Was muss jemand mindestens bekommen für seine Arbeit in der Stunde? Lange war das in Deutschland – anders als in vielen europäischen Ländern – nur in Tarifverträgen geregelt. 2015 wurde der gesetzliche Mindestlohn dann eingeführt, damals 8,50 Euro in der Stunde. Viele Wirtschaftsforscher warnten vor einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen – der fand aber nicht statt.
Nun kann der Mindestlohn – soll er denn zum Lebensunterhalt ausreichen – nicht auf dem einmal festgelegten Niveau festgezurrt sein. Er muss der Einkommensentwicklung folgen, das steht im Gesetz. Eine eigene Kommission berät alle zwei Jahre, ob die Lohnuntergrenze angehoben oder vielleicht auch gesenkt werden müsste. Dabei sollen sie unter anderem im Blick haben, wie die Löhne insgesamt steigen, aber auch die Wirtschaftslage der Firmen. Per Verordnung setzt die Regierung dann einen neuen gesetzlichen Mindestlohn fest, doch über den wird gerade gestritten.
15 Euro Mindestlohn? Koalition uneinig
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könnte sich einen Mindestlohn von 15 Euro vorstellen, die Gewerkschaften und Sozialverbände auch. Wirtschaft und FDP protestieren. Dabei gibt inzwischen die EU eine Richtlinie vor. Sie empfiehlt, den Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Einkommens festzuzurren. Das wären um die 14 Euro, statt gerade 12,41 Euro. Daran ist Deutschland aber nicht gebunden.
Wie viele Menschen haben von der letzten Mindestlohnerhöhung profitiert?
Vorneweg: Aktuelle Zahlen dazu, wie viele Menschen derzeit in Bayern den Mindestlohn bekommen, stellen weder die Statistischen Ämter noch die Bundesagentur für Arbeit bereit. Im April 2023 haben laut Daten des Statistischen Bundesamtes deutschlandweit rund vier Millionen Beschäftigte weniger als 12,41 Euro pro Stunde verdient. Das waren etwa zehn Prozent aller Angestellten. Fast zwei Drittel davon in geringfügiger Beschäftigung. Sie alle haben von der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12,41 Euro Anfang 2024 profitiert.
In Bayern betraf die Erhöhung rund 650.000 Beschäftigungsverhältnisse. Damit lag der Freistaat im Bundesländer-Vergleich im unteren Bereich, wie die folgende Grafik zeigt:
In den ostdeutschen Bundesländern erhalten durch den neuen Mindestlohn mehr Menschen mehr Lohn. In den Stadtstaaten und in Bayern dagegen wirkt sich die Erhöhung weniger aus. Laut Martin Popp vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt das vor allem daran, dass dort das Lohnniveau generell höher liegt.
Große regionale Unterschiede in Bayern
Das ist allerdings kein Grund für Jubel: Die höheren Löhne hängen meist mit höheren Lebenshaltungskosten zusammen. Aus rein ökonomischer Sicht wäre, so Martin Popp, ein regionalisierter Mindestlohn, gekoppelt an das lokale Preisniveau, ein Lösungsansatz. Ein IAB-Bericht aus dem Jahr 2022 ergab etwa, dass im Raum München ein Mindestlohn, der eine reelle Kaufkraft von 12 Euro aufweisen soll, bei 13,19 Euro liegen müsste.
Allerdings gibt es auch innerhalb Bayerns große Unterschiede, was das mittlere Einkommen angeht, wie die folgende Karte zeigt:
Laut dem Bericht des IAB aus dem Jahr 2022 sind es vor allem ländliche Regionen mit schwächerer Infrastruktur, in denen das Lohnniveau niedriger ist – in denen aber auch die Lebenshaltungskosten geringer sind. Im Nordosten Bayerns zum Beispiel würde bereits ein Mindestlohn von 11 bis 11,50 Euro die Kaufkraft von 12 Euro erreichen. Entsprechend war hier auch ein höherer Anteil der Beschäftigten von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12,41 Euro zu Beginn des Jahres betroffen.
