Lena kneift kurz die Augen zusammen, als ihre Mutter ihr in den Finger pikst und Blut abnimmt. Die Zweijährige ist die tägliche Prozedur schon gewohnt, denn regelmäßig wird der Gerinnungswert in ihrem Blut gemessen. Schließlich muss es flüssig genug sein, um von ihrer linken Herzkammer in eine Maschine zu fließen und wieder zurück.
Zudem dürfen sich keine Klumpen bilden, weil beispielsweise der Schlauch eingeknickt ist. Denn dann besteht die Gefahr eines Schlaganfalls. Lena soll auch möglichst nicht stürzen, damit durch die verabreichten Blutverdünner keine inneren Blutungen entstehen. Das mobile Kunstherz, mit dem Lena verbunden ist, bedeutet also Fluch und Segen zugleich.
Überleben mit einem Kunstherz
Lenas Kunstherz ist eine 13 Kilogramm schwere Maschine mit einer Pumpe, die die Arbeit von ihrer linken Herzkammer übernimmt. Sie ermöglicht Lena so lange weiterzuleben, bis ein passendes Spenderherz für sie gefunden und transplantiert wird. Für das kleine Mädchen aus dem Landkreis Regensburg ist es ein großes Glück, dass es mittlerweile solche vergleichsweise kleinen, mobilen Kunstherzen gibt. Früher wogen sie ein Vielfaches und es wäre unmöglich gewesen, das Krankenhaus damit zu verlassen.
Gleichzeitig bringt diese neue Möglichkeit aber auch viele Einschränkungen für Lena und ihre Familie mit sich. Ihre Mutter Vanessa Handl oder ihr Vater Ludwig Handl müssen dem Mädchen auf Schritt und Tritt folgen, um das Kunstherz auf einem Trolly hinter ihr herzuschieben. Außerdem müssen die Eltern zu Hause viele pflegerischen Tätigkeiten übernehmen.
Kampf um die Pflegestufe
Sehr aufwendig ist der sterile Verbandswechsel an den beiden Eintrittsstellen der Kanülen, den Lenas Eltern dreimal wöchentlich durchführen müssen. Dafür wurden sie speziell geschult, "denn wenn Keime zum Herzen gelangen würden, wäre es lebensgefährlich", erklärt Mutter Vanessa Handl.
Deshalb desinfiziert sie zuerst Lampe und Esstisch, der zur Behandlungsliege wird. Dann ziehen sie und ihr Mann eine OP-Haube, Schutzkittel und Einmalhandschuhe an. Jeder Handgriff sitzt. An vier Tagen bekommen sie Unterstützung durch eine Intensivpflegekraft. Das entlastet sie ein wenig, doch gleichzeitig kämpfen die Eltern mit der Pflegekasse um die Anerkennung der Pflegestufe 3. Das sei nicht zu verstehen, sagt Vanessa Handl. Während im Krankenhaus alle Kosten übernommen würden, müsse man daheim um jeden Verband streiten.
Uniklinik Erlangen als Vorreiter
Wie lange die kleine Lena auf das lebensrettende Spenderherz warten muss, ist ungewiss. Seit einer Herzmuskelentzündung vor über einem Jahr arbeitet ihre linke Herzkammer nicht mehr. Der Alltag daheim ist schwer, aber immerhin besser als Monate oder gar Jahre lang im Krankenhaus auf eine Transplantation zu warten. Alle sechs Wochen muss Lena zur Kontrolluntersuchung in die Uniklinik Erlangen. Sie ist eines von fünf Kindern, das mit einem mobilen Kunstherz von der Firma Berlin Heart zu Hause lebt.
Das ist weltweit ein Novum, erklärt Professor Oliver Dewald, Direktor der Herzchirurgischen Klinik: "Es gibt keine Zulassung für diese Maschine zu Hause für die Kinder, sodass wir unter anderem eine Ausnahmegenehmigung mit juristischer Unterstützung bewirken konnten." Es mussten noch weitere Hürden genommen werden, doch dem Mediziner zufolge lohnt sich der Aufwand. Denn trotz aller Schwierigkeiten daheim, ist es für die ganze Familie weniger belastend, wenn sie die Wartezeit auf ein Spenderherz nicht im Krankenhaus verbringen müssen. Den Nutzen dieses Ansatzes soll eine Studie belegen, die Dewald gemeinsam mit anderen Herzzentren durchführen will.
20 Jahre Entwicklung von Kunstherzen
Professor Sven Dittrich, Leiter der Kinderkardiologie an der Uniklinik Erlangen, hat die Entwicklung von Kunstherzen in den vergangenen zwanzig Jahren mitverfolgt. Anfangs konnten Erwachsene die Klinik nur probeweise mit einem damals noch viel größeren und schwereren Kunstherz verlassen.
"Heute sprechen wir im erwachsendem Alter ganz selbstverständlich von der Destination Therapie. Das heißt, die Patienten bekommen ein Kunstherzsystem, mit dem sie ihr restliches Leben in guter Qualität führen können", erklärt Dittrich. Bei Lena handle es sich um das gleiche System, angepasst an die kindlichen Gegebenheiten. "Die Besonderheit ist die Verantwortung der Eltern, die in dieser Situation nicht alleine gelassen werden dürfen und immer nur das machen müssen, was sie sich selber zutrauen", so Dittrich.
Die Warteliste für Spenderorgane ist lang
Alleine in Bayern stehen rund 1.200 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für ein lebensnotwendiges Organ. Denn es gibt zu wenige Spender. Trotz intensiver Informationskampagnen verschiedenster Organisationen auf Bundes- und Landesebene hat nur rund jeder Dritte einen Organspendeausweis.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) will dies ändern: "Deshalb setze ich mich ganz klar für die Widerspruchslösung ein. Das heißt, wer nicht zu Lebzeiten widerspricht und dies dokumentiert, gilt nach seinem Tod als potenzieller Organspender. Das wäre auch eine echte Entlastung für die Angehörigen."
Jeder wäre froh, wenn ihm geholfen würde
Dafür braucht es aber eine Gesetzesänderung auf Bundesebene und erst kürzlich haben sich einige Abgeordnete öffentlich ein Organspende-Tattoo stechen lassen als Zeichen der Zustimmung. Doch es regt sich auch Widerstand.
So erklärt beispielsweise die Deutsche Stiftung Patientenschutz, dass Schweigen in dieser Frage keine Zustimmung bedeuten dürfe. Seit Mitte März gibt es zudem ein neues Organspende-Register im Internet, in das man sich als potenzieller Organspender online eintragen kann. Doch das sei recht umständlich, sagt Lenas Mutter. Sie hofft deshalb auch auf eine Gesetzesänderung: "Es kann jeden treffen, dass er eines Tages ein Spenderorgan braucht. Dann wäre jeder froh, wenn ihm geholfen werden könnte."
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