Viele Menschen in Deutschland haben Vorbehalte gegen Elektro-Pkws – sei es aufgrund der Reichweite oder der Kosten. Doch auch am Nutzen für die Umwelt zweifeln viele. Das ergab eine repräsentative Umfrage von Civey im Auftrag der DEVK Versicherungen. 58,8 Prozent äußern sich demnach skeptisch, was die Nachhaltigkeit von E-Autos angeht.
Wie klimafreundlich ist der Umstieg auf ein E-Auto?
Fragen, die sich beispielsweise stellen: Führt der Strommix in Deutschland vielleicht dazu, dass indirekt doch viele CO₂-Emissionen verursacht werden - weil auch Kohlestrom in der Batterie landet? Und ist die Produktion der Autos womöglich so schädlich, dass ihre Umweltbilanz letztlich doch nicht so gut ausfällt? Insbesondere wenn in der Garage noch ein funktionierender Verbrenner steht, dürften viele zu dem Schluss kommen, es sei nachhaltiger, das bereits produzierte Auto so lange wie möglich zu fahren.
Die verfügbare Reichweite oder die höheren Anschaffungskosten mögen für viele noch ein Ausschlusskriterium sein. Doch was die Umwelt betrifft: Der Umstieg auf einen elektrischen Neuwagen in den meisten Fällen nachhaltiger, wie eine neue Untersuchung des ifeu-Instituts zeigt.
Gesamtemissionen von E-Autos: 48 Prozent niedriger als Benziner
Wird ein Elektroauto produziert, so hat das etwa doppelt so hohe Auswirkungen aufs Klima wie die Herstellung eines Verbrenners, schreiben die drei ifeu-Forschenden Hinrich Helms, Claudia Kämper und Udo Lambrecht. Doch betrachtet man das gesamte Leben des Wagens, zeige sich ein anderes Bild. Bei einem Verbrenner machen die Herstellungsemissionen demzufolge nur 13 bis 15 Prozent bezogen auf die Gesamtemissionen aus. Im Verlauf der gesamten Nutzungsdauer gleichen die geringeren Nutzungsemissionen die höhere Produktionsemissionen eines E-Pkw mehr als aus. Betrachtet man Herstellung, Wartung, Entsorgung und Recycling eines Elektroautos, liegen die Gesamtemissionen etwa 48 Prozent niedriger als bei einem Benziner. Die Berechnungen basieren auf der durchschnittlichen Pkw-Lebensfahrleistung von 220.000 Kilometern.
Auch der ADAC kommt zum Schluss, dass E-Pkw klimafreundlicher sind als Verbrenner: Verglichen wurde, wie klimafreundlich der Betrieb eines Golfs ist, je nach Strommix sowie Antriebsart. Demnach kann das mit Strommix betriebene Elektroauto seine Vorteile gegenüber Benziner beziehungsweise Diesel nach 45.000 bis 60.000 Kilometern ausspielen. Wird regenerativer Strom (Wind) genutzt, erfolge die sogenannte Amortisation der Herstellungsemissionen schon nach etwa 25.000 bis 30.000 Kilometern.
Je früher, desto besser? Umstieg auf elektrischen Neuwagen sinnvoll
Wenn bereits feststeht, dass man einen Neuwagen kaufen muss - etwa, weil man mehr Stauraum benötigt oder das aktuelle Auto defekt ist, gelten die obigen Ergebnisse. Doch was gilt für Menschen, die eigentlich ein funktionierendes Auto haben, das zu den Lebensumständen passt? Wäre der Umstieg auf E-Mobilität auch dann nachhaltiger - trotz der hohen Produktionsemissionen? Um diese Frage zu beantworten, haben die Forschenden des ifeu-Instituts drei Fallbeispiele untersucht:
1. Umstieg auf einen Elektrowagen bei einem Kilometerstand von 100.000 des alten Verbrenners
2. Der Umstieg erfolgt erst nach dem durchschnittlichen Lebensende des alten Autos von 220.000 Kilometern
3. Der alte Verbrenner funktioniert auch darüber hinaus und wird weiter genutzt bis zu einem Kilometerstand von 320.000 .
Das Ergebnis der Untersuchung: Der Umstieg lohnt sich für die Umwelt in allen drei Fällen. Am nachhaltigsten ist nicht die Weiternutzung des alten Verbrenners, sondern der (frühzeitige) Austausch gegen das Elektroauto. Im ersten Fallbeispiel zeigt sich ein Klimavorteil nach 72.000 Kilometern mit dem neuen Elektroauto. Bei der üblichen Jahresfahrleistung von 13.750 Kilometern verbessert sich die Klimabilanz somit nach 5,2 Jahren verglichen mit dem alten Verbrenner.
Zwar ist eher unüblich, dass ein Mensch das Fahrzeug als Neuwagen erhält und dann bis zu seinem Lebensende fährt. Allerdings lässt sich diese Berechnung auch auf mehrere Nutzer aufteilen - denn Emissionen wirken nicht lokal auf das Klima, sondern global.
