Den "Boomern", oder besser: den ab 1960 Geborenen stehen knifflige Entscheidungen bevor – jedenfalls dann, wenn sie ihr Erwerbsleben im deutschen Sozial- und Abgabensystem verbracht haben und nun langsam auf die Altersrente zusteuern. Aufgeschreckt von der aktuellen politischen Diskussion stehen teilweise sicher geglaubte Lebensplanungen infrage.
Wie lange wird es die sogenannte "Rente mit 63" für besonders langjährig Versicherte noch geben? Was passiert bei der vorgezogenen Altersrente mit Abschlägen? Wird die Regelaltersgrenze von 67 Jahren noch weiter erhöht? Und reicht dann überhaupt das Geld zum Leben nach der vorliegenden Rentenbiographie?
Die Babyboomer rechnen und rechnen und rechnen. Klar ist nur: Wer voll weiter arbeiten kann und will, ist allermeistens finanziell im Vorteil, weil die Altersrenten tendenziell mager und Zusatzversorgungen hoch besteuert werden. Aber was ist, wenn Betroffene beides wollen: Ab 63 vorgezogene Altersrente beziehen und trotzdem noch eine Weile voll- oder teilzeitbeschäftigt bleiben?
Schritt 1: Nachteile der Frührente im Blick behalten
Viele Rentenversicherte der Jahrgänge ab 1960 haben mehr als 35, aber weniger als 45 Beitragsjahre gesammelt. Sie können vorzeitig in Rente gehen, jedoch nur mit Abschlägen. Und zwar für jeden früher ausgeschiedenen Monat 0,3 Prozent weniger als ihr Rentenanspruch eigentlich wäre. Für 1964 Geborene, die den frühesten Renteneintritt mit 63 Jahren anstreben, ist das immerhin ein Minus von 14,4 Prozent.
Damit nicht genug: Die tatsächliche Rente berechnet sich nach dem Zeitpunkt des vorzeitigen Rentenbeginns. Wer also auf seine aktuelle Rentenauskunft schaut, findet dort zwar den Betrag der Bruttorente bei regulärem Rentenbeginn. Für einen früheren Renteneintritt liegt der Wert aber erheblich niedriger, da ja bis zu vier Jahre Beitragszeiten fehlen. Als Daumenregel sind das dann nicht 14,4, sondern gut 20 Prozent Abzüge. Und nicht zu vergessen: Für den Bruttorentenbetrag werden noch Steuern und Sozialabgaben fällig. Für viele ein Schock, den es durch rechtzeitige Berechnungen abzudämpfen gilt.
Schritt 2: Vorteile der Kombination mit Früh- und Teilrente kennen
Wer weder Ersparnisse noch eine Zusatzvorsorge hat, muss sich wohl oder übel mit Weiterarbeit auseinandersetzen. Und da winken neben dem Mehrverdienst einige weitere Vorteile.
- Zusatzarbeit erhöht den Rentenanspruch von Frührentnern, weil weiter Rentenversicherungs-Beiträge gezahlt werden.
- Wer sich nur zwischen zehn und 99 Prozent der Rente auszahlen lässt, erhält eine "Teilrente". Abschläge gelten nur für diesen Betrag, der Rest wird in voller Höhe gezahlt, sobald die Regelaltersgrenze erreicht ist. Hinzukommt: Wer gleichzeitig in Teilzeit weiter arbeitet, hat nach wie vor Anspruch auf Krankengeld und Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Dies gilt zum Beispiel für alle, die ihre Arbeitszeit nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (externer Link) etwa auf die Hälfte reduzieren und dazu eine Teilrente von 50 Prozent beziehen.
Fallbeispiel: Erwerbstätiger Single kurz vor Frührente
Gemeinsam mit der Münchener Rentenberaterin Claudia Mößner und der Lohnsteuerhilfe Bayern (LoHi) hat BR24 anhand eines prototypischen Rentners untersucht, wie viel Netto vom Brutto bleibt, wenn er oder sie trotz Altersrentenbezügen weiterarbeitet.
Wir haben einen im April 1962 geborenen Single betrachtet, der am 1. Mai 2025 in vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte gehen kann. Wir unterstellen, dass diese Person einen sicheren Job hat und ihr Arbeitgeber einer Weiterbeschäftigung nicht im Weg steht – was durch den aktuellen Fachkräftemangel durchaus realistisch sein kann.
