Geldscheine mit dem Wert von 100 und 50 Euro liegen auf einem Tisch.
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Auf den deutschen Staat kommen hohe zusätzliche Ausgaben zu. Diese mit neuen Schulden zu begleichen ist wegen der Schuldenbremse nicht möglich.

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Behalten oder abschaffen? So funktioniert die Schuldenbremse

Die deutsche Wirtschaft verliert weiter an Fahrt, Ökonomen senkten ihre Prognosen und erwarten kaum noch Wachstum. Müsste die Regierung jetzt nicht dagegenhalten und die Schuldenbremse abschaffen, um die Konjunktur anzukurbeln? Eine Bestandsaufnahme.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Zum Sparen sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, meint SPD-Chef Lars Klingbeil. Deutschland sei mit seiner Schuldenbremse "auf dem völlig falschen Weg".

Ein anderer Weg - eine Umgehung der Schuldenbremse - scheint derzeit kaum gangbar, weil es politisch sehr schwierig ist, die Vorgabe Schuldenbremse zu ändern. Es gibt aber Möglichkeiten, sich damit zu arrangieren.

Welchen Weg beschreitet Deutschland mit der Schuldenbremse?

Vor der Schuldenbremse hatte der Staat die Möglichkeit, Mehrausgaben, die über seine Einnahmen hinausgingen, damit zu begründen, dass es sich um Investitionen für die Zukunft handele. Für solche Investitionen waren Kredite erlaubt. Aber die Abgrenzung zu den laufenden kurzfristigen Ausgaben war mitunter schwierig. Die Begriffe waren verschwommen.

Im Jahr 2009 ergänzte der Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz (Artikel 109, Absatz 3) dahingehend, dass der Staat innerhalb eines Jahres die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen generell nicht durch Kredite ausgleichen darf, wenn eine Lücke entsteht. Im Grundsatz darf es seitdem so gut wie keine Neuverschuldung mehr geben. Die Ausnahmen sind jetzt sehr eng begrenzt.

Die Schuldenbremse macht keinen Unterschied mehr: Ausgaben sind Ausgaben, egal ob es sich um Investitionen handelt oder nicht. Und die Einnahmen sollen grundsätzlich nicht mehr mit Hilfe von Krediten aufgebessert werden, weil dadurch die staatliche Gesamtverschuldung weiter steigt.

Seit 2016 gilt die Schuldenbremse für den Bund, seit 2020 auch für die Länder, nicht jedoch für die Kommunen. Städte und Gemeinden dürfen demnach fehlende Einnahmen aus Steuern und Abgaben immer noch mit Hilfe von Krediten ausgleichen.

Lindner will an Schuldenbremse festhalten

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will an der Schuldenbremse auf jeden Fall festhalten. Er hält das auch für machbar, wenn an einigen Stellen gespart wird. Auch weniger Sozialausgaben schlägt Lindner vor.

Es drohen zwar Mehrausgaben – etwa für Verteidigung, für Klimaschutz oder für die Energiewende. Angesichts von Rekordeinnahmen des Staates meint Lindner, es müsse möglich sein, alle Ausgaben so weit in den Griff zu bekommen, wie die Schuldenbremse das verlangt.

Das Grundgesetzes ließ Schulden früher nicht nur für Investitionen, sondern auch für die "Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" zu. Das wurde dann mit Krediten finanziert. Eine solche Störung ließe sich auch heute leicht diagnostizieren.

Wirtschaftsbeirat: Staat braucht keine Schulden

Der CSU-nahe "Wirtschaftsbeirat Bayern" weist darauf hin, dass sich von 1970 bis zum Inkrafttreten der Schuldenbremse vielfältige Gründe fanden, um die Staatsverschuldung des Bundes von damals 63 Milliarden Euro auf jetzt rund 1.600 Milliarden Euro nach oben zu treiben.

Der "Wirtschaftsbeirat Bayern" hält es in einer Analyse vom April 2024 nicht für notwendig, dass der deutsche Staat überhaupt mehr Schulden macht: "Die Gesamtsteuereinnahmen Deutschlands haben sich in den letzten zehn Jahren von rund 600 auf gut 900 Milliarden Euro und damit um über 50 Prozent erhöht."

