Es dauert rund eine halbe Stunde, bis Angehörige die Namen aller 272 Menschen verlesen haben, die am 25. Januar 2019 getötet wurden, als bei der brasilianischen Stadt Brumadinho ein Damm brach. Hinter dem Staudamm war Schlamm aus einer Erzmine gestaut. Rund 13 Millionen Kubikmeter giftiger Minen-Schlamm ergossen sich ins Tal.
Der Damm galt offiziell als stabil. Denn nur wenige Monate vor der Katastrophe hatte ein Tochterunternehmen des TÜV Süd ein entsprechendes Zertifikat ausgestellt. Die Opfer-Angehörigen aus Brasilien sehen deshalb wesentliche Verantwortung für das Desaster bei dem Münchner Prüfkonzern.
Drei Opfer-Angehörige brachten am fünften Jahrestag des Dammbruchs am Zaun der Firmenzentrale in München ein Banner an mit der Aufschrift "Take responsibilty now!" ("Übernehmen Sie endlich Verantwortung!"). Iasmim Maria Macial hat ihren Lebensgefährten bei der Katastrophe verloren, Saulo Junior Rodrigues e Silva seine Ehefrau, Karine Naiara Silva Carneiro Andrade ihre Schwester.
Forderung: Mehr als einer halbe Milliarde Euro
Die Anwälte der Opfer-Angehörigen beziffern die Summe der Schadenersatzforderungen auf deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro. Iasmim Maria Macial betont dabei, es gehe ihr, ebenso wie anderen Opfer-Angehörigen, nicht in erster Linie um zusätzliches Geld für sich selbst. Es gehe ihr auch darum, dass der TÜV Süd eine Zahlung als Strafe für eine Katastrophe zahlt, für die er Verantwortung trage.
Der Opfer-Anwalt Jan Spangenberg widersprach dabei Berichten, wonach der brasilianische Bergbau-Konzern Vale bereits umgerechnet rund sechs Milliarden Euro an Opfer-Angehörige gezahlt habe. Von den Zahlungen des Konzerns sei nichts bei seinen Mandanten angekommen. Von den Geldern, über die regelmäßig berichtet werde, seien hingegen unter anderem Infrastrukturprojekte finanziert worden, wie etwa eine Umgehungsstraße.
Weit mehr als tausend Kläger
Nach Spangenbergs Angaben haben sich inzwischen 1.402 Kläger zusammengeschlossen, um vom TÜV Süd vor Gericht Schadenersatz einzufordern. Im September 2021 hat das Landgericht München zum ersten Mal über den Fall verhandelt. Seitdem ist das Verfahren kaum vorangekommen. Unter anderem ist noch offen, ob brasilianisches Recht zur Anwendung kommen soll.
Opfer-Anwalt Spangenberg betont, seine Mandanten seien auch zu einer außergerichtlichen Einigung mit dem TÜV Süd bereit. Die lehne der Konzern aber bislang ab.
TÜV Süd sieht keine Verantwortung
Der TÜV Süd schreibt in einer schriftlichen Erklärung, er trage "keine rechtliche Verantwortung für den Dammbruch". Die Stabilitäts-Bestätigungen, die ein brasilianisches Tochterunternehmen des TÜV Süd für den Damm bei Brumadinho ausgestellt hat, hätten brasilianischen Regelungen entsprochen. "Der Dammbruch in Brumadinho war ein schreckliches Unglück. Unser Mitgefühl ist bei den Opfern und ihren Familien", heißt es in der Stellungnahme des Münchner Unternehmens.
Strafanzeige von Nicht-Regierungs-Organisationen
Neben der Schadenersatzklage, die unter anderem der Rechtsanwalt Spangenberg vertritt, ist auch eine Strafanzeige gegen Vertreter des TÜV Süd erstattet worden. Das katholische Hilfswerk Misereor und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erklären, sie hätten bereits 2019 eine Anzeige eingereicht. Die Münchner Staatsanwaltschaft lasse aber nach fast fünf Jahren immer noch offen, ob sie Anklage erhebt, kritisieren die Organisationen.
Im Video: Proteste gegen TÜV Süd in München
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!