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5,3 Millionen Menschen in Deutschland sind von Depressionen betroffen. Selbsthilfegruppen können wichtige Unterstützung bieten.

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Volkskrankheit Depression: Wie Selbsthilfegruppen Kraft geben

Volkskrankheit Depression: Wie Selbsthilfegruppen Kraft geben

5,3 Millionen Menschen in Deutschland sind von Depressionen betroffen. Der Leidensdruck der Betroffenen ist groß. Die Praxen sind oft überlastet, Angehörige auch. Unterstützung bieten Selbsthilfegruppen. Allein in Bayern gibt es davon knapp 200.

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Vor allem der November fordert das seelische Immunsystem. Besonders bei Menschen, die unter Depressionen leiden. Selbsthilfegruppen können Betroffenen eine Unterstützung sein. Vor allem, wenn sie von Betroffenen selbst gegründet wurden, wie das Beispiel von Inken Richter aus dem schwäbischen Illertissen zeigt. Sie hat die Depressions-Selbsthilfegruppe "Quelle der Kraft" gegründet. Gegen die dunklen Gedanken muss sie alle Lebensgeister mobilisieren: "Also dieser Novemberblues, wenn das Tageslicht weniger wird und die Abende dann auch so lang, dann ist es manchmal gar nicht so leicht, diesen langen Abend zu überbrücken." Das spürt sie auch bei anderen Betroffenen. Der Bedarf an Gesprächen steige – und gerade im Herbst kommen viele neue Betroffene dazu, sagt Richter.

Eigener langer Leidensweg – dann die Gründung der Selbsthilfegruppe

Richter will für Menschen da sein, die mit einer Depression ringen. Das strengt an, gibt ihr aber auch Kraft. Sie selbst blickt auf eine lange Leidensgeschichte zurück. Schon als Kind fehlte ihr das Gefühl, angenommen zu sein. Sie wuchs in einer zerrütteten Familie auf. Als Teenager zog sie aus, war einsam, versuchte, sich das Leben zu nehmen. Doch dann erfuhr sie endlich Fürsorge: von der Vermieterin, bei der sie während ihrer Ausbildung wohnte. Vor drei Jahren verließ sie das letzte Mal die Klinik. Damals merkte sie, wie sehr ihr die Vertrautheit mit Schicksalsgefährten fehlte. Sie gründete eine Selbsthilfegruppe namens "Quelle der Kraft". Bis heute freut sich Richter jede Woche auf die Treffen der Gruppe, in der sich auch Freundschaften entwickelt haben.

Depressionen als Paar überstehen

In Neu-Ulm mussten sich Joachim und Renate Schmidt dieser Frage stellen. Für die beiden genug Ansporn, vor acht Jahren eine Gruppe für Betroffene und deren oft ratlose Angehörige zu gründen, die "Selbsthilfegruppe Depressive und Angehörige". Zeitweise konnte Joachim Schmidt nicht einmal mehr seine Frau wahrnehmen, so schwer traf ihn die Krankheit. Im Alter von 60 Jahren hatte ihn die Depression fest im Griff. Doch der Austausch mit anderen half ihm enorm, wie er erzählt. "Da ging es mir ganz schlecht in dieser Zeit. Ich habe nur gesehen, was alles wegbricht, wie so Dominosteine. Ich hab dann in der Gruppe gesehen, was mir geblieben ist."

Während der Pandemie müssen lange Telefonate den Redebedarf auffangen. Vor allem während des Lockdowns klopften viele Neue an. "Corona hat ja das, was da war, nochmal verschärft. Depressive Menschen fühlen sich sowieso schon sehr eingeengt, verschlossen. Und jetzt kam dieses äußere Einengen doch dazu. Das war eine Verdopplung", sagt Joachim Schmidt.

Manche Betroffene trauten sich nach dem zweiten Lockdown gar nicht mehr aus dem Haus, aus Angst, sich der Außenwelt nicht zumuten zu können. Zwischen Januar 2020 und Januar 2021 stiegen bundesweit die Patientenanfragen nach einer Psychotherapie um 40 Prozent. In Bayern waren es sogar 52 Prozent und damit deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.

Als Betroffener selbst eine Selbsthilfegruppe für Depressive gründen

Auch bei der zentralen Selbsthilfe-Koordination für Bayern melden sich viele Interessenten. Bei Angstkranken und Depressiven ist seit 2015 die Zahl der geförderten Selbsthilfegruppen um 30 Prozent angestiegen. Seit Corona herrscht hier ein regelrechter Boom. Bundesweit gibt es etwa 300 professionell arbeitende Selbsthilfe-Kontaktstellen: Sie helfen etwa bei der Raumsuche oder geben juristische Beratung.

Christine Lübbers leitet das Selbsthilfebüro KORN in Ulm. Täglich kämpft sie gegen das Klischee, die Gruppen seien nur eine Art Kaffeeklatsch oder Stuhlkreis: "Die Selbsthilfegruppen heben einfach die soziale Isolation auch auf, also Menschen, die sich eben sonst nur zurückziehen würden. Da ist dieses Treffen in der Selbsthilfegruppe ein ganz, ganz wichtiger Anker im Alltag. Und ganz wichtig ist es auch, aktiv zu werden, also nicht in der Opferrolle zu verharren, sondern zu sagen: 'Okay, das ist jetzt so, wie es ist. Aber jetzt machen wir das Beste draus.'"

An wen können sich Betroffene wenden?

  • ApK - Aktionsgemeinschaft der Angehörigen psychisch Kranker e.V.: 089 – 5024673 (Mo, Mi, Do: 8.30 - 12.30 Uhr; Di: 12 - 18 Uhr; Fr: 10 - 12 Uhr) www.apk-muenchen.de

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