Man kann Yoshie T. leicht übersehen: Der gebürtig aus Japan stammende, unscheinbare Geschäftsmann schleicht um Punkt halb neun durch die schwere Stahltür, die mit einem lauten Knall in den Rahmen fällt. Eine halbe Stunde zu früh ist T. heute in dem unterirdischen Gerichtssaal auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Stadelheim im Süden Münchens erschienen. Es läuft also zunächst alles so, wie sich Richter Markus Födisch den Auftakt der über drei Tage angelegten Vernehmung vorgestellt hat. Bis Freitag will die Kammer T. vernehmen. Die Erwartungen an ihn sind groß.
T. war auf dem Papier für Senjo tätig – eine sogenannte Drittpartner-Firma von Wirecard, die es dem Unternehmen ermöglicht hat, in Asien Online-Geschäft abzuwickeln. Weitere Drittpartner waren Al Alam aus Dubai und Payeasy mit Sitz auf den Philippinen. Ob deren Geschäft frei erfunden war, oder ob echtes Geld aus diesem Business aus dem Konzern herausgeleitet und veruntreut worden ist, das ist auch nach mehr als einem Jahr der Dreh- und Angelpunkt des Wirecard-Skandals und des Prozesses.
Direktorenposten ohne Wissen über das genaue Geschäft
T. kann zunächst nicht wirklich viel zur Aufklärung beitragen. Richter Födisch zeigt ihm mehrere Präsentationen und Organigramme, in denen T. als Mitglied der Senjo-Leitung aufgeführt wird. Wirklich viel sagen kann er dazu nicht. Als Richter Markus Födisch ihm dann einen Vertrag vorlegt, der die Unterschrift von T. trägt, und den Senjo mit einer Wirecard-Tochterfirma unterzeichnet hat, fängt der Zeuge an zu schwimmen.
Kurz zuvor hatte Födisch T. zu seiner Position als Direktor einer Firma mit dem Namen YO54 befragt, auch sie gehöre zum Senjo-Netzwerk. Was genau er für diese Firma gemacht hat, kann er ebenfalls nicht wirklich erklären. "Und die Leute haben dann gesagt, dass ich dumm gewesen bin. Direktor heißt Direktor. Und ich bin mir gewahr hinsichtlich meiner Verantwortlichkeiten, und das ist auch der Grund, warum ich hierhergekommen bin", sagt er fast schon entschuldigend.
Mehr Fragen als Antworten vom Zeugen
"Ich glaube, es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich sage, dass das Gericht mehr Fragen gestellt hat als der Zeuge Antworten gegeben hat", sagt Gerichtssprecher Laurent Lafleur in der Mittagspause. Und dabei spiele T. potenziell eine sehr große Rolle, weil er ein hochrangiger Mitarbeiter einer dieser sogenannten Drittpartner von Wirecard gewesen sei. "Hierzu hat er aber nur sehr dürftige Angaben gemacht", sagt Lafleur weiter.
T. gibt zunächst einen kurzen Überblick über seinen Lebenslauf und sein geschäftliches Wirken. Die Fragen von Richter Födisch übersetzt zunächst eine Übersetzerin auf Englisch, später dann kommt ein Japanisch-Dolmetscher. Sofort läuft die Vernehmung flüssiger. Er sei nach seinem Studium in Japan unter anderem im Bereich Kosmetik-Handel tätig gewesen und habe diesen später auf den Online-Bereich erweitern wollen, gibt T. an.
Allerdings seien die Banken in Japan dafür zu konservativ, deswegen habe er dann in den Stadtstaat Singapur ausweichen müssen. 2009 oder 2010, so ganz genau legt sich der Zeuge nicht fest, gab es die ersten Kontakte zu Wirecard. Sein Ansprechpartner dort? Jan Marsalek, sagt T. Marsalek ist der frühere Vorstand des Aschheimer Zahlungsdienstleisters, der im Juni 2020 per Flugzeug von Österreich nach Weißrussland geflogen und sich von dort aus mutmaßlich nach Russland abgesetzt hat.
Vom Öl-Händler zum Zahlungsabwickler?
Wie war die Rolle von Jan Marsalek bei der Drittpartnerfirma Senjo? T. zeichnet zunächst das Bild von Marsalek als bestimmende Person bei der Singapurer Firma. Selbst der Firmenname sei dessen Idee gewesen. Was genau Marsalek dann aber genau gemacht habe, inwiefern er auch mit dem Drittpartner-Geschäft verbunden war, bleibt im Ungefähren und auf der Ebene des Hörensagens. Allerdings betont T. mehrfach, er habe nie wirklich nachvollziehen können, was Senjo geschäftlich genau macht.
Mit dem ursprünglichen Business, dem Transport und Handel mit Öl und Benzin auf Schiffen, sei die Unternehmensgruppe früh gescheitert. Die Geschäftsidee sei von einem engen Marsalek-Vertrauten gekommen: dem Briten Henry O. Unklar ist, was der angebliche Wirecard-Drittpartner Senjo nach diesem geschäftlichen Misserfolg gemacht hat. T. erinnert sich nur an Folgendes: "Da gab es kein Datenmanagement, da gab es keine Mitarbeiter, es gab keinen technischen Support."
Im Video: Gericht vernimmt Manager aus Südostasien zum "Drittpartner-Geschäft"
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