zur Wehr setzen?

Nicolas Stemann wirft wichtige Fragen auf. Inhaltlich ist seine Inszenierung klug durchdacht, als Theatererlebnis allerdings streckenweise eher spröde. Die Spielfläche ist eine Art Bühnenlabor, bestückt mit schmucklosen Arbeitstischen, Bürorollhockern und Monitoren. Auch ein Teil der technischen Mannschaft ist, an Laptops sitzend, sichtbar präsent. Stemann untersucht das Stück mehr, als dass er es spielen lässt.

Vierstündiges Bühnen-Binge-Watching

Das fünfköpfige Ensemble schlüpft in wechselnde Rollen, probiert Figuren aus, legt sie wieder ab. Eine Spielweise, die in früheren Stemann-Inszenierungen oft eine ganz eigene Dynamik entwickelt hat, hier aber wirkt sie seltsam schwerfällig. Der Abend will – trotz markanter, mitunter markiger Musik und aufwendigem Videoeinsatz – nicht recht in die Gänge kommen, und als er allmählich doch Fahrt aufnimmt, bremst eine zähe Gerichtszene ihn wieder aus.

Am Ende dieser Gerichtsverhandlung ist das Publikum aufgefordert abzustimmen, ob Orest begnadigt und der Teufelskreis der Vergeltung durchbrochen werden soll, oder nicht. Bei der Premiere endet die Abstimmung mit Freispruch. Dieser Mitmachmoment wirkt belebend, doch im Ganzen tischt Stemann zu viel theatralisches Trockenbrot auf. Das macht es mühsam, beim knapp vierstündigen Bühnen-Binge-Watching bei der Stange zu bleiben.

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