Das Thema "Cum/Cum-Deals" scheint die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) umzutreiben. Das zeigt eine Verschlusssache des Bundesfinanzministeriums, die BR Recherche vorliegt. Mehrfach hat die BaFin in den vergangenen Jahren bei deutschen Banken und Wertpapierinstituten abgefragt, welche Folgen die Beteiligung an diesen Geschäften für deutsche Institute haben könnte. Wissen wollte die Bafin vor allem, in welcher Höhe Steuernachzahlungen drohen und ob die Finanzinstitute dafür Rückstellungen gebildet haben.
2017, 2020 und 2022 erkundigte sich die BaFin nach diesen Zahlen, allerdings hielt die Behörde sie unter Verschluss. Ein Sprecher der BaFin teilte dem BR kürzlich auf Anfrage lediglich mit, "dass sich zuletzt rund 1.500 Kreditinstitute und ausgewählte Wertpapierinstitute" an der Umfrage beteiligt hätten.
Ministeriums-Papier ermöglicht Einblick in Cum/Cum-Umfang
Die vom Bundesfinanzministerium für den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags erstellte Übersicht gibt nun erstmals darüber Aufschluss. Das als Verschlusssache gekennzeichnete zweiseitige Papier liegt BR Recherche vor. Es zeigt, dass bei deutschen Banken hinsichtlich der Bewertung der eigenen Cum/Cum-Deals über die Jahre ein Sinneswandel eingesetzt hat.
So habe anlässlich der 2017 erstellten Umfrage nach BaFin-Angaben "nur ein kleiner Teil der Institute [angegeben], direkt an Cum/Cum-Geschäften beteiligt gewesen zu sein; die möglichen finanziellen Belastungen seien auf etwa 610 Mio. Euro taxiert worden; es seien bereits Rückstellungen in Höhe von ca. 273 Mio. Euro gebildet worden", so das Bundesfinanzministerium in seiner Aufstellung. In der zweiten, 2020 erstellten Umfrage gaben die Banken dann deutlich höhere Werte an: Danach lag die Höhe der möglichen finanziellen Belastungen bei 960 Millionen Euro, von denen etwa 530 Millionen Euro schon wieder an die Finanzbehörden zurücküberwiesen worden seien.
Aktiendeals als missbräuchliche Steuergestaltung
Anfang 2020 hatte das Finanzgericht Hessen in einem ersten und richtungsweisenden Urteil (Aktenzeichen: 4K890/17) entschieden, dass es sich bei Cum/Cum-Aktiendeals um missbräuchliche Steuergestaltungen mit Blick auf die Abgabenordnung handelt. Unmittelbar danach schloss sich auch das Bundesfinanzministerium dieser Argumentation an und stellte in einem Schreiben an die obersten Finanzbehörden der Länder klar, dass es in der kurzen Aktien-Leihe von ausländischen Investoren an deutsche Geschäftspartner über den Dividendenstichtag einen Gestaltungsmissbrauch sieht.
Stark vereinfacht dargestellt werden bei Cum/Cum-Geschäften Wertpapiere ausländischer Aktionäre aus Gründen der Steuerersparnis kurzzeitig über den Dividendenstichtag an Geschäftspartner in Deutschland verliehen, da diese die Kapitalertragsteuer auf die Dividende erstattet bekommen können. Das Geld vom Fiskus teilen sich die Akteure. Der Staat geht leer aus. 2016 enthüllte der BR, dass auch die im Zuge der Finanzkrise vom Staat gerettete Commerzbank solche Geschäfte betrieben hatte. Per Gesetz erschwerte die damals regierende Große Koalition rückwirkend zum 1. Januar 2016 Cum/Cum- Deals erheblich.
Jüngste BaFin-Umfrage zeigt: Cum/Cum war ein Milliarden-Geschäft
Die bislang letzte BaFin-Umfrage aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass Cum/Cum-Deals für deutsche Banken offenbar ein Milliarden-Geschäft gewesen sind. "Die gesamten steuerlichen Belastungen aus Cum/Cum-Geschäften beliefen sich […] auf ca. 4.02 Mrd. Euro […], davon seien ca. 1,33 Milliarden Euro bereits ausgeglichen und Rückstellungen für mögliche Steuernachzahlungen in Höhe von ca. 0,74 Mrd. Euro gebildet worden", so das Bundesfinanzministerium in dem aktuellen Schreiben an den Finanzausschuss.
Für den früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick sind diese Zahlen Anlass für ein deutliche Forderung: "Ich erwarte, dass die politisch Verantwortlichen in den Ländern endlich in Steuerfahndung und Staatsanwaltschaften die Weichen dafür stellen, dass diese Milliarden wirklich zurückgeholt werden können." Die Banken dürften mit ihren illegalen Geschäften zu Lasten des Steuerzahlers nicht durchkommen, sagte Schick auf BR-Anfrage. Er leitet inzwischen den Verein Finanzwende. Bis Sommer 2017 hatte er dem Cum/Ex-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages angehört.
Finanzwissenschaftler: Schaden wohl deutlich höher
Finanzwissenschaftler wie Christoph Spengel von der Uni Mannheim gehen davon aus, dass der Schaden, der dem deutschen Staat seit 2001 durch Cum/Cum-Geschäfte entstanden ist, deutlich höher sein dürfte. Spengel beziffert ihn auf etwa 30 Milliarden Euro, das sei "eine konservative Schätzung", teilte Spengel dem BR im vergangenen Jahr mit. Auch er bemängelte die schleppende juristische Aufklärung.
Einer BR-Umfrage aus dem vergangenen Jahr zufolge sind Cum/Cum-Urteile an deutschen Gerichten noch eher eine Seltenheit. Im Vergleich dazu ist die juristische Aufarbeitung von vergleichbaren Cum/Ex-Aktiengeschäften schon deutlich weiter. In diesem Zusammenhang sind Ex-Banker vom Landgericht Bonn bereits zu Haftstrafen verurteilt worden. Die bei dem Thema federführende Staatsanwaltschaft in Köln ermittelt nach wie vor gegen zahlreiche Beschuldigte im Zusammenhang mit Cum/Ex- und Cum/Cum-Geschäften.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!