Dieser Artikel ist erstmals am 14.01.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Grafik: Klimabilanz aus Einzelfahrzeugperspektive
Umweltnutzen hängt auch vom Strommix ab
"Elektroautos sind so sauber wie der Strom mit dem sie fahren", schreibt das Bundesumweltministerium. Und die Verbraucherzentrale betont: "Werden E-Autos vollständig mit Ökostrom geladen – etwa von der eigenen Photovoltaik-Anlage – entstehen im Betrieb keine CO2-Emissionen."
Doch nicht jeder hat Solarzellen auf dem Dach - und in Deutschland enthält der Strommix auch Kohlestrom. 2022 betrug der Anteil von erneuerbaren Energien bei 46 Prozent, 2023 waren es nach vorläufigen Zahlen 52 Prozent. In der Rechnung des ifeu-Instituts ist der Strommix berücksichtigt - sowie auch, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren beschleunigt vorangehen wird. Die Nutzungsphase von Wägen, die heute hergestellt werden, beträgt etwa 16 Jahre. Der heutige Strommix wird also nicht über die gesamte Lebensdauer zutreffen.
Das ifeu-Institut folgt bei seinen Berechnungen dem RESCUE Szenario GreenLate. Bis 2030 werde dabei "ein Anteil von gut 72 Prozent erneuerbarer Stromerzeugung angenommen, während nach Koalitionsvertrag sogar 80 Prozent angestrebt werden", so Helms. Das Szenario stelle also vor dem Hintergrund der Ziele eine konservative Entwicklung dar, könne aber, so Helms durchaus als "realistische Entwicklung" bezeichnet werden.
Bringt man durch den Umstieg nicht ein weiteres Fahrzeug in Umlauf?
Damit nicht an anderer Stelle weiter klimaschädliche Emissionen entstehen, muss beim Kauf des Elektroautos der alte Verbrenner aus dem Verkehr gezogen werden. Tatsächlich jedoch werden etwa 85 Prozent der in Deutschland ausrangierten Wägen exportiert. "An der Nutzung von Verbrennern in anderen Staaten ändert eine Elektrifizierung in Deutschland jedoch zunächst einmal nichts, so lange der Exportumfang nicht sehr deutlich zunimmt", schreiben Forschenden.
Der Gebrauchtwagenhandel von Deutschland in Nicht-EU-Staaten sei in den vergangenen zehn Jahren gar zurückgegangen. Die Wägen ersetzen im Ausland in der Regel noch ältere und somit auch klimaschädlichere Modelle. Der deutliche Klimavorteil von E-Autos könne sogar zusätzliche Fahrzeuge im System ausgleichen, sofern der Anteil von Elektromobiliät in der Gesamtflotte ansteigt.
Es gibt zwar auch Importländer, die noch einen geringen Grad der Motorisierung aufweisen. Verstärkte - und ungeregelte - Importe aus Deutschland können dem Paper zufolge dann auch zu einem Wachstum der Fahrzeugflotte führen. Allerdings sei bei derartigen Gebrauchtwagenströmen kein Anstieg erkennbar. Durch verschiedene Regularien wäre eine Solche Entwicklung zudem stark eingeschränkt.
Unterschiede je nach Modell: Interaktives Tool bietet Vergleich
Wie viele Emissionen bei Herstellung und Betrieb ausgestoßen werden, hängt auch von der Art des Autos ab. Für die ifeu-Untersuchung wurde kein konkretes Fahrzeugmodell herangezogen, sondern "ein generisches Beispielfahrzeug definiert", erklärt Helms. Es stellt ein typisches Auto der Kompaktklasse dar.
Wer mehrere Elektrowägen vergleichen will - oder auch den eigenen Verbrenner mit einem E-Auto, das infrage kommt - kann ein interaktives Tool der Initiative Green NCAP nutzen. Im Reiter: "Geschätzter Lebenszyklus-Primärenergiebedarf pro Phase" lassen sich die Emissionen der einzelnen Faktoren wie Batterieherstellung, direkte Emissionen sowie Energiebereitstellung getrennt ablesen.
Green NCAP bewertet seit 2019 die Umweltfreundlichkeit von Pkw nach dem Vorbild des ADAC Ecotests. Der Fokus liegt auf den Schadstoffemissionen, dem Kraftstoff- oder Energieverbrauch und den klimaschädlichen Treibhausgasen. Zusätzlich ist im Tool ein Vergleich anhand der offiziell angegebenen Verbrauchswerte nach dem gesetzlichen WLTP-Verfahren möglich.
"Nischenproblem": Für wen der Umstieg nicht sinnvoll ist
Doch es gibt eine Gruppe von Fahrzeugen, bei denen es tatsächlich nachhaltiger ist, wenn sie nicht durch einen elektrischen Neuwagen ersetzt werden: Garagenwagen, die im Jahr weniger als 3.000 km gefahren werden.
Das treffe allerdings nur auf acht Prozent der Fahrzeuge zu, schreiben die Forschenden in ihrem Paper - für alle anderen ist ein neuer Elektrowagen die klimafreundlichere Option.
Zum Audio: Bosch will Roboter E-Autos laden lassen
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