In Wirtshäusern und Cafés in München und auch in anderen größeren Städten oder touristischen Hotspots scheint es für die Wirte gut zu laufen. Ohne Reservierung ist es oft schwer, spontan einen Tisch zu ergattern. Doch der Eindruck täuscht - gerade auf dem Land werden die Hilferufe der Wirte lauter.
Das leise Sterben der Wirtshauskultur
Hoch über Ansbach gelegen, mit einem traumhaften Blick auf die mittelalterliche Stadt, steht das Wirtshaus "Zum Weinberg". Wie aus der Zeit gefallen wirkt das Anwesen von Willy Meyer. Der Franke ist Vollblutwirt, mit Leib und Seele seinen Gästen verschrieben. Er kümmert sich um den Einkauf, kocht, schenkt aus, hört zu. Und das mit 81 Jahren.
Willys "Weinberg" ist eine Institution in Ansbach. Seit 150 Jahren im Familienbesitz, 50 Jahre davon in den Händen von Willy und seiner verstorbenen Frau Renate. Ihre beiden Kinder wollen die Wirtschaft nicht übernehmen. Auch die Suche nach einem Pächter ist erfolglos. Also arbeitet Willy weiter. Allein ist er trotzdem nicht. Agnes Redlingshöfer ist seit 14 Jahren seine rechte Hand. Doch die goldenen Zeiten sind vorbei. "Momentan müssen wir von den Privatkonten Geld auf das Geschäftskonto tun", sagt sie. Weil das Geschäftskonto schneller leer sei als man schauen könne. Kaum zu glauben, denn trotz des schlechten Aprilwetters ist die Gaststube voll. Doch die steigenden Kosten und offene Handwerkerrechnungen übersteigen die Einnahmen.
Gastwirte kämpfen ums Überleben
So geht es vielen Wirten. Die Gründe sind überall ähnlich: weniger Umsatz bei zugleich explodierenden Kosten. Laut einer aktuellen Umfrage der Dehoga Bayern stiegen die Preise im Vergleich zum Vorjahr für Energie um 22 Prozent, für Lebensmittel um 15,6 Prozent, für Getränke um 11,1 Prozent, für Personal um 13,8 Prozent, für Pacht um 6,3 Prozent.
Hinzu kommt als weitere Belastung die Anhebung der Mehrwertsteuer um 12 Prozent auf wieder 19 Prozent - wie vor der Corona-Pandemie. Das zeigt erste Folgen. Jedes zehnte Lokal in Deutschland hat laut Creditreform 2023 aufgegeben. Nicht nur die Preise machen den Wirten zu schaffen, es ist vor allem das fehlende Personal, das ihnen Schwierigkeiten bereitet. Immer mehr Beschäftigte kehren der Gastronomie den Rücken.
Stirbt die Wirtschaft, stirbt der Ort
Was es für ein Dorf bedeutet, wenn auch das letzte Wirtshaus schließt, wissen die niederbayerischen Geratskirchener. Vor vier Jahren hat die Wirtin dort gekündigt. Seither sucht die ganze Ortschaft zusammen mit dem Eigentümer Anton Förstl nach einem neuen Wirt. Weil er dem Ort verbunden ist, stellt sich Anton Förstl nun selbst in die Küche, dass zumindest Vereinstreffen und Beerdigungen im Ort stattfinden können.
Man ist sich einig in Geratskirchen: Die Wirtschaft als Ortsmittelpunkt fehlt. Denn wenn Wirtschaften fehlen, dann fehlen Orte, an denen Gemeinschaft gelebt, Streitigkeiten ausgekartelt werden. Eigentlich ist Anton gelernter Feinmechaniker, war auch Polizist, jetzt ist er Festwirt im Ort. Doch nur so lange, bis er endlich einen Pächter findet oder einen Wirt anstellen kann, denn eigentlich würde der 70-Jährige gerne schon längst seinen Ruhestand genießen.
Ein Dorf kauft seine Wirtschaft
Das Schicksal einer Restaurant-Schließung schwebte auch über dem 600-Einwohner-Ort Giggenhausen bei Neufahrn, als die Wirtin dort aus gesundheitlichen Gründen verkaufen musste. Investoren äußerten sofort ihr Interesse an der Immobilie. Das wäre das Aus für den "Metzgerwirt" gewesen.
Doch ein ganzer Ort machte mobil. Christopher Aichinger und Josef Geil setzten eine beeindruckende Rettungsaktion in Gang. "Unsere Idee war ein großer Appell an die Solidarität aller", sagt der Tierarzt Aichinger. "Jeder Giggenhausener sollte nach seiner Kraft und seinen Möglichkeiten an die Schmerzgrenze gehen und schauen, was er an Eigenkapital für die Rettung der Wirtschaft aufbringen kann." Eine Million Euro kam durch diesen Apell zusammen. Die restlichen eineinhalb Millionen finanzierte die Bank. Die Giggenhausener gründeten eine Genossenschaft und kauften ihre Wirtschaft einfach selbst.
Lebenstraum Wirt
Der Genossenschaft ist es auch gelungen, zwei ambitionierte Pächter zu finden. Daniel Zull und Markus Winnefeld erfüllen sich im "Metzgerwirt" einen Lebenstraum. Sie trauen sich einen Neustart, auch wenn rundherum vieles schließt. Es ist eine Herzenssache für sie.
Doch das Geld sitzt auch bei den Giggenhausenern nicht mehr so locker. Die Wirte können ihre gestiegenen Kosten nicht einfach an die Kunden weitergeben. "Ich kann den Schweinebraten nicht einfach teurer machen, denn dann kauft ihn keiner mehr. Und nix von nix is nix!", sagt Daniel Zull. Es ist ein Balanceakt in diesen Tagen. Doch die Wirte finden viel Unterstützung von der Genossenschaft.
Rendite als "Generationen-Ding"
Auch die Genossenschaft ist auf eine gut funktionierende Wirtschaft angewiesen. Sie muss den Kredit bedienen. Ihre Rendite finden sie woanders. "Unsere Rendite ist ein 'Generationen-Ding'", sagt Christopher Aichinger. Sein Wunsch ist, dass seine Kinder und Enkel auch in einigen Jahren noch eine funktionierende Wirtschaft haben und damit einen Ort, an dem sie sich treffen können.
Dort, wo Dialog stattfindet, wird man sich nicht fremd, davon ist Aichinger überzeugt: "Das, was überall verloren geht, versuchen wir hier aufrechtzuerhalten. Und wir sind auf einem sehr guten Weg", sagt der Vorstand der Dorfwirtschaft Giggenhausen eG, Christopher Aichinger. Mit viel Mut und Engagement kämpfen die Giggenhausener gegen die zunehmende Anonymität in der Gesellschaft. Sie haben ihrem Dorf ein Wohnzimmer gegeben. Denn stirbt ein Wirtshaus, stirbt auch ein Stück Heimat - und das wollen sie mit aller Kraft verhindern.
Dieser Artikel ist erstmals am 28. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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