Laut einer aktuellen Branchenumfrage der Wirtschaftsauskunftei Creditreform will nur jeder zweite Handwerksbetrieb in naher Zukunft investieren. Die Krisen haben uns umzingelt, sagt Jörg Dittrich, der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, im Gespräch mit BR24. Die Energiepreise seien dabei nur eine Komponente. Denn berechtigterweise müssten die Beschäftigten mehr Geld bekommen, die Sozialversicherungsbeiträge und quasi alles würden steigen. Dies sei eine Situation, mit der ein gesunder Betrieb nur schwer umgehen könne. Vor allem, wenn die eigene Leistung dann vielleicht auch für die Kunden unbezahlbar werde.
- Zum Artikel: Alles wird teurer: Wird der Handwerker bald unbezahlbar?
Immer mehr Verbraucher verzichten auf Handwerker
Das macht sich derzeit schon bei den Betrieben bemerkbar. Viele Verbraucher überlegen mittlerweile noch genauer, ob sie sich einen Handwerker leisten oder nicht. Die Geschäftslage hat sich eingetrübt. Langfristig sind die Aussichten aber positiv, denn die Handwerker sind diejenigen, die die Energie- und Klimapolitik umsetzen, meint Wirtschaftsminister Robert Habeck und spricht nicht vom goldenen, sondern vom gold-grünen Boden. Das Handwerk werde in Zukunft Konjunkturmotor sein. Die große Transformation, die wir in vielen Bereichen erleben, sei zwingend darauf angewiesen, dass das Handwerk stark sei und genug Hände und Köpfe habe. Am Ende hänge es am Handwerk.
Studium statt Blaumann: Hunderttausende Handwerker fehlen
Man kann das aber auch anders auslegen und sagen, dass es genau da "hängt", im Sinne von: Es geht nicht voran. Und zwar, weil die Fachkräfte fehlen, um die Energiewende umzusetzen. Wände müssen gedämmt, Heizungen getauscht, Wärmepumpen eingebaut werden. Es fehlt an Händen im Handwerk, räumt auch Wirtschaftsminister Habeck ein. Bundesweit geht es dabei um mindestens 250.000 Fachkräfte. Tendenz steigend. Viele junge Leute wollen lieber studieren, als einen Blaumann anziehen.
Als "besorgniserregend" bezeichnete der Präsident des Bayerischen Handwerkstags, Franz Xaver Peteranderl, den Nachwuchsmangel in der Branche. Im vergangenen Jahr seien 8.000 Lehrstellen in Bayern nicht zu besetzen gewesen, sagte Peteranderl bei BR24 im BR Fernsehen. Das sei ein Viertel des gesamten Lehrstellenangebots. Peteranderl hofft, dass sich die Lage in diesem Jahr bessert, da das Handwerk wieder auf Orientierungsmessen für sich werben könne.
Ein Grund für das geringe Interesse an Handwerksberufen sieht der Handwerkstags-Präsident in einem falschen Bild, das Jugendliche, Eltern und auch Lehrer vom Handwerk hätten.
"Handwerk hat große Chancen für die jungen Leute, ist ein stabiler Arbeitsplatz und ein stabiles Fundament für die Ausbildung für ihre Zukunft." Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstags
Mehr Jugendliche für eine Ausbildung begeistern - das ist deshalb das Ziel von Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Zuallererst brauche man eine Berufsorientierung in allen Schulsystemen, vor allem auch in den Gymnasien. Berufliche und akademische Bildung müssten gleichwertig sein. Dies sei momentan nicht gegeben. Der deutsche Qualifikationsrahmen stelle den Bachelor auf eine Stufe mit dem Meister. Das müsse auch gesetzlich verankert werden, so Dittrich.
Habeck will bürokratische Hürden beseitigen
Außerdem fordert das Handwerk mehr Entlastungen bei Steuern und Abgaben und weniger Bürokratie. Zumindest hier gibt es positive Signale von Wirtschaftsminister Robert Habeck. So habe man im Bereich der erneuerbaren Energien eine Reihe von Hürden beseitigt. Das könne man ebenfalls für Gründungen machen oder für die Übernahme von Handwerksbetrieben, sagt Habeck. Man wolle themenspezifisch Dinge identifizieren, die man als Ballast nicht mehr brauche, die einmal eingeführt wurden, aber jetzt eher hinderlich seien. Daran werde man konsequent weiterarbeiten.
Um effizienter zu produzieren und um Kosten wie Fachkräfte einzusparen, werden viele Betriebe aber auch selbst aktiv und setzen immer stärker auf Digitalisierung. Immer mehr sind auf den Baustellen mit Smartphone und Tablet unterwegs, um Baufortschritte zu dokumentieren und Arbeitsschritte zu erleichtern.
Von der Politik fordert das Handwerk weiterhin bessere Rahmenbedingungen. Am Freitag treffen die Präsidenten der deutschen Wirtschaftsverbände am Rande der Messe Bundeskanzler Olaf Scholz zum Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft. Die rasant gestiegen Preise und weitere Entlastungen werden auch da ein großes Thema sein.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!