Die Vereinigten Staaten schützen ihre Wirtschaft – chinesische Produkte dürfen nur noch mit extrem hohen Zöllen eingeführt werden. Vor fünfzig Jahren wäre diese Meldung von Bayern aus gesehen eine Randnotiz gewesen. Wahlkampfgetöse in den USA, mit nur minimalen Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft.
Heute aber sieht das ganz anders aus. Denn bayerische Konzerne und die zweitgrößte Volkswirtschaft China sind eng miteinander verbunden: Das Handelsvolumen Bayerns mit China lag im Jahr 2023 bei rund 53 Milliarden Euro. Das entspricht über elf Prozent des gesamten bayerischen Außenhandels. Die Exporte nach China beliefen sich 2023 auf rund 17 Milliarden Euro, so die Zahlen des Bayerischen Landesamts für Statistik.
BMW hat ein Fünftel Beschäftigte in China
Wenn solche Volumina eingeschränkt werden, weil ein Teil von Chinas Absatzmarkt de facto wegbricht, dann schluckt man schon bei den bayerischen Wirtschaftsbossen. BMW-Chef Oliver Zipse beispielsweise hat diese Woche bei der Hauptversammlung des Autobauers für freie Märkte geworben. Kein Wunder, denn ein Fünftel der BMW-Belegschaft arbeitet in China. Und das erklärte Ziel ist es, die E-Auto-Sparte massiv auszubauen, ohne China ist das undenkbar.
So wie der Autobauer sind viele Unternehmen abhängig davon, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft China prosperiert. Nun hat aber die weltweit größte Volkswirtschaft – die USA – für Verunsicherung gesorgt. Halbleiter, Solarzellen, Batterien und auch Hafenkräne sollen massiv besteuert werden. Gestartet hat US-Präsident Joe Biden seine Offensive mit Zöllen auf E-Autos: Von 25 auf 100 Prozent wurden die heraufgesetzt.
Der Grund für die USA, die Zollschranken herunterzufahren, lässt sich ganz klar benennen: "Made in China 2025". So heißt nämlich die von langer Hand geplante Industriestrategie der einstigen "Werkbank der Welt" in Asien. Und der zweite Grund heißt: "Wahlkampf in den USA". US-Präsident Joe Biden will die eigene Auto-Industrie schützen, indem es unattraktiv werden soll, Autos aus China liefern zu lassen.
"Wir im Westen fühlen uns davon bedroht"
"Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem die Früchte der chinesischen grünen Industriepolitik geerntet werden", sagt Giulia Mennillo. Sie forscht an der Akademie für politische Bildung in Tutzing zu internationaler Ökonomie. "Wir im Westen fühlen uns davon bedroht", erklärt sie weiter. Denn: "Uns fehlt eine vergleichbare Industriepolitik in Europa."
Dabei müsse man allerdings differenzieren. Denn je nach Branche hätten die US-Zölle unterschiedliche Konsequenzen, so Mennillo: "Die Branchen, die die chinesische Konkurrenz besonders fürchten, hoffen jetzt, dass mit diesen ersten US-Zöllen der Handelsstreit weitergeführt wird." Schließlich hätten Unternehmen aus Maschinenbau, Windkraft oder hochwertiger Technologieproduktion Vorteile davon, wenn die chinesischen Produkte nicht mehr überall landen können. Auch deshalb sei in diesen Branchen die Hoffnung auf eine "europäische Antwort" groß. Sprich: "Man fordert die EU auf, im Handelsstreit mit einzugreifen", so Mennillo.
Für Unternehmen wie BMW oder Audi aber, die einen Großteil ihrer Autos in China bauen lassen und mitten in der größten Transformation ihrer Geschichte stecken, wären das schlechte Neuigkeiten. Würde die EU zusätzliche Zölle auf Produkte aus China erheben, würden auch Fahrzeuge von Audi und BMW teurer – und damit für die europäische Kundschaft unattraktiv.