Gleichzeitig prognostiziere der "Arbeitskreis Steuerschätzungen" bis 2028 Steigerungen der Gesamtsteuereinnahmen zwischen 30 und 50 Milliarden Euro in jedem Jahr. Der Spielraum für öffentliche Ausgaben Haushalte wird so gesehen immer größer.

Starker Arbeitsmarkt sorgt für hohe Einnahmen

Begünstigt wird vor allem der Bundeshaushalt außerdem von der hohen Beschäftigung auf Rekord-Niveau und der damit verbundenen geringen Arbeitslosigkeit. Noch nie wurden so viel an Lohnsteuer (rund 100 Milliarden Euro) und Sozialabgaben an den Bund abgeführt wie in den letzten Jahren. Gleichzeitig kann sich die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit über die insgesamt niedrige Zahl von Arbeitslosen und damit niedrige Ausgaben freuen.

Rentenzuschüsse fließen zurück an den Bundeshaushalt

Rentnerinnen und Rentner werden immer höher besteuert. So soll nach Berechnungen rund die Hälfte des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro im Jahr über die steigende Einkommensteuer und andere Abgaben von Rentnerinnen und Rentnern wieder zurück in die Staatskasse fließen.

Wenn man dann noch die versicherungsfremden Leistungen bei der Rente abzieht, für die keine Beiträge bezahlt wurden, bleibt nach diesen Berechnungen vom Bundeszuschuss schließlich nicht mehr sehr viel übrig. So kommt die gesetzliche Rentenversicherung auch für Erwerbsminderungsrenten und Hinterbliebene auf, berücksichtigt dabei Kindererziehungszeiten (Mütterrente) und ist Reha-Träger. Alles das müsste der Bund sonst auf andere Weise finanzieren, wenn er es nicht einfach der Rentenversicherung aufgebürdet hätte.

Die "Deutsche Rentenversicherung Bund" hat ausgerechnet, wie viel die Regierungen von 1957 bis 2020 auf diese Weise aus der Rentenkasse entnommen haben, und kam für diesen Zeitraum auf 909 Milliarden Euro an zweckentfremdeten Mitteln, die quasi den Beitragszahlern weggenommen wurden und ihre Renten geschmälert haben.

Auch die Schuldenbremse gibt dem Bund Spielraum

Anders als die Länder, die unterm Strich gar keine neuen Schulden mehr machen sollen, hat der Bund einen Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für zusätzliche Kredite. Gemessen an der Wirtschaftsleistung (BIP) 2023 von mehr als vier Billionen Euro (rund 4.120 Milliarden Euro) wären das strenggenommen 14,42 Milliarden Euro, die Lindner zusätzlich an Schulden machen dürfte.

Mit einigen Ausnahmetatbeständen plant Lindner jetzt für 2024 mit einer Neuverschuldung von 39 Milliarden Euro. Ob seine Rechnung aufgeht, hängt aber von der Konjunktur ab: Wenn zum Beispiel das Wirtschaftswachstum noch weiter zurückgeht, drohen Steuerausfälle.

Die große Ausnahme: Sondervermögen

Die Schuldenbremse sieht Ausnahmen vor: Es wäre ein Rückgriff auf europäische Schuldenregeln (EU-Fiskalvertrag) möglich, die bis zu 0,5 Prozent vom BIP für die Neuverschuldung vorsehen. Der Bund könnte auch angesparte Rücklagen auflösen und vielfältige Finanztransaktionen vornehmen oder sogenannte Sondervermögen bilden.

Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wurde zur Stärkung der Bundeswehr beschlossen, mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag, zu der auch die Stimmen der Unionsparteien CDU und CSU erforderlich waren. Diese Investitionen in die Streitkräfte könnten aber bald schon aufgebraucht sein. Experten rechnen deshalb nach der nächsten Bundestagswahl mit zusätzlichen Verteidigungsausgaben von bis zu 30 Milliarden Euro im Jahr.

Lindner schlägt vor, wenn es so weit ist, einfach alte Staatsschulden später zurückzuzahlen, als das im Moment noch vorgesehen ist. Bis zu neun Milliarden Euro könnten damit für die Truppe frei werden, wenn die Rückzahlung von Schulden auf einen späteren Zeitpunkt umgebucht würde.

