Entspannt schlendert Klaus-Dieter Fritsche am Nachmittag in den Sitzungssaal 4.900 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags - mit drei Stunden Verspätung. Um 12.00 Uhr sollte die Sitzung beginnen. Da die Mitglieder des Untersuchungsausschusses aber den vom Ausschuss-Ermittlungsbeauftragten, dem Ex-Grünen-MdB Wolfgang Wieland, erstellten Bericht über die geheimdienstlichen Aspekte des Wirecard-Skandals diskutieren, beginnt die Vernehmung erst am Nachmittag.
Anders als viele andere Zeugen vor ihm lässt sich Fritsche nicht von einem Anwalt in den Zeugenstand begleiten. Offenbar befürchtet Fritsche nicht, dass er sich mit seiner Aussage im Wirecard-Untersuchungsausschuss Ärger einhandeln könnte. Den Verlust seines Jobs muss er nicht befürchten.
DAX-Konzern hatte keine Verbindungen zur Bundesregierung - da kam Fritsche ins Spiel
Fritsche ist 67 Jahre alt und Pensionär. In seinem Berufsleben hat er an der Spitze mehrere Behörden gearbeitet und sich dort einen Ruf als exzellenter Geheimdienst-Kenner erarbeitet. In seinen letzten vier Berufsjahren, bis 2018, hat Fritsche als Staatssekretär im Bundeskanzleramt die Arbeit der Geheimdienste des Bundes koordiniert.
Das mag einer der Hauptgründe dafür sein, dass sich Wirecard 2019 Fritsches Dienste sicherte. Er schildert seine Arbeit als "Lobbyist für Wirecard" vor den Ausschussmitgliedern für den inzwischen insolventen Konzern so: Er sei im Frühjahr 2019 von dem früheren bayerischen Polizeichef Waldemar Kindler, der hier kürzlich im Untersuchungsausschuss einen denkwürdigen Auftritt hingelegt hat, mit Wirecard zusammengebracht worden.
Der Konzern sei zwar im DAX gewesen, habe aber keinerlei Kontakte zur Bundesregierung gepflegt. "Wirecard wollte diese Kontakte intensivieren", sagte Fritsche. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Kanzleramt habe er sich daraufhin als "Türöffner" betätigt. Konkret sah das so aus, dass Fritsche daraufhin einen Gesprächstermin mit dem Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Lars Hendrik Röller, im September 2019 vermittelte. Daran hätten er sowie die früheren Wirecard-Vorstände Burkhard Ley und Alexander von Knoop teilgenommen.
Mit 6.000 Euro Honorar ein "Leichtgewicht"
Bei dem Gespräch habe Wirecard der Bundesregierung dann sein Geschäftsmodell erörtert. Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich das Unternehmen gerade darum, den Markteintritt in China zu organisieren. Dafür hatte Wirecard auch den früheren Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg eingespannt. Der frühere CSU-Politiker musste deswegen dem Ausschuss auch schon Rede und Antwort stehen.
Für vier Tage Arbeit habe Fritsche Wirecard zusammen 6.000 Euro in Rechnung gestellt - bei einem Tagessatz von 1.500 Euro. Angesichts ganz anderer Summen, die Berater in den vergangenen Jahren von Wirecard kassiert haben, sei er damit ja ein "Leichtgewicht", stellte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hans Michelbach (CSU) mehr oder weniger spöttisch fest.
Kenntnisse über Verbindungen des Unternehmens zu Geheimdiensten habe er nicht, gab Fritsche zu Protokoll. Auch von den Bilanzmanipulationen habe er, abgesehen von den Berichten in den Medien, nichts gewusst. Fritsche führte in diesem Zusammenhang unter anderem das Leerverkaufsverbot der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Februar 2019 an. Außerdem betonte er: "Wer im DAX ist, steht an der Spitze der Nahrungskette und hat das nicht mit rechtswidrigem Handeln geschafft. Dann kann ich auch für diese Firma tätig werden", verteidigte Fritsche seine Lobby-Arbeit.
Dem Ex-CEO Markus Braun und dem flüchtigen früheren Unternehmensvorstand Jan Marsalek sei er während seiner Tätigkeit für Wirecard im Jahr 2019 nie begegnet. Auf die Frage, ob sich Marsalek möglicherweise in Russland unter dem Schutz des dortigen Geheimdienstes aufhalte, antwortete Fritsche: "Dann gnade ihm Gott. Die Dienste dort arbeiten zum eigenen Wohl." Und er ergänzte: Sollte sich Marsalek dort aufhalten, habe er "eine erhebliche Gegenleistung zu erbringen".
Auch Ex-Geheimdienstkoordinator Schmidbauer im Zeugenstand
Weil er sich im November 2018 mit Jan Marsalek getroffen hat, muss auch Bernd Schmidbauer, Geheimdienstkoordinator unter Helmut Kohl im Kanzleramt, als Zeuge im Ausschuss aussagen. Schmidbauer, der ebenfalls ohne Rechtsbeistand vor den Abgeordneten sitzt, berichtet über ein gut dreistündiges, "angenehmes, lockeres" Treffen, bei dem es unter anderem um die allgemeine Situation in Libyen gegangen sei. Marsalek hat in dem Land dem Vernehmen nach in Zementfabriken investiert. Schmidbauer sagte zudem aus, er wollte im Rahmen dieses Treffens im Gegenzug von Marsalek etwas über seine Kenntnisse über chemische Kampfstoffe erfahren. Medienberichten zufolge soll Marsalek im Besitz der Formel für das Nervengift "Nowitschok" gewesen sein.
Schmidbauer schilderte den seit Juni vergangenen Jahres untergetauchten Wirecard-Vorstand allerdings eher als Kenner zum Beispiel von Telekommunikationstechniken: "Er hat die Menschen gebraucht, missbraucht. Je nach Fall. Andererseits wurde er aber auch missbraucht." Von wem und wie genau, das schilderte Schmidbauer nicht.
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