Es liest sich wie ein Börsenkrimi, der noch einigen Investoren schlaflose Nächte bereiten dürfte: Aktienkurse von Unternehmen, die noch vor Kurzem als Pleitekandidaten galten, steigen innerhalb kürzester Zeit rapide an. Hedgefonds, die auf sinkende Kurse gewettet hatten, verlieren dadurch Milliarden. So geschehen Ende Januar 2021 mit dem Kurs der Spielehandelskette GameStop. Dahinter steckten Kleinanleger, die der Finanzindustrie den Kampf angesagt haben. Über ein Phänomen, das viele Anlegerinnen und Anleger fasziniert und auch in Bayern seine Spuren hinterlässt.
Börsenhandel als Breitensport
In der Corona-Krise haben immer mehr Menschen die Börse für sich entdeckt, vor allem junge Leute. Es ist sogar schon vor der "Generation Aktie" die Rede. Gründe dafür: Das Handeln ist dank Smartphones so einfach wie nie zuvor. Neue Trading-Apps haben den Markt aufgemischt und konkurrieren um die junge Zielgruppe. Dieser Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und damit zu günstigen Handelsgebühren. Kombiniert mit einer Goldgräberstimmung an der Börse aufgrund des erwarteten Aufschwungs nach der Corona-Krise, hat sich in der Pandemie ein regelrechter Börsenboom entwickelt. Und immer mehr dieser neuen Anlegerinnen und Anleger interessieren sich für Finanztipps. Diese finden sie nicht nur auf YouTube, sondern auch auf Internetplattformen wie Reddit.
GameStop: Die verlorene Wette der Hedgefonds
Reddit bietet zahlreiche Foren, in denen sich Userinnen und User über Aktientrends austauschen. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte Anfang des Jahres das Forum "r/wallstreetbets". Dort koordinierte die Reddit-Community gezielt Käufe des börsennotierten Computerspiele-Konzerns GameStop. Dieser schrieb mit seinen Ladengeschäften seit Jahren Verluste. Das Unternehmen schien den Trend hin zur Digitalisierung der Spieleindustrie verschlafen zu haben.
Vor diesem Hintergrund gingen Großinvestoren davon aus, dass der GameStop-Kurs in der Pandemie aufgrund des Lockdowns vieler Innenstädte weiter in den Keller sinken würde. Die großen Hedgefonds wetteten auf Kursverfall und bedienten sich dabei der "Short-Selling"-Methode: Sie liehen sich Aktien des Gamestop-Konzerns und verkauften sie in der Hoffnung, sie später bei Kursverfall günstiger zurückkaufen und an die Leihstelle zurückgeben zu können. Nicht ohne Risiko, wie sich bald herausstellen sollte.
Aufstand der Kleinanleger: Meme-Stocks gegen Finanzindustrie
Eine Art Hobby der Reddit-Community ist es, genau dieser Wette von großen Hedgefonds einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit einem verabredeten, massiven Kauf von GameStop-Aktien trieben die Reddit-Fans den Kurs des strauchelnden Konzerns wieder nach oben. Lag der Kurs Anfang des Jahres noch deutlich unter 50 US-Dollar, schoss er ab Mitte Januar 2021 nach oben. Auf zwischenzeitlich knapp 500 US-Dollar. So wurde die Aktie zum sogenannten Meme-Stock. So werden Papiere bezeichnet, die Laien und Kleinanleger mit Informationen aus Plattformen wie Reddit nach oben pushen. Das Wort "Meme" leitet sich vom griechischen mimema ab und bedeutet "etwas Nachgeahmtes".
Doch nicht nur die Kleinanleger selbst trieben die Kurse nach oben. Die Großinvestoren fühlten sich gewissermaßen gezwungen, wieder in den Kauf der Aktie einzusteigen, um ihre Verluste zumindest teilweise auszugleichen. Diese Spekulation wurde für sie teuer: Denn sie mussten die Aktien zu einem teureren Preis zurückkaufen. Je länger sie damit warteten, desto größer wurde ihr Verlust. Gleichzeitig trieben sie mit ihren Käufen den GameStop-Kurs selbst mit an. Die Folge: Mehrere Hedgefonds kamen an den Rand der Insolvenz. Die Wallstreet-Investmentmanagement-Firma Melvin Capital musste gar mit 2,75 Milliarden US-Dollar durch andere Hedgefonds-Milliardäre gerettet werden. Die Entwicklung ging so weit, dass einige Onlinebroker den Handel mit Gamestop-Aktien einschränkten.
