Wie soll es weitergehen mit den Getreidelagern in der Ukraine? Das bereitet Alex Lissitsa seit dem Importverbot durch mehrere Länder Kopfzerbrechen. Er ist im Vorstand eines ukrainischen Agrarkonzerns, der 120.000 Hektar Land bearbeitet, und ist gut vernetzt im Agrarbereich des Landes.
Die Entscheidungen der westlichen Nachbarländer hätten ihn unvorbereitet getroffen. Zudem sei der Zeitpunkt sehr ungünstig. Neben dem großen Druck von Russland, ob sie aus dem Abkommen aussteigen, werde nun auch die westliche Seite blockiert.
Russland und die Ukraine hatten sich auf ein Abkommen geeinigt, das die Ausfuhr ukrainischen Getreides über Schiffskorridore im Schwarzen Meer trotz des Krieges ermöglichen soll. Das bereits mehrfach verlängerte Abkommen läuft aber am 18. Mai aus.
Deshalb stoppen viele Länder den Import aus der Ukraine
Parallel zum Abkommen über den Seeweg übers Schwarze Meer suchte auch die EU einen Weg, um das Getreide in die Länder zu exportieren, in denen Hunger drohte, zum Beispiel nach Afrika. Dazu hat die EU im Sommer 2022 sogenannte "Solidarity Lanes" eingerichtet, Solidaritätskorridore über den Landweg. Getreide kommt seitdem per Zug, Lkw oder mit Binnenschiffen aus der Ukraine - zollfrei und ohne viel Bürokratie - in die Nachbarländer und soll von dort weiter über EU-Häfen nach Afrika verschifft werden.
Zielort sollte zum Beispiel in Polen der Hafen von Danzig an der Ostsee sein. Doch seit vielen Monaten gibt es Probleme, denn nicht alles Getreide kommt dort an. Ein großer Teil des Getreides bleibt in Polen, aber auch in Ungarn und der Slowakei, und sorgt dort für ein Überangebot. Die Preise brachen ein, die polnischen Bauern konnten ihr Getreide nicht mehr verkaufen, gingen auf die Barrikaden und blockierten bereits im Februar Grenzübergänge zur Ukraine. Und jetzt kam es sogar zu Importstopps.
Importstopp beunruhigend
Der Importstopp sei deshalb sehr beunruhigend, sagt Alex Lissitsa. In den Lagern befinde sich tonnenweise Getreide aus den Jahren 2021 und 2022. Es sei unklar, ob das nun exportiert werden könne. Ungarn, Polen und die Slowakei haben Importe verboten, um die heimische Landwirtschaft vor der Billig-Konkurrenz zu schützen. Ungarn hat den Importstopp nun sogar ausgeweitet. Neben Getreide und Ölsaaten sind nun auch Honig, Wein, Brot, Zucker und einige Fleisch- und Gemüseprodukte betroffen.
Polen einigt sich auf Kompromiss
Seit einigen Tagen gibt es dafür zumindest mit Polen einen Kompromiss. Jeder Getreidetransport soll zukünftig von einem Konvoi begleitet werden. Ziel sei, dass kein ukrainisches Getreide mehr in Polen bleibe. Alex Lissitsa sieht das aber skeptisch. Die Bedingungen scheinen schwer zu erfüllen und er vermutet, dass so nur noch eine begrenzte Anzahl von Waren durch Polen transportiert werden kann.
Niederbayerischer Landwirt hat keine Probleme in der Ukraine
Optimistischer in die Zukunft blickt der niederbayerische Landwirt Johann Wenzl, der einen Betrieb mit 5.000 Hektar in der Ukraine führt. Sein Betrieb liegt etwa 200 Kilometer südlich von Kiew. Aktuell befindet er sich seit über einer Woche vor Ort und bleibt bis Juni. Über den Export mache er sich keine Sorgen. Den kompletten gelagerten Mais konnte er bereits vor einiger Zeit verkaufen, als der Hafen in Odessa offen war, und der Weizen ging an eine große Mühle in der Nähe.
Dauerregen in der Ukraine
Auch von seinen Bekannten mache sich bisher niemand Sorgen, dass die Vorräte bis zur nächsten Ernte verkauft werden. Was ihn aber gerade beschäftigt, ist das Wetter. So eine lange Regendauer habe er in 20 Jahren in der Ukraine noch nie erlebt: Trotzdem rechnet Johann Wenzl mit einer normalen und guten Ernte. Er verfügt aber auch über Lager und hat z.B. Düngemittel rechtzeitig eingekauft.
Schlechte Aussichten für Brotgetreide?
Alex Lissitsa hat einen anderen Eindruck von der Lage. Laut ihm haben viele Betriebe in der Ukraine gerade nicht genug Geld, um genug Dünger, aber auch Pflanzenschutzmittel zu kaufen. Solange der Export blockiert wird, verschlimmere sich die Situation noch. Er glaubt, dass es mit dem Brotgetreide dieses Jahr schlecht aussieht. Wegen des vielen Regens hätten viele Landwirte auch noch gar nicht ausgesät.
Ukrainischer Weizen wichtig für Weltmarkt
Beim bayerischen Bauernverband verfolgt man die Entwicklungen in der Ukraine und den Nachbarländern aufmerksam, so Anton Huber, Experte für Getreide und Ölsaaten. Das habe alles einen Einfluss auf die Getreidemärkte. Die zollfreien Getreideexporte aus der Ukraine hätten auch in Bayern zu einem gewissen Preisdruck geführt, allerdings bei Weitem nicht so stark wie in den Nachbarländern, so Huber.
Grundsätzlich bewerte er die Exporte aus der Ukraine positiv, da der Weizen auf dem Weltmarkt gebraucht werde. "Das dritte Mal in Folge verbrauchen wir mehr Weizen, als wir produzieren - global gesehen", so Anton Huber.
Hilfspaket der EU für Nachbarländer
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kritisierte die Importstopps bereits Anfang der Woche deutlich. Er appellierte an die Solidarität mit der Ukraine. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schaltete sich ein, sie will ein Hilfspaket von 100 Millionen Euro auf den Weg bringen, um osteuropäische Landwirte zu entschädigen.
Getreide landet nicht dort, wo es gebraucht wird
Vor dem Krieg wurde fast das gesamte Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer verschifft. Weil das aber nicht mehr problemlos klappt, landet das Getreide auf bereits gut versorgten Märkten in der EU. Das ist laut Anton Huber vom Bayerischen Bauernverband ein Problem. Der Importbedarf in Nordafrika und dem Mittleren Osten steige an. Es sei wichtig, dass das Getreide dort lande und nicht die Lager in der EU verstopfe. Ohne den Krieg würde sich die Lage sofort entspannen, betont Agrarspezialist Alex Lissitsa. Wenn die ukrainischen Landwirte bankrott gehen, dann sei niemandem geholfen - außer Russland.
Im Audio: Östliche EU-Länder fordern Lösung für ukrainische Agrarexporte
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