Die schrittweise Streichung der Subventionen beim Agrardiesel, für viele Bauern ist sie ein rotes Tuch. Die einen äußern deswegen lautstark ihren Unmut – und beharren auf ihrem Standpunkt. Andere zeigen in dieser Frage Kompromissbereitschaft und wollen stattdessen lieber die jahrzehntelange Fehlentwicklung in der Agrarpolitik beenden. Ihre Forderung: Faire Preise für die Erzeugnisse der Bauern kann es nur per Gesetz geben.
Landwirtin: "Bauernverband für Verfehlungen der Agrarpolitik mitverantwortlich"
Claudia Gerster ist Öko-Landwirtin und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Sie hält die Bauernproteste generell für gerechtfertigt, es habe sich bei den Landwirten viel angestaut, die Streichung der Agrardiesel-Beihilfe sei da nur die Spitze des Eisbergs. "Trotz alledem muss man auch sagen: Dialogbereitschaft ist aber die Voraussetzung auch für Problemlösungen. Und dazu muss sich auch der Bauernverband durchringen, der im Übrigen für die Verfehlungen der Agrarpolitik ja mitverantwortlich ist", sagt Gerster im Interview mit BR24. Der Bauernverband habe die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte, die auf Export und Wachstum ausgelegt sei, mit unterstützt. Auch der AbL sei bewusst, dass Agrardiesel nicht ewig subventioniert werden könne. Das Geld müsse aber in der Landwirtschaft bleiben, für den klimagerechten Umbau.
Reinhild Benning ist Agrarexpertin bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Sie kritisiert im Interview mit BR24 die grundsätzliche Fehlentwicklung in der Agrarpolitik. In der Vergangenheit seien Subventionen geflossen, mit dem Ziel immer größerer Ställe mit immer mehr Tieren auf immer engerem Raum. "Und damit haben wir die Tierhaltung weg von den bäuerlichen Betrieben hin zu industriellen Tierhaltungen gebracht. Und nun stehen wir davor, dass die Gesellschaft sagt, das Fleisch aus diesen Tierfabriken möchten wir aber nicht essen, sondern wir wollen einen Wandel in der Tierhaltung", sagt Benning. Sie fordert eine staatliches Tierwohllabel und eine Fleischabgabe, die dann wieder Bauern zugutekommen könnte, damit diese den Umbau ihrer Ställe bewältigen können.
Agrarexpertin fordert 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Fleisch
Gegen die von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wieder ins Spiel gebrachte Tierwohlabgabe regt sich unter vielen Bauern Widerstand, sie fürchten ein weiteres Bürokratiemonster. Reinhild Benning hält es für die bessere Idee, den verminderten Mehrwertsteuersatz auf Fleisch auf den normalen Satz zu bringen, von sieben auf 19 Prozent. Dieses Geld könne dann im Staatshaushalt ganz gezielt für Klimaschutz, etwa für den Abbau der Tierbestände eingesetzt werden. "In jedem Fall brauchen Bauern und Bäuerinnen klare Ansagen, damit sie die Ställe so umbauen können, dass sie dann auch nachher als tiergerecht gelten und dass sie wissen, wie viel Unterstützung können sie dafür bekommen", sagt Benning.
"Wir brauchen eigentlich eine neue Marktordnung"
Die Landwirtin Claudia Gerster will vor allem, dass den Erzeugern für ihre Produkte faire Preise gezahlt werden, um verlässlich kostendeckend arbeiten zu können. "Es ist immer ein bisschen ein Lotteriespiel. Sie müssen sich vorstellen: Ihre Milch zum Beispiel liefern die Bauern und Bäuerinnen an Molkereien. Der Preis wird aber nicht verhandelt, bevor die Milch angeliefert wird, sondern nachdem die Milch angeliefert wird." Die Folge seien immer wieder Überproduktionen und sinkende Preise. Gleichzeitig solle man in die Tierhaltung investieren, obwohl man nicht wisse, wie sich der Fleischpreis, der Getreidepreis oder der Milchpreis entwickeln würden. Gerster fordert: "Wir brauchen eigentlich eine neue Marktordnung".
