Auf dem Pooldeck der Orizzonte feiern die Passagiere des Luxusliners ausgelassen, als nur wenige Meilen weiter auf dem Mittelmeer ein Boot mit 109 Geflüchteten kentert. Die Orizzonte sendet Rettungsboote aus, sie ist nach internationalem Seerecht verpflichtet, Menschen in Seenot zu helfen. 28 Geflüchtete überleben das Unglück und werden an Bord geholt. Sie stehen unter Schock, sind dehydriert und von Narben übersät. Die Schiffsärztin vermutet Folter, die Flüchtenden zu untersuchen, würde einer Autopsie an lebendigen Körpern gleichen.
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An Bord unsichtbar gemacht
Die Geflüchteten werden in der untersten Klasse in Kabinen untergebracht und versorgt, sollen aber, genau wie die vielen, namenlosen Filipinos in den Küchen und im Maschinenraum des Kreuzers auf keinen Fall von den wohlhabenden Passagieren gesehen werden.
Zunächst ist die Ordnung an Bord gewahrt, nur stellt sich für Kapitän Arrigo und seine Staff-Kapitänin Edith natürlich die Frage: Was jetzt? Und vor allem: Wohin? Nach Libyen, wie es die italienische Regierung fordert? Edith fürchtet um die Sicherheit an Bord. In Tripolis droht den Geflüchteten Folter. Sie plädiert dafür, diese nicht nach Libyen zurückzubringen, da eine Landung dort die Sicherheit des Kreuzfahrtschiffs gefährde.
Das Kreuzfahrtschiff: Sinnbild für die Festung Europa
Und natürlich lassen sich die 28 Personen nicht einfach so im Bauch des Schiffes einsperren. Auf kleinstem Raum kollidieren Welten. Das Kreuzfahrtschiff als Sinnbild für die Festung Europa ist sehr effektiv: Ein Ort, der für Konsum und Überfluss steht – an dem aber trotzdem nicht genug Platz für ein paar Hilfesuchende sein soll. Der Blick auf die Passagiere ist entsprechend zynisch: die, die scheinbar alles haben, helfen nur aus eigennützigen Motiven. Um durch die Tragik anderer Lebensfreude zu spüren, aber auch, um begehrt zu werden und weniger einsam zu sein.
Ihre Freiheit ist eine Ware, die die Geflüchteten mit ihrer Not erkaufen müssen, seit sie sich von zu Hause aufgemacht haben. Das Geschäft mit der Freiheit ist profitabel und grausam: Sie wurden verschleppt, gefoltert, ihre Familien erpresst, mussten sich durch Zwangsprostitution freikaufen oder werden sich in der Wüste selbst überlassen. Diese Hintergrundgeschichten, verpackt in eindrückliche Rückblenden, sind fiktionalisiert, aber nicht erfunden. Sie basieren auf Fabrizio Gattis investigativem Reisebericht "Bilal", der 2009 als Buch erschien: Dafür begleitete Gatti Migranten aus Westafrika auf der von ihm benannten Sklavenroute durch die Sahara nach Europa.
Geflüchteten-Geschichten zur Unterhaltung
Anders als dem Sachbuch gelingt es der Serie nur bedingt, die Geflüchteten als komplexe Individuen zu zeigen. In der Serie werden sie, wie auch das Schiff selbst, zu Stellvertretern mit narrativer Funktion. Unterstrichen wird das auch von der Bedeutung ihrer Namen: Ibrahim, der Weise, Marem, die Lichtbringerin, Elvis, der edle Freund – stehen gegenüber dem Arbeiter Jürgen, der kinderliebenden Diletta und der Kämpferin Edith.
Ihre Funktion ist es, das Publikum aufzurütteln, so wie die Passagiere an Bord. Das wird besonders an einer Szene deutlich: Damit sich Flüchtlinge und Passagiere kennenlernen können, sollen die Passagiere die oft sehr traumatischen und tragischen Fluchtgeschichten der Geflüchteten auf der Bühne vorlesen. Ein absolut erschütternder Moment, der das Publikum vor dem Bildschirm mit dem eigenen Verhalten konfrontiert.
"Unwanted" hinterlässt darum ein fahles Gefühl. Obwohl es so wichtig und richtig ist, die vielen, oft ambivalenten Geschichten von Geflüchteten zu erzählen: In diesen acht Folgen dienen sie wieder vor allem unserer Unterhaltung.
"Unwanted" startet am 3. November im Programm von Sky und beim Streamingdienst WOW.
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