Die Fenster sind weihnachtlich geschmückt, Tannenzweige, Strohsterne, Lichterketten. Auf dem Tisch im Gemeinschaftsraum liegen selbstgebackene Plätzchen. Hier lebt Patrick – noch. Der 21-Jährige muss heute aus der Jugendwohngruppe in Würzburg ausziehen. Die Konsequenzen sind ihm bewusst: "Wenn wir nichts finden, bin ich obdachlos."
- Zu Patricks Vorgeschichte: Wenn Menschen aus dem System fallen
Denn: Trotz aller Bemühungen der Einrichtung konnte keine Wohngruppe für Erwachsene gefunden werden, die Patrick aufnimmt. Er braucht eine spezielle intensivpflegerische Betreuung, da Patrick eine geistige Behinderung hat und seine Wut nicht kontrollieren kann. Immer wieder rastet er aus, demoliert die Einrichtung, wurde auch schon gegenüber den Pädagoginnen und Pädagogen handgreiflich.
Anteil der psychisch Kranken unter Obdachlosen besonders hoch
Dass Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen auf der Straße landen, ist nicht ungewöhnlich: Das Sozialreferat Würzburg gibt an, dass rund 70 Prozent der Obdachlosen in der Stadt zumindest psychisch auffällig sind. Warum der Anteil so groß ist, erklärt der Ärztliche Direktor der psychiatrischen Klinik in Lohr, Prof. Dominikus Bönsch: "Je komplizierter ein Mensch ist, je mehr Probleme er mitbringt, desto schwieriger wird die passgenaue Versorgung." Die Folge: Menschen wie Patrick bekommen nicht die Hilfe, die sie bräuchten. "Sie landen letztlich in der Obdachlosigkeit."
Ein deutschlandweites Problem, sagt Bönsch. Eine aktuelle Studie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf bestätigt das. Die Folgen sind dramatisch: Denn Menschen wie Patrick landen zunächst in der Wohnungslosenhilfe. Ein Ort, der quasi nicht mehr als ein Auffangbecken zur Unterbringung und Erstversorgung ist. Für die Betreuung der psychisch kranken obdachlosen Menschen ist sie nicht zuständig, heißt es von der Wohnungslosenhilfe Nordbayern.
Gesetzliche Lücke erschwert passgenaue Hilfen
Eine gesetzliche Lücke: Ordnungsrechtlich muss sich die Kommune um die Menschen kümmern, die auf der Straße landen – doch alle weiteren Hilfen fallen unter das Sozialrecht. "Wir werden gezwungen, in diese Lücke reinzuhüpfen", sagt Michael Thiergärtner von der Wohnungslosenhilfe in Würzburg. "Natürlich ist es schwierig, wenn Menschen mit einer Diagnose hier herkommen – wir sind nicht mit psychiatrischem Fachpersonal ausgestattet." Projekte wie "Housing First" sollen diese Lücke schließen. Der erste Schritt also: Ein Dach über dem Kopf.
Viel mehr will auch Patrick nicht. Vor einigen Wochen war er zum Probewohnen in einer Einrichtung – dann kam die Absage. Unter anderem wegen seines teils aggressiven Verhaltens. Keine guten Aussichten. Denn die Wartelisten sind lang – gleichzeitig ist der Bedarf offenbar unbekannt.
Bayernweite Zahlen fehlen
Auf Anfrage beim bayerischen Sozialministerium heißt es, man wisse nicht, wie viele psychisch kranke Menschen in Bayern einen betreuten Wohnheimplatz benötigen. Das Ministerium verweist auf die Bezirke. Doch auch der Bayerische Bezirketag kann keine Zahlen nennen – und kennt damit letztlich den Bedarf nicht. Ein Systemfehler, der für Patrick katastrophale Folgen haben kann.
Dabei hat er ein Recht auf eine für ihn passende Betreuung, auf ein Zuhause. Die drohende Obdachlosigkeit macht ihm große Angst: "Unruhig fühle ich mich. Hab da so eine Unruhe drin in mir."
Richterlicher Beschluss: Psychiatrische Klinik
Eine letzte Option: Einweisung in die Klinik. Die ist jetzt kurzfristig bewilligt worden vom Amtsgericht Würzburg. Keine echte Perspektive, weiß Prof. Dominikus Bönsch: "Die Aufgabe eines psychiatrischen Krankenhauses ist die Akutbehandlung." Wenn die abgeschlossen ist, gibt es kein Geld mehr von der Krankenkasse. Genauso, wenn die Gründe für eine Eigen- oder Fremdgefährdung nicht mehr vorliegen. "Die Unterbringung bei uns hat in allen Fällen ein rasches, natürliches Ende und ist nicht unbegrenzt." Eine Zwischenlösung also. Davon hat Patrick schon viele durchgemacht. Dabei will er endlich einfach nur ein richtiges Zuhause.
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