Neubauwohnungen in Kirchheim bei München: Bis so eine Häuserreihe steht, müssen rund 4.000 Vorschriften berücksichtigt worden sein.
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Neubauwohnungen in Kirchheim bei München: Bis so eine Häuserreihe steht, müssen rund 4.000 Vorschriften berücksichtigt worden sein.

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Bayern will Baurecht lockern: Was bringen Söders Vorschläge?

Damit mehr gebaut wird im Freistaat, will Ministerpräsident Söder weniger Genehmigungspflichten und mehr Beinfreiheit für Bauträger und Immobilienbesitzer. BR24 hat nachgefragt, welche Forderungen Fachleute für sinnvoll halten.

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Fast 200.000 Wohnungen fehlen allein in Bayern. Schon lange gibt es Rufe von Experten und Fachgremien, die Bedingungen zu vereinfachen, unter denen gebaut wird. Das sei wichtig, um die Bautätigkeit im Freistaat anzukurbeln.

Nun hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seiner Regierungserklärung angekündigt, allein im Baurecht rund 30 Vorgaben abschaffen oder lockern zu wollen. BR24 fragt nach: Worum genau geht es? Was würde das bringen? Und was davon liegt überhaupt im Kompetenzbereich des Ministerpräsidenten?

Hauptaufgabe: Abschaffen "unnötiger Vorgaben"

In seiner Regierungserklärung hat Markus Söder versprochen, "unnötige Vorgaben" abzuschaffen. Aus Sicht des Bauindustrieverbands geht das "in die richtige Richtung". Weniger Verwaltungsvorschriften, schnellere und einfachere Baugenehmigungen – "davon werden alle profitieren", so Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbandes.

Auch für die Architektenkammer ist das "prinzipiell der richtige Ansatz". Denn unnötige Vorgaben gebe es genügend. Allein im Bauwesen müssen circa 3.800 Richtlinien und Normen berücksichtigt werden, so Rainer Post, der im Vorstand der Architektenkammer in Bayern sitzt.

"Nicht streichen um des Streichens willen"

"Natürlich wäre es gut, wenn wir das entschlacken könnten", sagt Post gegenüber BR24, aber: "Bauen ist so komplex, dass einfache Formeln nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung führen können." Er selbst arbeitet als Vertreter der Architektenkammer gemeinsam mit dem Bauministerium in einer neunköpfigen Expertengruppe genau daran. Noch in diesem Jahr wollen sie Vorschläge dazu auf den Tisch legen, wo Regelungen weggelassen werden könnten. Das Problem seien aber weniger die Vorgaben aus Bayern, sondern eher die Vorgaben aus Brüssel. Die müssten auch auf Bundes- und Länderebene umgesetzt werden und das fresse sehr viele Kapazitäten.

Die Ingenieurskammer mahnt beim Abbau von Vorschriften zur Vorsicht. Es sei immer sinnvoll, diese zu hinterfragen. "Wir sollten aber nicht streichen um des Streichens willen", so Andreas Ebert, Justiziar des Bayerischen Ingenieurskammer Bau. Söders Ankündigung, für jede neue Vorschrift zwei zu streichen, sei eine "pauschale Aussage. So ist das erstmal populistisch und bringt erstmal nichts".

Beim Gebäudetyp-e ist Bayern Vorreiter

Unnötige Vorgaben fallen den Verbandsvertretern viele ein: Viele Brandschutzvorgaben seien zu hoch, die Förderrichtlinien, insbesondere für den Mietwohnungsbau, glichen laut Rainer Post von der Architektenkammer einem "sehr engen Korsett", dann noch der Schallschutz und die Stellplatzverordnungen.

Wo Bayern schon große Fortschritte mache, das sei der Gebäudetyp-e, der unter anderem eine Art Mietwohnungs-Neubau Light ermöglicht, bei dem die Mindestschutzziele sichergestellt werden und das Bauen wieder einfacher werden soll. Hier habe Bayern auch auf Bundesebene schon viel vorangebracht, unter anderem 19 Pilotprojekte. Das Problem ist hier: Die Architektinnen und Architekten bräuchten gesicherte Regelungen, was den Haftungsrahmen angeht. Der müsste aber im BGB festgelegt werden – und das ist Zuständigkeit des Bundes. Hier wurden Anpassungen noch vor der Sommerpause angekündigt.

