Ein zotteliges Wollmonster scheint sich aus der Wand zu lösen und die Gäste zu begrüßen. Die Haare lang und fransig, die Farben von hellem Beige bis zu tiefbraun. Es ist nicht das einzige seiner Art, eine ganze Reihe von Fantasiewesen bevölkern derzeit das Künstlerhaus Marktoberdorf. Manche sehen aus wie Vögel, andere wie Insekten, Fledermäuse oder Yeti. Immer sind da zwei Augen, manchmal kann man einen Schnabel erkennen, Haifischzähne oder Ohren.
Unbekannte Wesen in dieser Größe könnten durchaus unheimlich wirken – tun sie aber nicht. Das liegt unter anderem an dem Material, das die Künstlerin Caroline Achaintre benutzt: Wolle. "Wolle ist kein neutrales Material, es hat eine Temperatur, man weiß schon beim Betrachten, was es mit einem tut. Ich sehe meine Arbeiten als archaisch und futuristisch zugleich, etwas, das mich auch bei Kunstwerken aus der Vorzeit begeistert", sagt die Künstlerin.
Wolle ist unbedrohlich
Archaisch und futuristisch, fremd und vertraut, figürlich und abstrakt: Achaintres wollene Wolpertinger sind hybride Wesen, weich und nicht bedrohlich, aber auch ein bisschen unheimlich und von einer so starken Präsenz, dass man fast meinen könnte, sie wären lebendig. Übrigens sind diese Wandteppiche nicht geknüpft oder gewebt, sondern getuftet. "Man schießt von hinten durch", erklärt Caroline Achaintre, "man darf sich das aber nicht vorstellen wie eine Harpune, nicht ganz so aufregend. Es sieht aus wie eine Bohrmaschine und man drückt diese Maschine in die Leinwand rein und die Wolle wird mit Druck durchgeschossen und auch automatisch abgeschnitten, und man kann die Florlängen auch unterschiedlich einstellen, sodass ein Reliefcharakter entsteht."
"Malen mit Wolle" nennt Caroline Achaintre den Vorgang. Oft lässt sie die Fäden als lange Fransen hängen oder mischt unterschiedliche Wollsorten: Fluffiger Mohair wirkt wie moosiges Yak-Fell, ordentlich und gerade gespannte Fäden erinnern an Gardinen. Direktorin Maya Heckelmann findet vor allem die Kombination ist aus high und low interessant, "also die kunsthistorische Auseinandersetzung, das expressionistische Formengut, das für sie ganz wichtig ist und andererseits Punk und Heavy Metal, also wirklich dieses high und low der Kultur, sie geht da ganz frei mit um hat und ihre eigene Bildsprache gefunden."
Weiche Kuschelmonster und kalte glatte Tonkreaturen
Die Arbeit mit Gegensätzen fasziniert die Künstlerin ganz offensichtlich. Außer mit Wolle arbeitet Caroline Achaintre auch mit Keramik – einem vollkommen anderen Material. Ton ist kalt und glitschig, wird plastisch aufgebaut, die Farbe kommt erst in einem zweiten Schritt mit der Glasur hinzu. "Ich arbeite mit Tonplatten, die ich als Hohlkörper forme und brenne, und dieses Spielerische am Ton und auch die Darstellungsmöglichkeit des Weichen, was dann letztendlich eingefroren wird, diese Vermischung der Aggregatzustände finde ich spannend."
Auch Achaintres Tonarbeiten zeigen hybride Wesen: Gesichter mit herzigen Knubbelnasen, Schweinsäuglein und Knickohren, dazu eine Oberfläche, die an Reptilienhaut oder Schuppen erinnert. Alles in allem fantastische Figuren, die man so noch nie gesehen hat, und für die das Gleiche gilt wie für die Wollmonster: Selten sieht man Objekte, die so lebendig wirken und so interessant, dass man sie als innere Gefährten gern mit nach Hause nimmt.
Caroline Achaintre: "Shapeshifter": Bis 25. Mai im Künstlerhaus Marktoberdorf.
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