Pfandflaschen sammelnde Person
Bildrechte: picture alliance
Audiobeitrag

Armutszeichen: Pfandflaschen sammeln wenn die Rente nicht reicht

Audiobeitrag
> Wirtschaft >

Nur 1.250 Euro im Monat? So geht es den Rentnern in Bayern

Nur 1.250 Euro im Monat? So geht es den Rentnern in Bayern

"Vier von zehn Rentnerinnen und Rentner haben in Deutschland ein Netto-Einkommen von weniger als 1.250 Euro im Monat", so das Statistische Bundesamt. BR24 analysiert die bayerischen Daten. Für ein "Armutszeugnis" taugen sie isoliert betrachtet nicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Vier von zehn Rentnerinnen und Rentnern (42,3 Prozent) in Deutschland haben ein Netto-Einkommen von weniger als 1.250 Euro im Monat, so eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes vom September 2023. Ein "Armutszeugnis", befand der Linken-Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch, der diese Statistik angefordert hatte. Wird diese Aussage durch die vorliegenden Daten tatsächlich gedeckt?

Was die Daten nicht hergeben

Die Antwort: Nein, zumindest nicht hinreichend. Im Gegenteil kann es geradezu Fehldeutungen provozieren, allein die Höhe der Netto-Altersrente zu betrachten. Würden sich Sozialpolitiker nur auf diese eine Zahl verlassen, könnten sogar ganz falsche Impulse gesetzt werden.

Was zum Beispiel ist mit der Witwe, die nie oder wenig gearbeitet hat, daher kaum Rente bezieht, aber die Villa des verstorbenen Gatten bewohnt und von dessen Rücklagen auskömmlich lebt? Was ist mit regionalen Kaufkraftunterschieden für ein und denselben Rentenbetrag? Außerdem: Statistische Erhebungen von Einkommen oder Vermögenswerten sind immer mit unvermeidbaren methodischen Schwächen (etwa Falschangaben) behaftet.

Regionale Kaufkraftunterschiede relativieren Einkommensstatistik

Wer in Stadt oder Landkreis München, Starnberg oder Miesbach allein mit einer Altersrente von 1.000 Euro auskommen muss, kann tatsächlich ein Problem haben. Das liegt aber nicht allein an der Höhe der Rente, sondern an ihrer regionalen Kaufkraft, wie der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft für insgesamt 401 Kreise in Deutschland berechnete. In München beträgt die reale Kaufkraft von 1.000 Euro nur 763 Euro, im niedersächsischen Landkreis Holzminden jedoch 1.156 Euro. Rentner ohne Verlangen nach süddeutschem Großstadtflair leben dort also mit dem gleichen Geld viel preiswerter.

Münchner, die einen gleich oder sogar reichhaltiger befüllten Warenkorb möchten, müssen nach Holzminden ziehen oder sich anderswo umschauen. Grundsätzlich sind regionale statistische Unterschiede beim Rentenbezug nicht zu unterschätzen und erklären sich durch die Wirtschaftsstruktur der betroffenen Bundesländer. So haben etwa die Männer in Baden-Württemberg im Schnitt längere Versicherungszeiten, waren seltener arbeitslos und haben mehrheitlich gut verdient.

Bayerns Agrar- und Tourismuswirtschaft als Einkommensmalus

Interessant ist der Blick auf die Daten dennoch, wenn man Bayern mit dem Bund vergleicht. Der Blick auf die bayerischen Daten, die BR24 exklusiv vorliegen (Quelle: Destatis 2024, Mikrozensusdaten 2022) verrät nämlich, dass Frauen im Freistaat stärker unter der 1.250-Euro-Schwelle liegen als Rentnerinnen im Bund. Dort sind es 53,5 Prozent, in Bayern jedoch 56,9 Prozent. Weniger Männer als Frauen haben niedrige Renten - die für den Bund zutreffende Aussage gilt in Bayern also verstärkt.

Nach den Gründen befragt, nennt der Sozialverband Bayern zwar keine Statistiken, aber Erfahrungswerte. Und die weisen auf die Wirtschaftsstruktur Bayerns hin, zu der Zeit als die heutigen Rentnerinnen noch aktiv Beiträge zahlten. Damals war Bayern noch stärker als heute von Agrar- und Tourismuswirtschaft geprägt, viele Frauen dort tätig. Deren relativ niedrige Löhne bedingten relativ niedrige Beiträge, was heute zu relativ oder absolut niedrigeren Renten führt. Auch die Tätigkeit mithelfender Familienangehöriger (ohne sozialversicherungspflichtige Anstellung) spielt laut aktuellem Sozialbericht der bayerischen Staatsregierung hier eine Rolle.

Haushaltsbetrachtung statt persönliches Nettoeinkommen

Nicht zufriedenstellend, aber etwas entspannter wird die Lage jedoch, wenn man statt das persönliche Nettoeinkommen das "Haushaltsnettoeinkommen" auf Grundlage der Mikrozensus-Daten untersucht.

Denn in Haushalten ergeben sich Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftens, fixe Lebenshaltungskosten verteilen sich auf mehrere Schultern, Wohnraum und Auto werden gemeinsam genutzt - alles geldwerte Vorteile im praktischen Leben, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Hier schnurrt das "dramatische Ergebnis" auch für Rentnerhaushalte nach Datenlage zusammen. Bundesweit gibt es 12,4 Prozent Haushalte mit weniger als 1.250 Euro Renteneinkommen im Monat, in Bayern sind es 12,9 Prozent. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau sind hier jedoch noch drastischer, in Bayern haben doppelt so viele (16,5 Prozent) rein weibliche Haushalte weniger als 1.250 Euro Haushaltsnettoeinkommen im Monat.

Wenn Haushaltsnettoeinkommen unter 1.250 Euro liegen, trifft es im Verhältnis zur Gesamtzahl doppelt so häufig Rentnerhaushalte. Das entspricht den gesicherten Erkenntnissen der Sozialforschung. Demnach entwickelt sich das allgemeine Einkommensarmutsrisiko U-förmig über den Lebenszyklus, mit höheren Werten der Armutsgefährdungsquote in jüngeren Jahren, also in der Zeit von Berufsausbildung und -einstieg sowie in der Ruhestandsphase ab 65 Jahren.

Wer das Pech hat, zu diesen Gruppen zu gehören und kein weiteres Vermögen besitzt, lebt wahrscheinlich auch in Bayern prekär und hat die volle Aufmerksamkeit der Sozialpolitik verdient.

Fazit: Einkommensstatistik mit Risiken und Nebenwirkungen

Lebensrealitäten sind komplex. Geringe verfügbare Haushaltseinkommen können, müssen aber nicht zwangsläufig mit existenzbedrohenden Mangellagen einhergehen. Eine Beruhigung für die Sozialpolitik ist dies dennoch nicht. Im Gegenteil deuten verschiedene Indikatoren wie etwa aktuell steigende Inflationsrisiken auf zunehmende Belastungen von Rentnerhaushalten hin.

Wer "Armutszeugnisse" ausstellen will, kommt also nicht drumherum, im Einzelfall zu betrachten, wer aus welchem Sicherungssystem wie viele Transfers bezieht und inwieweit hier Steuern und Abgaben fällig sind. Die Einkommensstatistik allein reicht dazu definitiv nicht und muss um eine Vermögensbetrachtung ergänzt werden. Über solche Fehlinterpretationen informiert übrigens regelmäßig das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung mit der "Unstatistik des Monats".

Dieser Artikel ist erstmals am 18.02.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!