Die Konjunkturkomponente: Wenn es schlechter läuft als erwartet

Abgesehen von Ausnahmen bei akuten Notsituationen wie Naturkatastrophen oder dem Verteidigungsfall sieht die Schuldenbremse auch eine sogenannte Konjunkturkomponente vor, die aus Einnahmen und Ausgaben herausgerechnet wird. Es geht dabei um Schwankungen im Staatshaushalt, die der momentanen Phase des Wirtschaftszyklus geschuldet sind.

In einer Rezession, wenn Staatseinnahmen wegbrechen, dürfte der Finanzminister den Etat stärker überziehen. In einer Boomphase erwartet die Schuldenbremse des Grundgesetzes dafür eine Rückzahlung von Staatsschulden. Das klingt vernünftig, ist aber in der Praxis seit Einführung der Schuldenbremse bisher noch nicht zur Anwendung gekommen.

Es gibt außerdem die Möglichkeit für den Staat, in schlechten Zeiten von einem "Ausgleichskonto" Gebrauch zu machen, und anschließend Schulden in besseren Zeiten wieder zurückzuzahlen.

Seit 2016, seit die Schuldenbremse für den Bund gilt, ist sie immer eingehalten, ja teilweise sogar übererfüllt worden. In der damaligen Nullzinsphase der Europäischen Zentralbank bis 2022 musste der Staat kaum Schuldzinsen zahlen. So konnten gleich mehrere ausgeglichene Haushalte mit einer "schwarzen Null", also ganz ohne Neuverschuldung, vorgelegt werden.

Corona hat alles verändert und die Schuldenbremse ausgesetzt

Ganz anders lief es in der Corona-Pandemie, die mit aufwändigen staatlichen Maßnahmen wie Impfkampagnen, Wirtschaftshilfen, Kurzarbeitergeld etc. bekämpft werden musste. So stiegen die öffentlichen Schulden im Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden, Gemeindeverbänden sowie der Sozialversicherung einschließlich aller Extrahaushalte bis Ende 2023 auf 2.445,4 Milliarden Euro. Das zeigt aber nur die direkt sichtbaren bisher angehäuften Verpflichtungen an, die man die explizite Staatsverschuldung nennt.

Neben dieser expliziten gibt es noch die implizite Verschuldung durch weitere Verpflichtungen des Staates, die nicht mit Rücklagen gedeckt sind. Dazu zählen etwa diverse Leistungsversprechen wie die Bezahlung der Beamtenpensionen, für die aktuell rund 50 Milliarden Euro im Jahr veranschlagt werden.

Außerdem gab es neue Leistungsversprechen der umlagefinanzierten Sozialversicherungen. Dazu zählen die Rente ab 63 oder die Haltelinie für das Rentenniveau von 48 Prozent. Das hat die implizite Staatsverschuldung trotz Schuldenbremse in die Höhe getrieben, genauso wie die geplanten Schulden für das Generationenkapital, aus dessen Erträgen später einmal die Rente mitfinanziert werden soll.

(Gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist der Anteil der Bundesmittel, die an die Rentenversicherung bezahlt wurden, aber zurückgegangen: 2003 waren das noch 3,5 Prozent vom BIP und 2022 nur noch 2,8 Prozent. Bis 2027 ist hier allerdings ein Anstieg auf 2,9 Prozent geplant.)

Öffentlichen Schulden stehen private Vermögen gegenüber

Gemessen am jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag die Gesamtverschuldung des Staates im vergangenen Jahr bei 65 Prozent und soll Lindner zufolge in diesem Jahr auf 64 Prozent sinken. Das gilt als tragfähig und ist viel geringer als in den meisten anderen Industriestaaten, EU- und Euroländern.

Außerdem steht den Staatsschulden in Deutschland ein Vielfaches an privaten Vermögenswerten gegenüber. Allein das private Geldvermögen, das kurzfristig verfügbar ist, beträgt laut Bundesbank rund 7,5 Billionen Euro. Das ist drei Mal so viel wie die gesamte Staatsverschuldung.

Hinzukommen Immobilien, Unternehmen und weitere Vermögenswerte. Vermögende können auch von Staatsschulden profitieren, indem sie zum Beispiel dem Bund seine Anleihen abkaufen und dafür Zinsen kassieren, die sie anschließend aber wieder versteuern müssen. So gibt es zahlreiche Wechselwirkungen zwischen Staat und Privatvermögen.

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