Im bundesweiten Vergleich, konstatiert Post, funktioniere das Bauen in Bayern bereits ziemlich gut. Aber allein schon die Vorgaben aus der EU seien "brutal viel", das führe bei allen Beteiligten zu Verdruss. Hinzu kommt, dass Deutschland sich nach wie vor 16 verschiedene Bauordnungen leistet – für jedes Bundesland eine. Das sei ein zusätzliches Problem und schwäche die hiesige Baubranche im europäischen Vergleich.

Genehmigungsfreier Ausbau von Dachgeschossen

Eine der Ankündigungen in der Regierungserklärung vom 13.6. lautet, dass der Ausbau von Dachstühlen genehmigungsfrei werden soll. Bei der Staatsregierung spricht man hier von einem "riesigen Potenzial" an unerschlossenem Wohnraum.

Das Potenzial erkennt auch der Bauindustrieverband. "Das erleichtert die Nachverdichtung und ermöglicht mehr bezahlbaren Wohnraum, dort, wo er am meisten gebraucht wird, nämlich in den bayerischen Städten", so Hauptgeschäftsführer Schmid.

Grundsätzlich liegt es im Kompetenzbereich der bayerischen Staatsregierung, solche Genehmigungspflichten abzuschaffen. In der Bayerischen Architektenkammer stimmt man dem zwar auch zu, man sieht diesen Vorstoß trotzdem mit gemischten Gefühlen. "Insbesondere bei Dachstühlen ist so ein Ausbau kompliziert", erklärt Rainer Post, Vorstandsmitglied der bayerischen Architektenkammer.

Brandschutz und Statik gewährleistet?

Da ist vor allem der Brandschutz eine große Herausforderung. Die Bauherren sind in der Pflicht, notwendige Rettungs- und Fluchtwege zur Verfügung zu stellen, außerdem muss auch ein ausgebauter Dachstuhl für die Feuerwehr erreichbar bleiben. Hinzu kommen noch andere bauliche Anforderungen: Passt die Statik der Konstruktion? Gibt es genügend Schallschutz? Wie sieht es mit zusätzlichen Stellplätzen für Autos, Fahrräder und Kinderwagen aus? Sind die Interessen der Nachbarschaft gewahrt, wenn beispielsweise das aufgebaute Penthouse viel teurer vermietet wird als die Bestandswohnungen?

All das, so Post, könne nur gewährleistet sein, wenn sich Fachleute so eines Ausbaus annehmen, also Architekten oder Ingenieurinnen. Faktisch aber würde eine Genehmigungsfreiheit eher den Wildwuchs fördern und damit auch das Umgehen eigentlich sinnvoller Schutzvorschriften.

Ähnliches befürchtet Andreas Ebert von der Ingenieurskammer Bau: "Häuslebauer müssten das im Schadensfall selbst ausbaden. Die Regel sind aber große Wohnungsbauer – und die wohnen da nicht drin." Eine Eigenverantwortung reiche bei so lebensgefährlichen Aspekten nicht aus: "Vereinfachen ja, aber nicht den Sicherheitsschalter auf 0 regeln." Sollte die Genehmigungspflicht wegfallen, müssten Behörden Stichproben machen dürfen, ob die materiellen Anforderungen stimmen: "Ein Damoklesschwert muss schweben", so Ebert.

Umwidmung von Bürogebäuden in Wohnraum

Wann immer Bürogebäude gebaut wurden: Sie sollten einen bestimmten Zweck erfüllen. Deshalb ist so eine Umwandlung von Büroflächen in Wohnraum oft nicht so einfach, wie man auf den ersten Blick meinen mag. Da sind nicht nur die oft bodentiefen Fenster über Eck, sagt Rainer Post von der bayerischen Architektenkammer: "Bei einer Nutzungsänderung muss sich das Gebäude schon genauer angeschaut werden." Wie viele Treppenhäuser hat und braucht es? Hat das Gebäude Balkone? Wie groß sind die Räume?

Ein Vorteil allerdings ist der Brandschutz. Denn in Gebäuden, in denen gearbeitet wird, gelten viel strengere Regeln als in Wohnhäusern. Der Brandschutz wäre bei so einer Umwidmung entsprechend geradezu übererfüllt.

