Friedrich Zawrel ist machtlos. Er kann nichts tun gegen den Mann mit dem weißen Arztkittel, der sich über ihn beugt. Er befiehlt ihm, Tabletten zu schlucken. "Aber ich bin doch nicht krank", wimmert Zawrel. Der Mann packt Zawrels Kopf und stopft die Tablette so tief in seinen Rachen, bis Zawrel keine Chance mehr hat und sie schlucken muss. Nur wenige Augenblicke später sackt er zusammen.
Es sind Szenen wie diese, die im Innenraum des Fürther Stadions eine bedrückende Stille erzeugen. Knapp 80 Menschen sitzen an diesem Donnerstagabend vor einer Leinwand. Sie sehen die Geschichte von Friedrich Zawrel aus Österreich. Die Nationalsozialisten stufen ihn als “erbbiologisch und sozial minderwertig” ein. 1941 wird er in eine Krankenanstalt in Wien eingewiesen. Zawrel ist damals noch ein Kind – und nicht alleine. Hunderte von ihnen werden dort mit Medikamentenversuchen und sadistischen Experimenten gequält. Etwa 800 von ihnen bis zum Tode.
Warum sich Ultras am Projekt beteiligen
Die Vorführung von Zawrels Geschichte ist Teil des Projekts "Fürth gedenkt", das an die Opfer der Nationalsozialisten erinnert. An der Gedenkwoche sind verschieden Fürther Vereine und Kultureinrichtungen beteiligt – und auch Fans der Spielvereinigung Greuther Fürth. “Es war uns schon immer wichtig, dass wir nicht nur im Stadion aktiv sind”, sagt Mario John von der Ultra-Gruppierung Stradevia 907.
Auch sie engagiert sich an der Gedenkwoche und hat die Filmvorführung mitorganisiert. "Wir erreichen viele Kleeblatt-Fans, viele junge Leute und möchten so unsere Strukturen nutzen, um auch über solche Themen aufklären", sagt John. Die Ultras der Stradevia 907 haben zum Beispiel eine Kerzenaktion an der Konrad-Adenauer-Anlage organisiert, bei der alle eine Kerze für die Fürther Opfer der Nationalsozialisten aufstellen und seiner Gedenken konnten.
Am 27. Januar jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz zum 79. Mal. Viele Fürtherinnen und Fürther haben hier ihr Leben verloren, wie zum Beispiel der ehemalige SpVgg-Spieler Julius Hirsch. "Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber es ist wichtig, dass sich solche Sachen eben nicht wiederholen – und mit solchen Projekten versuchen wir als Ultra-Gruppe einen kleinen Teil dazu beizutragen", sagt John.
Zawrel hat Glück
John ist mit Kollegen der Stradevia 907 vor Ort. Auch die andere Ultra-Gruppierung vom Kleeblatt, die Horidos, sind mit mehr als einem Dutzend Leuten vertreten. Im Fürther Stadion neigt sich die Vorführung dem Ende zu. Die Stimmung ist nicht mehr ganz so bedrückend. Zawrel hat nämlich Glück: Dank der Hilfe einer Krankenschwester kann er aus der Anstalt fliehen. Und so kann er seine Geschichte erzählen. Von den Spritzen, von denen er sich stundenlang übergeben muss. Oder wie die Nationalsozialisten seinen Kopf in eine eiskalte Badewanne tunken, immer und immer wieder - so lange, bis das letzte Luftbläschen kommt.
Bis zu seinem Tod 2015 ist er einer der wichtigsten Zeitzeugen der Verbrechen der NS-Medizin. Kurz vor dem Ende der Vorführung wendet sich Zawrel im Film dann direkt an die Zuschauer und sagt: "Machen sie es besser als die Generation, in der ich ein Kind gewesen bin."