In vielen Gemeinden kämpfen kleine Betriebe ums Überleben. Oft fehlen Fachkräfte oder hohe Energiekosten werden existenzbedrohend. Eine Option, um die Läden zu erhalten, können Genossenschaften sein. Dafür schließen sich mehrere Menschen zusammen, um gemeinsam den Betrieb weiterzuführen.
Letzter Bäcker im Ort macht dicht
Drei Uhr nachts, Mitte Dezember vergangenen Jahres: In seinem Laden in Winterhausen bei Würzburg backt Andreas Rother seine letzten Brötchen. Der Bäcker kämpft mit gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen. Allein sein Stromabschlag hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Dazu die Corona-Krise. Rother verdiente 60.000 Euro weniger als erwartet. Der Betrieb rechnet sich einfach nicht mehr. "Wenn ich könnte, wenn ich einen Weg wüsste, würde ich weitermachen", sagt Rother.
Unterstützung im Ort ist groß
Im vergangenen Herbst haben die Winterhäuser ein Straßenfest für ihren Bäcker veranstaltet. 3.000 Euro kamen zusammen. Doch das reicht nicht. Eine Idee gibt es aber noch. Bürgermeister Christian Luksch und Thomas Reuter, ein langjähriger Kunde, haben einen Plan. Sie wollen, dass es im Dorf weiterhin einen Bäcker gibt. Denn die Bäckerei von Andreas Rother war die letzte im Ort. Für viele hier war die Bäckerei nicht nur ein Ort zum Einkaufen – sondern ein sozialer Treffpunkt.
Eine Überlegung: Den Laden als Genossenschaft weiterzuführen. "Das Entscheidende wäre auf jeden Fall, dass man die ganzen Bürger mitnimmt", sagt Thomas Reuter, der sich für die Idee stark macht. "Es geht um uns hier im Ort und nicht nur um irgendetwas Fremdes. Da ist eine Genossenschaft als Betriebsform auf jeden Fall oder als wirtschaftliche Form eine tolle Möglichkeit, um Leute zu binden – und überhaupt zu begeistern."
So funktioniert eine Genossenschaft
Bislang hat die Bäckerei nur einen Besitzer. Dieser trägt das finanzielle Risiko allein. Bei einer Genossenschaft würde die Bäckerei vielen Personen gehören. Diese müssen dafür Anteile zeichnen – also Geld zur Verfügung stellen. Das finanzielle Risiko liegt damit nicht mehr nur bei einer Person – sondern bei vielen.
Doch nicht immer ist das die geeignete Lösung. "Bei Läden habe ich immer wieder ein großes Dilemma. Ich habe immer viel Zulauf, wenn es um das Thema Kapitalausstattung geht. Also viele geben mir Geld, um den Laden einzurichten", erklärt Max Riedl, Gründungsberater beim Genossenschaftsverband Bayern. "Aber was mir oft fehlt, ist dann die regelmäßige Kundschaft im Laden."
Dorfladen mit Kunden als Anteilseigner
Denn auch eine Genossenschaft überlebt nur dann, wenn sie genug Umsatz macht. Ob das in Winterhausen der Fall wäre? In Wollbach, im Landkreis Rhön-Grabfeld hat es funktioniert. Seit einem Jahr gibt es dort wieder einen Dorfladen. Der frühere Inhaber hatte aufgehört. Nun betreibt ein Unternehmen aus Bremen das Geschäft – in Form einer Mischung aus GmbH und Genossenschaft.
Voraussetzung: 300 Personen mussten zunächst Anteile zeichnen. So will das Unternehmen sicherstellen, dass ausreichend viele Kunden im Laden einkaufen. Der Laden habe gefehlt, als er weg war, sagt Kundin Elisabeth Lindenthal: "Da wollten wir das auch unterstützen. Das hat eben Gemeinschaftsgeist im Dorf gezeigt, dass diese 300 Leute gleich zusammengekommen sind. Das ist schon etwas Besonderes."
Dadurch, dass viele Kunden selbst Anteile besitzen, identifizierten sie sich mit dem Dorfladen, bestätigt Filialleiterin Regina Kesselring. "Auf jeden Fall merkt man, dass die Teilhaber eine ganz andere Bindung haben zum Laden." Mit einer Kundenkarte können die Wollbacher rund um die Uhr im Laden einkaufen. Das Unternehmen plant jetzt weitere Filialen – abgesichert durch Genossenschaftsanteile.
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Bürger finanzieren eigenes Windrad
Doch nicht nur im Einzelhandel setzen Bürger auf Genossenschaften. In Altertheim bei Würzburg haben 180 Personen ein Windrad ermöglicht. 1,7 Millionen Euro brachten die Bürger für das Windrad zusammen. Sie wollten grünen Strom erzeugen. Gleichzeitig ist das Windrad eine Geldanlage. Bereits zwei Mal hat die Genossenschaft eine Dividende ausgeschüttet.
Möglich ist das nur durch viel ehrenamtliches Engagement. "Also wenn wir von Anfang gewusst hätten, was wir uns da aufladen, hätten wir vielleicht zweimal überlegt, ob wir es machen. Aber wir wollten einfach Richtung Klimaschutz etwas machen und haben angefangen", sagt Vorstand Herbert Friedmann. "Hinterher mussten wir feststellen: Naja, es sind dann doch 350, 400 Arbeitsstunden pro Jahr pro Vorstand, die da anfallen – wir sind drei geschäftsführende Vorstände. Also schon eine Menge." Ohne Idealismus geht es also nicht. Trotz allem ist das Bürgerwindrad ein Erfolgsmodell: Inzwischen plant die Genossenschaft ein zweites.
- Zum Weiterlesen: Gemeinsam stark: Genossenschaften und Kollektive
Eine Idee, die im Trend liegt. In Bayern gibt es nach Angaben des Genossenschaftsverbands Bayern knapp 1.000 Genossenschaften im Waren- und Dienstleistungssektor, sie machten 2021 fast 14 Milliarden Euro Umsatz. Schon seit mehreren Jahren gibt es einen Anstieg bei den Gründungen. Im vergangenen Jahr waren es 34 neue Genossenschaften. Mehr als doppelt so viele wie noch 2018.
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