Zu möglichen Nebenwirkungen der Impfstoffe gegen das Virus SARS-CoV-2 verbreiten sich jede Menge Gerüchte und Behauptungen. Einige hat der #Faktenfuchs bereits gecheckt und dabei unter anderem widerlegt, dass die menschliche DNA durch den Impfstoff verändert wird.
Derzeit taucht im Internet auch immer wieder die Behauptung auf, dass eine Impfung gegen Covid-19 Frauen unfruchtbar machen könne. "Eine Freundin von mir mit dringendem Kinderwunsch will sich nicht impfen lassen, weil sie gelesen hat, dass der Impfstoff unfruchtbar macht", schreibt eine Twitter-Userin und fragt: "Weiß jemand hier genaueres (gern fundiert und nicht geschwurbelt)?"
Einige beziehen sich direkt auf den Arzt Wolfgang Wodarg, der schon zu Beginn der Pandemie mit irreführenden und zum Teil falschen Behauptungen auf sich aufmerksam machte, zum Beispiel, dass das Virus SARS-CoV-2 gar nicht neu sei.
Wodarg würde die Impfstoffkritik "füttern", ärgert sich eine Userin. Dass Impfen Frauen unfruchtbar mache, "(d)as ist nicht mehr abstrus, das ist gelogen und menschenverachtend", schreibt sie.
Petition an die European Medicine Agency (EMA)
Wie Wolfgang Wodarg auf seiner Webseite schreibt, hat er am 1. Dezember zusammen mit Michael Yeadon eine Petition an die European Medicine Agency (EMA) verfasst, alle SARS-Cov-2-Impfstudien auszusetzen, insbesondere die zum Biontech/Pfizer-Impfstoff. Yeadon ist ein Ex-Pfizer-Forschungsleiter, der kürzlich in einem rechten Medium behauptet hat, dass es gar keine zweite Infektionswelle gäbe. Der ARD-Faktenfinder hat darüber berichtet.
In der Begründung für die Petition an die EMA ist unter anderem der Punkt einer möglichen Unfruchtbarkeit enthalten. Darin heißt es zwar nicht, dass der Impfstoff per se unfruchtbar machen würde, sondern, dass es nicht bewiesen sei, dass er es nicht tut. Der Impfstoff, so die Behauptung, könne eine Immunreaktion auslösen, die sich nicht nur gegen das Coronavirus wendet, sondern auch gegen ein Protein, das an der Bildung der Plazenta in der Gebärmutter beteiligt ist. Doch wie könnte es zu so einer Reaktion kommen?
Die zentrale Rolle des Spike-Proteins
Das Virus SARS-CoV-2 besitzt sogenannte Spike-Proteine. Das sind - bildlich gesprochen - die Zacken rund um das Virus herum. Über diese Spike-Proteine dockt das Virus an menschlichen Zellen an und kann sie befallen. Auf diese Proteine richtet sich die Immunabwehr des Menschen. "Antikörper können das Virus anhand des Spike-Proteins erkennen, daran binden und es so als Ziel für Immunzellen markieren", erklärt die Helmholtz Forschungsgemeinschaft.
Auch in der Entwicklung von Impfstoffen spielt das zackenförmige Protein eine zentrale Rolle. Die mRNA-Impfstoffe, zum Beispiel von BioNTech/Pfizer und Moderna, enthalten den Bauplan für einzelne ungefährliche Virusproteine. Der menschliche Körper bildet nach diesem Bauplan also selber die Proteine (Antigene), die dann die Immunreaktion und Bildung von Antikörpern hervorrufen.
Dieser Mechanismus bildet den Hintergrund für die Kritik von Wodarg und Yeadon: Der Impfstoff könne nicht nur eine Abwehrreaktion gegen das Virus SARS-CoV-2 auslösen, sondern vielleicht auch gegen das Protein Syncytin-1, das eine wesentliche Voraussetzung für die Ausbildung der Plazenta darstelle. Denn Spike-Proteine und das Syncytin würden Übereinstimmungen enthalten. So fordert Wodarg, dass unbedingt ausgeschlossen werden müsse, "dass ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 eine Immunreaktion gegen Syncytin-1 auslöst, da sonst Unfruchtbarkeit von unbestimmter Dauer bei geimpften Frauen die Folge sein könnte".
Marion Kiechle: "Eine falsche Behauptung"
Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar in München, Mitglied der Leopoldina und ehemalige Staatsministerin, hat sich die Aussage für den #Faktenfuchs angeschaut und kommt zu folgendem Schluss:
"Meiner Einschätzung nach handelt es sich um eine falsche Behauptung, da es wissenschaftlich dafür keine Beweise oder gar den leisesten Hinweise gibt, dass die aktuell zugelassenen Impfstoffe die weibliche Fruchtbarkeit negativ beeinflussen." Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar in München
Dies bezieht sich auf die in mehreren Ländern zunächst per Notfallzulassung erlaubten mRNA-Impfstoffe und gilt auch für DNA-basierte Impfstoffe.
