Die führenden Wirtschaftsinstitute des Landes haben ihre Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung erneut abgesenkt. Statt eines leichten Wachstums um 0,1 Prozent erwarten die Experten im laufenden Jahr nun einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,1 Prozent, wie die Institute in ihrer sogenannten "Gemeinschaftsdiagnose" am Donnerstag mitteilten. Sie warnten die Bundesregierung jedoch vor kurzfristigen Konjunkturmaßnahmen und Unternehmensrettungen. Damit dürfte das Bruttoinlandsprodukt zum zweiten Mal hintereinander schrumpfen.
"Seit mehr als zwei Jahren tritt die deutsche Wirtschaft auf der Stelle", sagte die Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Geraldine Dany-Knedlik, in Berlin.
IHK Oberbayern: Deutschland braucht eine Generalsanierung
Die Wirtschaft ist von dieser Aussicht wenig begeistert. Laut Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, ist die Deindustrialisierung hierzulande in vollem Gange. Gegenüber BR24 sagte Gößl, man merke es vor allem daran, dass Unternehmen Neuinvestitionen im Ausland tätigten: "Die Betriebe sind verunsichert, verärgert. Sie sind frustriert. Sie berichten über Stillstand. In manchen Branchen haben wir auch schon die Ankündigung von Jobabbau."
Handelskammer: Wachstum 2026 möglich
"Zwei Jahre in Folge Rezession, das gab es in Deutschland zuletzt vor mehr als 20 Jahren", klagte auch der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian. Große Sprünge sind künftig nicht zu erwarten: Für 2025 wurde die Vorhersage in der Gemeinschaftsdiagnose von 1,4 auf 0,8 Prozent gekappt. "An den Trend von vor der Pandemie wird das Wirtschaftswachstum nicht anknüpfen können", sagte Dany-Knedlik. 2026 soll ein Wachstum von 1,3 Prozent folgen.
Warum Institute vor gezielten Rettungsmaßnahmen warnen
Mit Blick auf die aktuelle Debatte um die kriselnde Autoindustrie warnten die Experten jedoch vor gezielten Rettungsmaßnahmen für einzelne Unternehmen und Standorte. Vielmehr solle die Politik den Strukturwandel "laufen lassen", sagte Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Dafür spreche auch die Lage am Arbeitsmarkt: Trotz einer zuletzt gestiegenen Arbeitslosigkeit sei das größere Problem der Unternehmen nach wie vor der Mangel an geeigneten Arbeitskräften.
"Der Strukturwandel impliziert, dass sich Beschäftigungsverhältnisse ändern", sagte Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Massenentlassungen etwa durch Werksschließungen seien bedauerlich, der Staat müsse jedoch dann Betroffenen gezielt helfen, "aber eben nicht in erster Linie den Aktionären" des Unternehmens.
Forderungen: Weniger Bürokratie, bessere Infrastruktur
Die Wirtschaftsinstitute forderten die Bundesregierung dazu auf, die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland zu verbessern, etwa durch weniger Bürokratie, bessere Infrastruktur oder bessere Bildung. Die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagene Wachstumsinitiative sei da "ein Schritt in die richtige Richtung", sagte Kooths. Die dadurch erhoffte Anhebung des Wirtschaftswachstums um 0,5 Prozentpunkte bereits im kommenden Jahr bezweifeln die Experten jedoch stark.
Ein erster Schritt könnte das Bürokratieentlastungsgesetz sein, das am Donnerstag mehrheitlich im Bundestag beschlossen wurde. Es sieht Maßnahmen zum Bürokratieabbau für Unternehmen und Bürger vor. Geplant ist unter anderem, die Aufbewahrungsfristen für Rechnungen, Kontoauszüge und Gehaltslisten von zehn auf acht Jahre zu verkürzen. Firmen sollen zudem mehr Möglichkeiten zur Digitalisierung der Abläufe in ihren Personalverwaltungen bekommen.
Das Gesetz sei jedoch nicht ausreichend, kritisierte Gößl von der IHK Oberbayern. Hier gehe es gerade mal um eine Entlastung von etwa einer Milliarde Euro im Jahr: "Wir müssen wissen, dass 90 Prozent aller bayerischen Unternehmen zu uns sagen, 'Bürokratie ist das Hauptproblem geworden in den letzten Jahren'."
Mit Informationen von AFP und Reuters
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