Auf Bayern als Gesamtes gesehen funktioniert die Idee einer bundesweit gleichen, gerechten Lohnuntergrenze aktuell nicht hundertprozentig. Oft wird in Zusammenhang mit dem Mindestlohn angeführt, dass zumindest eine in Vollzeit beschäftigte Person von ihrer Arbeit leben können sollte. Ein einheitlicher Mindestlohn garantiert jedoch nicht, dass dies auch in hochpreisigen Regionen der Fall ist.
Welcher Mindestlohn für den Freistaat?
Das wird sich auch mit der kommenden Erhöhung des Mindestlohns auf 12,82 Euro zum 1. Januar 2025 kaum ändern. Nach der Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes könnten davon in Bayern wieder nur 11,8 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse betroffen sein – in Mecklenburg-Vorpommern dagegen rund 17 Prozent. Ein regionalisierter Mindestlohn könnte Abhilfe schaffen – brächte aber auch Nachteile wie höheren Verwaltungsaufwand mit sich.
Was den bundesweit einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn angeht, wird die Mindestlohnkommission Mitte 2025 einen Beschluss über weitere zukünftige Erhöhungen fassen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie hoch diese Anpassungen ausfallen werden. Nicht auszuschließen ist auch, so Martin Popp vom IAB, dass einige Parteien im Zuge des kommenden Bundestagswahlkampfes eine zweite sprunghafte Anhebung des Mindestlohns, ähnlich wie im Jahr 2022, fordern werden. "Eine solche außerplanmäßige Erhöhung, beispielsweise auf 14 Euro, würde jedoch ein erneutes Eingreifen der Politik in die unabhängige Arbeit der Mindestlohnkommission bedeuten", meint Popp.
Für Bayern wäre ein Mindestlohn in diesem Bereich – der auch der EU-Vorgabe entsprechen würde – erstmals deutlicher spürbar. Betrachtet man erneut die Daten aus dem April 2023, wäre fast 20 Prozent aller Beschäftigten – egal ob in Vollzeit, Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung – von dieser Erhöhung betroffen. Unterschiede zwischen den Bundesländern gäbe es aber weiter:
Über die Daten
Die verwendeten Daten stammen aus der sogenannten Verdiensterhebung. Das ist eine repräsentative Betriebsbefragung, bei der beispielsweise die Anzahl der in Vollzeit, in Teilzeit und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und ihre Arbeitsstunden erhoben werden. Die Ergebnisse beziehen sich nur auf mindestlohnberechtigte Beschäftigungsverhältnisse. Nicht enthalten sind außerdem Angaben zu Auszubildenden, Praktikantinnen, Minderjährigen und Beschäftigten in Altersteilzeit.
Für die Wirtschaftszweige "Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung" und "Erziehung und Unterricht" werden die Werte nicht erhoben, sondern geschätzt – in der Karte sind sie deshalb ausgenommen. Sonderzahlungen, Überstundenvergütung und Zuschläge sowie die bezahlten Überstunden werden bei der Berechnung des Verdienstes nicht berücksichtigt.
Die Ergebnisse für den April eines jeden Jahres werden besonders aufbereitet und deshalb als Beispieldaten angegeben – der aktuellste Stand ist April 2023.
In der Karte wurden in zwei Fällen Arbeitsmarktregionen zusammengelegt, da die Daten nicht sicher genug sind: Cham mit Weiden in der Oberpfalz und der Zollernalbkreis mit Reutlingen. Diese Regionen haben die gleichen Werte.
Bei den Auswertungen der Anteile wurde, nach dem Vorbild der Auswertungen des Statistischen Bundesamtes, jeweils ein Stundenlohn angenommen, der um 5 Cent niedriger war. Es wurde also de facto ausgewertet, wie viele Beschäftigte unter 12,36 Euro, unter 12,77 Euro und unter 13,95 Euro Bruttoverdienst je Stunde bekamen.
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