Ungehindert verbreiten Vertreter der Taliban Propaganda auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Über 300.000 Follower haben offizielle Twitter Accounts des "Islamic Emirate of Afghanistan". Dort twittern Sprecher als Vertreter des islamischen Emirats Afghanistan in diesen Tagen die Einnahme Kabuls. Auch auf Englisch. Mit Texten, Fotos und Kurzfilmen demonstrieren sie den Twitter-Followern erbeutete Waffen oder die Proklamation des Scharia-Staats.
Für die radikal-islamischen Taliban sei Twitter eine Propagandaplattform, sagt Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London und Direktor des Institute for Religious Freedom and Security in Europe (IFFSE). Dass soziale Plattformen die Botschaften offizieller Taliban Vertreter verbreiten, hält Prof. Neumann für gefährlich: "Damit erlaubt Twitter es den Taliban, sich besonders gegenüber einer westlichen Öffentlichkeit als legitim und moderat darzustellen – unabhängig davon, was im Land selbst passiert."
- Zum Artikel "Machtübernahme in Afghanistan: Wer sind die Taliban 2.0?"
Münchner Imam: Taliban sind frauenfeindlich und antisemitisch
Dass Twitter den mit Terrorgruppen vernetzten Taliban als Propagandaplattform dient, entsetzt Ahmad Schekeb Popal. Der Imam mit afghanischen Wurzeln wurde in München geboren. Nach wie vor pflegt er enge Beziehungen in die Heimat seiner Eltern, ist in der afghanischen Diaspora gut vernetzt. Die letzten Tage habe er die Entwicklungen auch im afghanischen Fernsehen verfolgt, so Popal. Er kennt die Twitter-Profile der Taliban, hat sie sich für BR24 und report München noch einmal näher angesehen. Popal sagt, dass die Islamisten versuchen, sich als weltoffen und fast schon demokratisch darzustellen. Als solche, die etwa keine Frauenrechte beschneiden. Aber Popal kennt ganz andere Geschichten der Taliban. "Bitte bringen Sie meine tiefe Abneigung gegen diese Gruppe zum Ausdruck", sagt er den Reportern. "Die Taliban befürworten Selbstmordanschläge, sind frauenfeindlich, antisemitisch, xenophob und vermitteln ein steinzeitliches Menschenbild."
Manchmal dringen Vorurteile auf Twitter durch. Einer der Taliban-Sprecher erklärt, dass er in den vergangenen Tagen vielen Journalisten Interviews gegeben habe. Vielleicht hätten sich einige Medienvertreter verstellt, aber einem israelischen Medium habe er noch kein Interview gegeben.
Dolmetscher offenbar hingerichtet
Der Münchner Imam Popal sagt, er habe in der Vergangenheit vor den Taliban gewarnt – auch in Vorträgen in afghanischen Medien. "Diese Taliban können nicht das große tolerante Afghanistan repräsentieren", schrieb er erst kürzlich auf Facebook.
Popals Warnung deckt sich durchaus mit Zeugenberichten in den letzten Tagen. Demnach haben die Taliban längst damit begonnen, Frauen aus der Gesellschaft zu verbannen. Ein Dolmetscher der amerikanischen und britischen Streitkräfte soll nach Berichten der australischen NGO Forsaken Fighters hingerichtet worden sein. Es gibt Bilder von Dieben, die mit Teer im Gesicht und Schlinge um den Hals durch die Straßen geführt werden. Zivilisten würden willkürlich getötet, ohne jedes Gerichtsverfahren, Frauen würden wieder ausgepeitscht, vor den Augen der Öffentlichkeit, hieß es kürzlich von der EU-Kommission: "Es gibt eine Eskalation der Gewalt und immer heftigere Angriffe der Taliban auf die Zivilbevölkerung."
