Wenn das Schlussfeuerwerk der Fußball-Europameisterschaft 2024 am 14. Juli nach der Pokalübergabe im Berliner Olympiastadion abgefeuert wird, dürften alle Polizisten, Sicherheitsbehörden und allen voran Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erleichtert durchatmen. Vorausgesetzt, dass die EURO 2024 in Deutschland bis dahin ohne nennenswerte negative Ereignisse zum erhofften Fußballfest für alle Einheimischen und Gäste geworden ist. Der Tourismusverband erwartet einen deutlichen Schub. Er verweist darauf, dass schon durch die WM 2006 Deutschland als Reiseland sehr an Attraktivität gewonnen hat.
Gefahrenlage nach DFB-Spiel in Nürnberg
Rund zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel in München geht die hiesige Polizei von einem sicheren Turnierverlauf aus. Die Bedrohungslage sei "abstrakt hoch", so Bundesinnenministerin Faeser. Die größte Gefahr gehe vom Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISPK) aus. Die Gruppe war auch für den Anschlag auf eine Konzerthalle in Moskau verantwortlich.
Kurze Unruhe gab es nach dem Freundschaftsspiel der DFB-Elf gegen die Ukraine in Nürnberg. 45 Minuten nach Abpfiff sprach die Polizei in einer Durchsage an alle sich noch im Stadion befindlichen Fans von einer "Gefahrenlage". Wenige Minuten später gab es aber schon Entwarnung. Laut dpa war ein herrenloser Koffer im Kassenbereich gefunden worden, der sich aber als harmlos herausstellte.
Münchner Polizei will freundlich, aber konsequent auftreten
Die Münchner Polizei sieht sich vor dem Start am 14. Juni gut gerüstet. "Sie werden in München an den sechs Spieltagen in der Spitze bis zu 2.000 Einsatzkräfte im Stadtgebiet sehen", sagte Andreas Franken, Pressesprecher des Polizeipräsidiums München in der ARD-Sendung "Mitreden! Deutschland diskutiert". Die Beamten werden demnach bei allen Veranstaltungen "bürgernah" und "freundlich" auftreten, aber auch "konsequent" und "robust" bei Störern oder Straftätern.
Sicherheitsleiter warnt: "Unsicherheit zu Recht vorhanden"
Die Heim-EM – das hat nicht nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser geäußert, soll zum Sommermärchen 2.0 werden - und deshalb genieße das Thema Sicherheit bei den Spielen im Sommer "oberste Priorität". Das betont die Chefin der deutschen Sicherheitsorgane seit Monaten, wenn es um die Vorbereitung des Großereignisses geht.
"Die Sicherheitslage ist alles andere als entspannt", sagte zuletzt Timo Sieber, Leiter des Bereichs Sicherheit und Medizin bei der EM, Mitte April auf einer Podiumsdiskussion: "Es ist eine gewisse Unsicherheit in der Gesellschaft zu Recht vorhanden."
Grenzkontrollen zum Schutz vor Terror und Gewalt
Spätestens seit dem islamistischen Anschlag in Moskau Ende März wurden die vorhandenen Konzepte in Bezug auf den Schutz vor Gewalttaten und Terroranschläge noch einmal sorgsam überprüft. Faeser hatte bereits vor Wochen angekündigt, die Kontrollen an Deutschlands Grenzen während der Europameisterschaft auszuweiten.
Mit der Maßnahme soll insbesondere die Einreise von Hooligans, aber auch islamistischer Gefährder, verhindert werden. Eingerichtet werden sollen die Binnenkontrollen bereits zwei Wochen vor dem Eröffnungsspiel (14. Juni) in München.
Für den Standort München, an dem drei weitere Vorrundenduelle sowie ein Achtelfinale und ein Halbfinale ausgetragen werden, hatte Faeser Mitte April bei ihrem Besuch in der Allianz Arena ein "sehr gutes Gefühl" geäußert. Dabei berief sie sich auf die erfolgreiche Vergangenheit: "München und der FC Bayern sind es gewöhnt, mit dem Stadion häufig international zu spielen und Großereignisse hier stattfinden zu lassen."
Ende April hatten Einheiten der Münchner und der Bereitschaftspolizei medienöffentlich mögliche Szenarien an der Allianz Arena trainiert. Dabei wurde unter anderem simuliert, wie gegnerische Fangruppen vor dem Stadion aneinandergeraten.
München als erfahrener Veranstalter
Der Freistaat Bayern und seine Landeshauptstadt haben zuletzt gute Erfahrungen mit Großlagen gemacht: Zweimal fand der G7-Gipfel auf Schloss Elmau statt, dazu trifft sich jedes Jahr die internationale Politik-Prominenz auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Auch die European Championships 2022 sowie die Handball-EM im Januar liefen ohne größere Vorkommnisse ab.