GameStop ist kein Einzelfall: So wie GameStop gehörten auch die US-Kinokette AMC Entertainment oder der frühere Smartphone-Hersteller Blackberry zu der Gruppe von Unternehmen, die sich bei Kleinanlegern in den letzten Monaten großer Beliebtheit erfreuten.
Turnaround-Spekulation: Alter Trend – neu organisiert
Der Mechanismus ist nicht neu. Die sogenannte "Turnaround-Spekulation" gab es schon lange vor dem Anstieg der GameStop-Aktie. Man versteht darunter den Kauf von Aktien eines Unternehmens, das sich in einer schwierigen Phase befindet. Die Hoffnung: Der Konzern könnte sich wieder erholen und den sogenannten "Turnaround" schaffen und bald wieder Gewinne erwirtschaften. Meistens befinden sich die Kurswerte in einem historischen Tief. Doch die Organisation Tausender Kleinanleger über Internetplattformen wie Reddit hebt diese Art der Spekulation auf ein neues Level. Denn die Kurssprünge können dadurch rapide zunehmen.
Bayerische Unternehmen im Fokus der Reddit-Crowd?
Längst hat der Trend auch Bayern erreicht. Zwar sind die Volumina der Käufe keinesfalls mit GameStop zu vergleichen. Doch es zeichnet sich ein gewisses Muster ab: Auf Plattformen wie Reddit wird unter anderem über die Adler Modemärkte AG mit Sitz im Landkreis Aschaffenburg diskutiert und spekuliert. Diese hatte am 10. Januar 2021 einen Insolvenzantrag gestellt. Grund nach Angaben des Unternehmens: Die Ausfälle durch die Schließung aller Filialen im Lockdown. Ein Insolvenzplan in Eigenverwaltung soll das Unternehmen retten. Für den Aktienkurs des Modehändlers hatte das verheerende Folgen: Von 2,28 Euro ging es in nur einem Tag auf 0,74 Euro nach unten.
Doch Mitte Mai änderte sich die Lage auf einmal: Die Bundesregierung kündigte an, der Adler Modemärkte AG einen Kredit über 10 Millionen Euro zu gewähren. Das war zwar kein Grund für großen Optimismus, schließlich war das Unternehmen weiterhin insolvent. Trotzdem stieg der Kurs innerhalb weniger Wochen von etwa 0,20 Euro auf über 1,50 Euro um mehr als 700 Prozent an. Ein Grund dafür: Auf Finanzforen wie Onvista wurde wild spekuliert. "Das mit der Insolvenz ist bestimmt nur ein Fake und eigentlich laufen die Geschäfte super", ist da zu lesen. Auch bei Reddit waren die Adler Modemärkte Thema.
Vorsicht vor Zocker-Papieren
Die Gefahr für die Kleinanleger bei dieser Aktion: Die Modekette wird vom Logistikkonzern Zeitfracht übernommen. Der plant, Adler von der Börse zu nehmen. Das bedeutet einen Kapitalschnitt mit einem Kurs von Null Euro. Die Aktionäre werden also quasi enteignet. Die Lehre daraus: Online beworbene Kaufempfehlungen, bei denen Börsenkurse von angeschlagenen Unternehmen gepusht werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Besonders dann, wenn das hehre Ziel fehlt, Hedgefonds eins auszuwischen. Das betont auch der Anlegerschützer Daniel Bauer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK) im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Er warnt davor, bei der Spekulation um insolvente Unternehmen einzusteigen.
"Es gibt Personen, die die Macht der Kleinanleger missbrauchen. Das führt dazu, dass Informationen, die man auf den einschlägigen Internetplattformen erhält, nicht sauber sind. Und wenn die entsprechenden Initiatoren ausgestiegen sind und die Aktien verkauft haben, sinkt der Kurs wieder in den Keller." Daniel Bauer, Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK)
Im Fall Adler gab es keine Großinvestoren, die auf den Konkurs der Firma spekulierten. Es sieht eher danach aus, als wollten die Initiatoren der Aktion eine Menge von Kleinanlegern zum Kauf bewegen, um dann die Aktien mit Gewinn zu verkaufen. Wer sich an der Aktion beteiligt hat und nicht früh genug ausgestiegen ist, hat unter Umständen viel Geld verloren.
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