Da steht sie, eine Frau in der Landschaft, gemalt vom Münchner Jugendstil-Architekten Richard Riemerschmid (1886–1957). Sie steht etwas oberhalb einer sommerlichen Wiesen- und Sumpflandschaft. Vor ihr hohes Gras, dessen Grün in der Hitze schon etwas an Farbkraft verloren hat. Entschieden, aufrecht stehend, wendet sich die Frau vom Betrachter ab, der freien Landschaft zu. Und sie steht da in einem für das Jahr 1895 recht lässigen Outfit: einem schlichten Reformkleid.
Bei der Bildbetrachtung drängt sich der Klimawandel auf
Natürlich sei diese Kleidung auch politisch gewesen, meint Kuratorin Karin Althaus. "Im Korsett laufen Sie vielleicht zehn Minuten und dann sind Sie erschöpft. Dass man sich die Natur selbst erobert, funktioniert nicht in den traditionellen Frauenkleidern des 19. Jahrhunderts." Das Reformkleid: ein Symptom der Emanzipation also.
Aber das ist nicht alles, was das Bild erzählt. Außerdem ist der Frau eine gewisse Distanz zur Natur anzumerken, ein Abstand-Nehmen, Karin Althaus spricht von einer Melancholie, die auch sie als Kuratorin neuerdings verspüre. "Ich kann diese Gemälde und auch Zeichnungen nicht mehr anschauen, wie ich das früher mal gemacht habe, so kunsthistorisch neutral. Ich gucke die ständig an, und denke an den Klimawandel."
Gentrifizierungskritik an der Schwelle zum 19. Jahrhundert
Eine Ausstellung über den Klimawandel ist es trotzdem nicht geworden. Vielmehr eine Reflexion über die Vergänglichkeit in der Natur und in der Kunst. Und wer genau hinschaut, kann sogar einige spannende Anspielungen bei den Malern entdecken, die eigentlich die Aufgabe hatten, ihrem König Ludwig I. die Pracht der bayerischen Landschaft in Öl zu bannen.
Max Wagenbauer (1775–1829) malt abgemagerte Kühe vor dem Starnberger See, neben einem barfüßigen Bauernmädchen und Fischern mit harten Gesichtszügen, während im Hintergrund eine Münchner Bürgerfamilie ihre neue Sommervilla mit Tempelfassade bezieht. Möglich, dass Wagenbauer hier schon früh Gentrifzierungskritik übte.
Ostufer des Starnberger Sees, von Max Wagenbach festgehalten im Jahr 1813
Umweltschutz durch Landschaftsmalerei?
Zeitgenossen aus Frankreich, die sogenannte "Schule von Barbizon", setzte sich ganz bewusst für den Erhalt ihrer Naturmotive ein. Etwa das Idyll des noch intakten Waldes von Fontainebleau bei Paris, dessen Abholzung kurz bevorstand. Mit diesem Wissen liest sich das feurige Glühen der Abendsonne hinter den Baumstämmen, gemalt von Théodore Rousseau (1812–1867), wie eine brandaktuelle Mahnung.
Fast verschwunden und erst nach dem Krieg wiederentdeckt wurden die kleinformatigen Ölstudien im nächsten Raum. "Sehr lange hat man sich für diese Art der Kunst überhaupt nicht interessiert", erklärt Karin Althaus. Gemalt wurden sie sozusagen für den Privatgebrauch, kursierten in Freundeskreises. "Es gab ganz wenige Sammlerinnen, die gesehen haben, was das an Qualität mit sich bringt." Wie Gabriele Münter (1877–1962) die Apfelblüte in Südtirol festhält, mit dicken, pastosen Tupfen, das zeugt etwa von der prallen Sinnlichkeit einer damals noch intakten Natur – ohne die Korsette der heutigen Apfelplantagen.
Gegen Ende dieser klugen, den Blick weitenden Ausstellung finden sich noch weitere Kunstmanifeste gegen die Vergänglichkeit. So versammelt das Lenbachhaus die Wolkenskizzen des Münchner Malers Johann Georg von Dillis (1759–1841), der seine Professur an der Akademie für Landschaftsmalerei aufgab, weil er nicht glaubte, dass sich die Gattung in ein akademisches Schema pressen ließe. Seine schnell gemalten Wolken stehen wie eine Metapher für diesen Freiheitsdrang. Erst in 1980er Jahren hat sich überhaupt wieder jemand dafür interessiert.
Der Starnberger See, in den 1840ern gemalt von Christian Ernst Bernhard Morgenstern
Die Ausstellung "Was zu verschwinden droht, wird Bild" ist ab sofort im Münchner Lenbachhaus zu sehen.
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