Im Hauptfokus der Sicherheit steht während der EM 2024 die "Fußball Arena München", wie sie offiziell während des Großevents genannt wird. Auch hier gab es erst im März einen Zwischenfall, der die Öffentlichkeit hat aufhorchen lassen. Beim Topspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund kursierte vor dem Anpfiff eine Grafik des Stadions, die zunächst als Drohung der Terrororganisation IS gedeutet wurde. Die Polizei erhöhte daraufhin zwar sein Aufgebot für das Spiel, sah jedoch gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium (BMI) "keine konkrete Gefährdung".
IS versendet Drohungen als Lebenszeichen
Derartige Grafiken wurden für viele populäre Standorte in Europa angefertigt und verbreitet. Der IS versuche "seinen verbleibenden Anhängern und Mitgliedern zu signalisieren, dass der Kampf trotz der schmerzhaften Rückschläge nicht verloren sei", erklärte der Islamwissenschaftler Caspar Schliephak bei BR24.
Frankreich, das ab Ende Juli die Olympischen Sommerspiele ausrichtet, rief nach dem Moskau-Attentat die höchste Sicherheitsstufe aus. Ein ähnliches Terrorwarnsystem wie im Nachbarland gibt es in Deutschland nicht. Laut BMI sei ein solches Stufenmodell zu pauschal und würde unter Umständen Unruhe auslösen.
Ukraine spielt bei der EM in München
EM-Spiele von hohem öffentlichen Interesse wird es in München mindestens zwei geben. Neben dem Auftaktspiel Deutschland gegen Schottland findet auch das erste Turnierspiel der Ukraine in München statt. Am 17. Juni steht die Mannschaft gegen Rumänien auf dem Rasen, es ist das erste Spiel bei einem großen Turnier seit dem russischen Überfall im Frühjahr 2022.
EM 2020 - Aktivist löst um ein Haar Tragödie aus
Die möglichen Gefahrenpotenziale sind vielfältig, das wurde auch bei der EM 2020 sichtbar. Vor dem Anstoß des deutschen Duells gegen Ungarn war ein motorisierter Gleitschirmflieger von Greenpeace beim Flug über das Münchner Stadion mit einem zur Dachkonstruktion gehörenden Seil kollidiert. Anschließend flog er nur knapp über die Köpfe der Zuschauer hinweg und landete auf dem Rasen.
Für die Europameisterschaft wappnet sich das BMI laut Faeser "mit maximalem Einsatz aller Sicherheitsbehörden gegenüber allen denkbaren Gefahren". Die SPD-Politikerin macht sich dabei besonders "Sorgen um die Cyber-Sicherheit, weil wir zum ersten Mal ein vollständig elektronisches System bei einem großen Ereignis haben werden."
BMI: EM 2024 "besonders attraktiv" für Hacker
Für Hacker sei die EURO 2024 als Großevent "besonders attraktiv", teilt das BMI mit, da sie "mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand einen enormen Schaden anrichten". Im Worst Case müsste der Zugang zum Stadion komplett gesperrt werden. Eigentlich obliegt das Ticketing der UEFA, doch die Sicherheitskräfte wollen hier tatkräftig unterstützen.
Auch die Polizei selbst rüstet technologisch mithilfe von Künstlicher Intelligenz auf: So soll zur Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum eine Art Luftschild installiert werden. Von einem "weitreichenden Abwehrkonzept für bemannte und unbemannte Flugfahrzeuge" spricht die Polizei Stuttgart, wo ebenfalls EM-Spiele stattfinden werden. Zum Einsatz soll auch ein Drohnenabwehrsystem kommen. Außerdem sollen Fluchtwege mithilfe von KI optimiert werden.
EURO 2024 als Blaupause für Terrorschutz?
Kritik an dem umfassenden Maßnahmenpaket kommt aus zweierlei Richtungen. Zum einen kritisiert die Gewerkschaft der Polizei, dass für die Umsetzung das nötige Personal, die technische Ausrüstung und die rechtlichen Möglichkeiten fehlen. Vor letztem Punkt warnt auf der anderen Seite wiederum der Deutsche Anwaltverein. Dieser fürchtet, dass "unter dem Deckmantel des Terrorschutzes" Gesetze verändert werden, die auch nach der EM noch Bestand haben. Konkret sorgen sich die Justiziare um eine rechtliche Aufweichung bei der Vorratsdatenspeicherung und der biometrischen Videoüberwachung.
Einen Monat vor dem Beginn für die Heim-EM lassen sich einige Parallelen zur WM 2006 finden. Auch damals gab es vor dem Turnier Sicherheitsbedenken aufgrund von Terrorwarnungen, auch damals fand das Eröffnungsspiel in München statt. Philipp Lahm, heute Turnierdirektor der EURO 2024, schoss damals das erste Tor des Turniers und gab den Startschuss für eine vier Wochen anhaltende Fußballparty in Deutschland.
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