Imam fordert: Taliban-Profile löschen
"Aus meiner Sicht sollten die Twitter-Profile der Taliban gesperrt werden", fordert Imam Popal. "Normalerweise bin ich dafür, dass man seine Meinung frei äußern kann. Aber die Taliban stehen für Hass und Diskriminierung. Sie sind auch geistige Brandstifter. Deswegen dürfen Twitter und andere soziale Netzwerke nicht mitspielen."
Auf Twitter seien die Taliban wie ein Wolf im Schafspelz, in dem sie versuchten von sich ein moderates Bild zu vermitteln. Sie hätte in den vergangenen Jahren dazu gelernt, seien sehr intelligent im Umgang mit der Propaganda. "Sie nutzen demokratische Plattformen wie Twitter, um ihr Gift in der ganzen Welt zu verbreiten."
Rechtliche Lage Unterstützung der Taliban in Deutschland
In Deutschland wurden die Taliban als ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 1 StGB eingestuft. Auf Anfrage von report München teilt das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz mit: "Die Beteiligung an den Taliban als Mitglied ist strafbar; als Beteiligungshandlung eines Mitgliedes kann auch das Werben um Sympathie gelten." Es sei auch für Nicht-Mitglieder verboten, diese Vereinigung etwa durch Propaganda zu unterstützen oder für diese Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer zu werben. Strafbar ist das dann, wenn die Handlung im Inland begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat zur strafrechtlichen Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung Taliban eine allgemeine Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 S. 3 StGB erteilt. In der Verbreitung solcher Botschaften könne, so das Ministerium, unter Umständen die Gefahr liegen, dass Nutzerinnen und Nutzer sich dazu animiert fühlen könnten, terroristische Aktivitäten der Taliban zu unterstützen. Auf die Frage von report München, warum Twitter die Accounts offizieller Vertreter der Taliban in Afghanistan nicht sperrt, erläutert ein Twitter-Sprecher: "Wir werden weiterhin proaktiv unsere Regeln durchsetzen und Inhalte überprüfen, die gegen die Twitter-Regeln verstoßen, insbesondere gegen Gewaltverherrlichung, Plattformmanipulation und Spam."
Zieht sich Twitter darauf zurück, dass in den Tweets selbst keine rechtswidrigen Inhalte verbreitet werden? Muss nicht ins Kalkül gezogen werden, wofür die Taliban stehen?
Experte Neumann: Twitter knickt in vielen Fällen ein
Für den Terrorexperten Prof. Peter R. Neumann, handeln die Plattformbetreiber auch bei anderen Fällen in der Vergangenheit nicht konsequent. "Grundsätzlich sagen alle Plattformen: Wir lassen keine extremistischen Akteure zu, unabhängig vom Inhalt bestimmter Tweets. Aber in der Praxis gibt es jede Menge Extremisten, die auf Twitter aktiv sind. Es mag beispielsweise gerechtfertigt sein, Donald Trump von der Plattform zu verbannen. Aber warum dann nicht auch den iranischen Revolutionsführer Khamenei oder den vormaligen Präsidenten Ahmadinejad?"
Die Taliban haben das Emirat Afghanistan ausgerufen, dass sich auf Scharia-Recht beruft. Dazu gehören Körperstrafen und die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Botschaftsangehörige und deren ehemalige Mitarbeiter schweben nach übereinstimmenden Einschätzungen zahlreicher Regierungen in Lebensgefahr. Das, so Prof. Peter R. Neumann, müsse eigentlich, basierend auf den Community Guidelines von Twitter, natürlich zur Suspendierung der Taliban auf Twitter führen, tue es aber bisher nicht.
"Twitter beruft sich in solchen Fällen häufig darauf, dass an den Nachrichten solcher Organisationen ein 'öffentliches Interesse' besteht, aber knickt in vielen Fällen ein, wenn es politischen oder öffentlichen Druck in westlichen Ländern gibt." Der Direktor des IFFSE vermutet, dass das auch bei den Taliban der Fall sein wird. Noch allerdings hat Twitter nichts dagegen, wenn islamistische Taliban für ihren Scharia-Staat werben.
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