Branchen uneins – EU-Staaten auch
Entsprechend abwiegelnde Stimmen kommen vom Bund der Deutschen Industrie. Man dürfe nicht vergessen, dass die Zölle "ein populistisches Zeichen" seien, "um insbesondere industrielle Arbeitsplätze in den USA zu schützen", sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) diese Woche, Dirk Jandura.
Und weil die Weltwirtschaft extrem vernetzt ist, wird es noch komplizierter: Denn nicht nur einzelne Wirtschaftszweige sind geteilter Meinung darüber, wie im Handelsstreit zwischen den USA und China Stellung bezogen werden soll. Sondern auch die einzelnen EU-Staaten: Im Gegensatz zu Deutschland oder Schweden sei beispielsweise Frankreich dafür, China gegenüber aggressiver aufzutreten.
Der Grund dafür lässt sich besonders gut am französischen Stellantis-Konzern erklären. Auch dieser Autobauer steckt in einer Transformation, allerdings interessiert der sich vor allem für den europäischen Markt. Bei den zum Konzern gehörenden Marken Peugeot, Citroën, aber auch Opel hat man es mit knallharter Kalkulation und strenger Vereinfachung der Plattformen geschafft, wettbewerbsfähige Elektroautos mit ordentlicher Reichweite auf den europäischen Markt zu bringen. Exporte nach China spielen für sie aber kaum eine Rolle.
Wie wird China auf Zölle reagieren?
Nach der Ankündigung neuer Zölle fragen sich nun viele, ob China die Eskalation mitgehen wird. Bislang hat Chinas Führung den USA mit Gegenmaßnahmen gedroht. Die USA sollten ihre falschen Praktiken sofort korrigieren, teilte das chinesische Handelsministerium diese Woche mit. Das Land werde entschlossene Maßnahmen ergreifen, um seine Rechte und Interessen zu verteidigen.
Was das konkret bedeuten würde, da könne man nur spekulieren, so Giulia Mennillo von der Akademie in Tutzing. Es helfe aber ein Blick zurück: Als Trump chinesische Waren mit Zöllen versah, reagierte Peking prompt mit Gegenmaßnahmen. "Gleichzeitig ist es nicht im chinesischen Interesse, im gleichen Maße wie die USA in den Weltmarkt einzugreifen." Daher erwartet Mennillo dieses Mal eine weniger drastische Reaktion.
Kann ein Handelskrieg verhindert werden?
Um einen Dominoeffekt beim Thema Zoll zu verhindern, geht man nun auf europäischer Ebene in Gespräche. In den Augen der meisten Volkswirtschaftler kann es keine Lösung sein, sich den Wahlkampfstimmungen in den USA zu unterwerfen. Die Wissenschaftlerin Mennillo formuliert es so: "Wir tun gut daran, uns nicht über die Aktivität der anderen aufzuregen."
Stattdessen müsse man überlegen, wie die europäischen Firmen so wettbewerbsfähig bleiben, dass sie nicht nur mit China mithalten können, sondern auch "die besten Lösungen in der Bekämpfung des Klimawandels" finden.
Werden chinesische Produkte jetzt billiger?
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich, ob die chinesischen Produkte jetzt, wo der US-Markt quasi verriegelt wird, vermehrt nach Europa kommen. Dieser Frage ist auch das Kieler Institut für Weltwirtschaftsforschung nachgegangen und hat mehrere Szenarien durchgerechnet. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass die Zölle insbesondere auf dem Automarkt kaum Auswirkungen haben dürften.
Denn schon jetzt verkauft China kaum Autos in die USA: Nur 12.000 Stück pro Jahr. In Europa waren es hingegen fast 500.000 Stück. Soll heißen: Fast ein Drittel aller rein elektrischen Autos, die in China produziert wurden, sind auf dem europäischen Markt gelandet. Beim IfW Kiel kommt man zu dem Schluss: "Für den Welthandel insgesamt haben die Zollmaßnahmen für sich genommen fast keinen Effekt."
- Zum Artikel: US-Experte: China ein Risiko für deutsche Firmen
Im Video: Will China mit Technologie die Welt erobern? Possoch klärt
Dieser Artikel ist erstmals am 16. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!