Laut DUH-Agrarexpertin Reinhild Benning verfügen große Supermarktketten und Großhändler über zu viel Preismacht. "Die vier großen Supermarktkonzerne beherrschen 85 Prozent des Lebensmittelmarktes. Acht Molkereien beherrschen die Hälfte des Milchmarktes, und bei Fleisch sieht es auch nicht viel besser aus. Das heißt, Zigtausende von Bauern stehen nur wenigen Großkonzernen gegenüber", sagt Benning. Das sei zum Teil auch eine Folge der Beschlüsse von vorherigen Bundesregierungen. Jetzt sei es Aufgabe des Staates, den Bauern wieder eine bessere Verhandlungsposition zu geben. Benning fordert ein 'Faire-Preise-Gesetz', ähnlich wie in Spanien und Frankreich, das den Bauern kostendeckende Preise ermöglicht und ihnen die Chance gibt, sich gegen Supermärkte und Ernährungsindustrie durchzusetzen.
DUH-Expertin: "Tierschutz wird auf Weltmarkt nicht bezahlt"
Zwar steigt die Zahl der Biohöfe in Deutschland, doch durch die unklare Preisgestaltung stehen die Bio-Erzeuger vor einer unklaren Zukunft. "Letztendlich stehen wir vor der großen Frage, wollen wir weiter Exporteure von Schweinefleisch und Milch sein? Oder wollen wir die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland und Europa, die zusehends Richtung Nachhaltigkeit geht, bedienen?", sagt Benning. Tierschutz werde auf dem Weltmarkt nicht bezahlt. Wolle man aber mehr Tierschutz und bessere Ställe, dann müsse man den Bauern auch einräumen, höherpreisig zu produzieren.
"Das muss dann aber auch legal in Rahmen gegossen werden. Und das ist im Moment nicht der Fall, sodass die Bauern und Bäuerinnen individuell noch nicht wissen, ob sie einen neuen Stall mit Massentierhaltung bauen sollen, weil das die Zukunft ist oder ob sie auf Bio oder tiergerechtere Haltungen umstellen wollen", so Benning. Hier fehlten klare Signale aus der Politik – "und aus der Fleischwirtschaft kommt nur: weiter wachsen".
Bio-Landwirtin fordert faire Preise
Die Landwirtin Claudia Gerster bewirtschaftet ihren Hof seit 30 Jahren ökologisch. Sie hält die Bio-Vorschriften an sich nicht für zu streng, wie es bei Bauernprotesten zu hören und zu lesen war. "Man hat als Verbrauche und Verbraucherin das Recht, dass man die Bedingungen, unter denen ein Bio-Produkt hergestellt wird, dass man das transparent nachvollziehen kann. Und das finde ich schon ganz wichtig auch für die Glaubwürdigkeit von Bio-Produkten." Gerster ist überzeugt: "Wenn der Preis für die Produkte am Ende stimmt, ist es für uns als Bäuerinnen und auch als Bauern in Ordnung, transparent zu arbeiten und auch Vorlagen und Vorschriften zu erfüllen." Vor dem Hintergrund der steigenden Produktion herrsche aber auch im Biosegment in den Supermarktregalen ein immenser Preisdruck – auch hier würde eine neue Preisordnung Abhilfe schaffen. Dennoch müsse man daran arbeiten, Biokontrollen unbürokratischer zu machen.
Der Agrarexpertin Reinhild Benning sieht einen klaren Auftrag: "Die Bundesregierung sollte die Bauernproteste und die Demo 'Wir haben es satt' als Rückenwind wahrnehmen. Wir fordern von der Politik, dass sie handelt und entscheidet und einen langfristigen Plan aufstellt, einfach einen Fahrplan. Wie kommen wir zu einer klimagerechten Landwirtschaft, 2030 und 2050." Die Bereitschaft der Bauern und Bäuerinnen auf bessere Verfahren, auf nachhaltigere Verfahren der Erzeugung umzustellen, sei hoch. Man müsse ihnen nur einen klaren Plan geben, wie man dahin komme und wie sie damit Geld verdienen könnten. "Dafür brauchen wir das Faire-Preise-Gesetz, das im Moment nur von Grünen und SPD vorangebracht wird, leider noch nicht von der FDP. Wir hoffen sehr, dass sich hier noch was bewegt, damit diese Roadmap für die Landwirtschaft dann endlich Bestand hat", sagt die Agrarexpertin.
Im Video: Welche Zukunft hat die deutsche Landwirtschaft?
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