Wer hier für sich selbst zu korrekten Aussagen kommen will, braucht seine Rentenauskunft und seinen Versicherungsverlauf. Beides ist auf Verlangen aktualisiert von der Deutschen Rentenversicherung erhältlich. Zusammen mit dem Lohn- oder Gehaltszettel lässt sich dann berechnen, welche Summe am Ende herauskommt.
Was bleibt netto vom Brutto?
Unser Modellfall ist eine kinderlose, erwerbstätige Person mit Steuerklasse 1, im Bundesland Bayern gesetzlich krankenversichert und nicht kirchensteuerpflichtig. Als erwerbslebenslanger Gutverdienender mit einem aktuell zu versteuernden Jahreseinkommen von 120.000 Euro möchte die Person voll weiterarbeiten und dennoch eine Teilrente von 99 Prozent auslösen. Das führt in diesem Fall zu einer Jahresbruttorente von 24.230,88 Euro.
Abzüglich Werbungskosten-Pauschbetrag und zusätzlichem Vorsorgeaufwand aus Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ergibt sich ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 137.477 Euro. Damit steigt die Mehrsteuer für diesen Steuerzahler um 7.744 Euro im Jahr auf einen Steueranteil von 36,18 Prozent. Von seinen monatlichen 2.019,24 Euro Bruttorente bleiben dem Flexirentner nach allen Abzügen dann 1.162,84 Euro netto im Monat übrig – also fast eine Halbierung.
Aber wie hoch wäre die Belastung in unserem Beispiel bei einem Durchschnittsgehalt von 60.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen und einer Flexirente von 1.301 Euro? Hier werden 4.945 Euro Mehrsteuer jährlich fällig. Netto bleiben also nach Sozialabgaben und Steuern von der Flexirente noch 783 Euro im Monat - ein Abzug von rund 40 Prozent.
Positiver ist das Szenario, wenn es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Geringverdiener mit nur 30.000 Euro Jahreseinkommen handelt. Seine schmale Flexirente von 504 Euro würde bei Weiterarbeit zwar auf 346 Euro netto schrumpfen, doch das wäre für Geringverdiener möglicherweise schon eher ein erwägenswertes Zubrot zum Monatslohn.
Steuerliche Auswirkungen extrem verschieden
Wie die Kombination von Rente und Arbeit sich steuerlich auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat die Abgabenlast für Alleinstehende und Paare verschiedener Einkommensklassen berechnet und bietet damit eine Grundlage zur groben Orientierung (externer Link). Demnach müssen je nach Fall vom Hinzuverdienst zwischen 32,5 und 46 Prozent abgezogen werden, um auf den Nettobetrag zu kommen, der übrig bleibt.
Weiter arbeiten ideal für Bezieher abschlagsfreier Renten
Rentenberaterin Mößner rät allen "besonders langjährig versicherten" Fachkräften, die nach Lehre und durchgängigem Berufsleben eine 45-jährige Rentenbiografie vorweisen können, zu einer Doppelstrategie. Wer zum Beispiel 1962 geboren wurde, sollte im Unternehmen bleiben, die letzten Jahre die Arbeitszeit reduzieren oder Nachfolger einarbeiten. So könne man mit 64 Jahren und acht Monaten in abschlagsfreie Altersrente gehen und diese als abschlagsfreie Flexirente neben dem Gehalt beziehen. "Die meisten Fachkräfte wissen das nicht und lassen so monatlich viel Geld auf der Straße liegen", so die Expertin des Bundesverbandes der Rentenberater.
Und für alle, die nicht weiter arbeiten möchten und deshalb mit dem vorzeitigen Rentenbeginn in 2025 liebäugeln, gibt es einen Tipp von LoHi-Steuerexperte Tobias Gerauer. Sie sollten spätestens ab 1. Dezember 2025 ihre Rente beziehen, denn mit jedem Jahreswechsel erhöht sich der steuerpflichtige Anteil der Rente. Der naheliegende Reflex, zum Jahresende Schluss zu machen, würde mit Rentenbeginn zum 1. Januar 2026 also steuerlich ein Verlustgeschäft.
- Zum Artikel: Rente und Steuerpflicht – Das müssen Sie wissen
Dieser Artikel ist erstmals am 21. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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