Stellplatzpflicht abschaffen

Bisher regelt der Gesetzgeber über die Garagen- und Stellplatzverordnung die Stellplatzpflicht, gleichzeitig können die Kommunen eigene Stellplatzrichtzahlen vorgeben. Diese Pflicht soll nach Söders Worten nun abgeschafft werden. Auch das erntet Zuspruch vom Bauindustrieverband.

Rainer Post, Vorstandsmitglied der bayerischen Architektenkammer, fände so einen Schritt hingegen nicht sinnvoll: "Es wäre besser, wir hätten in Bayern eine einheitliche Stellplatzpflicht, die dann in kommunalen Satzungen nur in begründeten Fällen überschritten werden darf", sagt er gegenüber BR24. Grundsätzlich sollten "vor allem sich verändernde Mobilitätsstrukturen berücksichtigt werden."

Bislang sei es vielfach so, dass gerade in den Städten ständig Tiefgaragen gebaut werden müssten, die dann aber halbleer stünden, weil die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses bereits auf Carsharing, E-Autos oder ganz aufs Fahrrad umgestiegen seien.

Andererseits: Würde die gesetzliche Pflicht zur Regelung nun komplett wegfallen, dann müssten alle Städte und Gemeinden eine neue und eigene Regelung entwerfen. Post sieht hier die Gefahr, einer noch stärkeren Überregulierung oder – noch schlimmer – bei fehlenden Regeln ein Chaos mit Autos auf Gehsteigen. "Es ist gut, an die Stellplatzpflicht heranzugehen", führt Post aus. Aber das sollte eher mit Leitplanken vereinheitlicht werden.

Neue Obergrenzen im Vergaberecht

Beim Vergaberecht für öffentliche Aufträge hat Ministerpräsident Markus Söder eine "kleine Revolution" angekündigt. Im kommunalen Baubereich sollen die Obergrenzen für Direktaufträge auf 250.000 Euro und für die freihändige Vergabe auf eine Million Euro verzehnfacht werden. Die Staatsregierung verspricht sich davon schnellere und unkompliziertere Auftragsvergaben.

Bei der Architektenkammer ist man über diesen Vorschlag erfreut. Denn natürlich seien die strikten Vergaberichtlinien grundsätzlich richtig, um Korruption vorzubeugen, erklärt Vorstandsmitglied Rainer Post. Aber die Verfahren seien auch sehr aufwändig und mühselig. Er findet, die Idee sei "sicherlich ein guter Ansatz." Auch die Ingenieurskammer Bau steht dem wohlwollend entgegen, wünscht sich aber auch höhere Obergrenzen für den planenden Bereich.

Auch der Bayerische Bauindustrieverband hat sich im Vergaberecht noch mehr erhofft. Derzeit werden Aufträge selten an einen Generalunternehmer vergeben, sondern eher gestückelt über Fach- und Teillosvergaben. Zudem müssen sich kommunale Auftraggeber für das wirtschaftlichste Angebot entscheiden. Dies sei laut Industrieverband häufig das günstigste Angebot, nicht das Beste im Sinne des wirtschaftlich nachhaltigen Baus.

Fazit: Vieles wäre hilfreich, aber ob es auch kommt...

Viele der Forderungen sind so oder so ähnlich schon öfter aufgetaucht, auch vonseiten der Staatsregierung. Schon 2018 hatte Markus Söder versprochen innerhalb eines Jahres 10.000 neue Wohnungen zu bauen. Daraus wurden aber nur 682 neue Wohnungen, davon ist der Großteil auch nicht neu gebaut, sondern dazugekauft worden. Und das trotz mehrfacher Investitionsspritzen.

Auch bei den Fachverbänden weiß man, dass es viele Versprechen gibt, denen nur sehr wenige Taten gefolgt sind. Auch deshalb sagt Andreas Ebert von der Ingenieurskammer Bau, dass viele der Versprechungen auch einen populistischen Beigeschmack hätten. Schließlich ist die CSU seit jeher in Regierungsverantwortung und auch Markus Söder und sein Bauminister machen den Job schon länger. Rainer Post von der Architektenkammer sagt dazu nur: "No comment".

Dieser Artikel ist erstmals am 16.06.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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