Das Protein Syncytin-1 und das Spike-Protein des Coronavirus besäßen, so erklärt Kiechle, nur eine sehr kleine Gemeinsamkeit in der Aminosäuresequenz, damit sei eine Immunreaktion gegen Syncytin-1 "höchst unwahrscheinlich". Zudem gebe es in den klinischen Studien zu den Impfstoffen keinen Hinweis auf eine Unfruchtbarkeit bei geimpften Frauen.
Aus klinischer Sicht spreche auch folgende Tatsache dagegen: "Allein in den USA sind mehr als 40.000 Fälle von Corona-positiven schwangeren Frauen publiziert", erläutert Kiechle. Diese Frauen würden ebenfalls Antikörper gegen das Spike-Protein des Coronavirus bilden - so, wie es nach einer Impfung geschieht. "Falls diese Antikörper auch Syncytin-1 attackieren würden, so wäre eine sehr hohe Rate an Aborten und Schwangerschaftskomplikationen zu erwarten gewesen", erklärt die Medizinerin, "und dies war/ist eben gerade nicht der Fall."
Forscher der Universität Jena: Sorge junger Frauen unbegründet
Forscher der Universität Jena bestätigen die Einschätzung von Kiechle. Ekkehard Schleußner, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Universität Jena führt zudem einen weiteren Aspekt an: Wenn die Corona-Impfung unfruchtbar machen würde, dann müsste das eine Corona-Infektion erst recht tun. “Bei einer Infektion ist die Antigen-Belastung der Patientin durch das Corona-Spike-Protein und somit auch die potenzielle Antikörper-Bildung deutlich höher und unkalkulierbarer als im Falle einer Impfung”, sagt Schleußner in einer Pressemeldung der Uni Jena. "Unsere bisherige Erfahrung mit Corona-erkrankten Schwangeren bestätigt das nicht." Auch das Robert Koch-Institut weist darauf in seinen FAQs zu Wirksamkeit und Sicherheit der Corona-Impfung hin. Bei der Pandemie, die 2002/2003 durch das Sars-CoV-1-Virus ausgelöst wurde, habe man ebenfalls keine Unfruchtbarkeit bei Frauen nach einer Infektion beobachtet - obwohl der Beobachtungszeitraum nun fast 20 Jahre betrage. Das sagte Udo Markert vom Placenta-Labor in Jena dem SWR.
Laut den Forschern der Uni Jena werden bereits seit einigen Jahren therapeutische Antikörper gegen das HERV-W-env-Protein entwickelt, etwa für die Behandlung verschiedener Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose oder Diabetes mellitus. Dieses Protein ähnele laut den Forschern dem Syncytin-1-Protein der Plazenta zu 81 Prozent. In-vitro-Experimente mit dem therapeutischen Antikörper hätten gezeigt, dass er praktisch nicht an Syncytin-1 bindet und auch keinen Einfluss auf eine normale Plazentaentwicklung hat”, schreiben die Forscher in einer Meldung. Aus Sicht der Plazenta-Forschung und Reproduktionsmedizin sei die Behauptung, die Covid-19-Impfung könne unfruchtbar machen, völlig unbegründet.
Biontech: Aminosäure-Sequenz zu kurz, um Autoimmunität zu verursachen
Auch der Impfstoffhersteller Biontech weist auf #Faktenfuchs-Anfrage den Vorwurf von Wodarg und Yeadon zurück. "Dies ist nicht korrekt", heißt es aus der Kommunikationsabteilung des Mainzer Unternehmens.
"Es gibt keine Daten, die darauf hindeuten, dass der Impfstoff von Pfizer-BioNTech zu Unfruchtbarkeit führt." Unternehmenskommunikation Biontech
Es werde fälschlicherweise behauptet, dass Covid-19-Impfstoffe aufgrund einer sehr kurzen Aminosäuresequenz im Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus, die dem Plazenta-Protein Syncytin-1 ähnlich ist, Unfruchtbarkeit verursachen könnte. "Die Sequenz ist jedoch zu kurz - vier gemeinsame Aminosäuren - um plausibel eine Autoimmunität zu verursachen", erklärt die Biontech-Unternehmenssprecherin.
Impfmythos Unfruchtbarkeit
Der Mythos, dass Impfen unfruchtbar machen soll, wird in verschiedenen Formen schon lange verbreitet. Bereits zu Beginn der Pandemie wurde dem Microsoft-Gründer Bill Gates unterstellt, er wolle die Bevölkerung durch Impfen dezimieren. Und seit Jahren kursiert das Gerücht, die WHO habe unter anderem in Kenia Frauen zwangssterilisieren wollen, in dem sie einer Tetanus-Schutzimpfung das Schwangerschaftshormon Beta-hCG beigemischt habe. Der ARD-Faktenfinder hat dies bereits widerlegt.
Marion Kiechle hat als Wissenschaftlerin und Ärztin in Afrika ähnliche Erfahrungen gemacht: "Dort verbreiten die spirituellen Heiler das Gerücht, dass eine Impfung gegen das HPV-Virus eine Unfruchtbarkeit verursachen würde." Das HPV-Virus wird beim Sexualkontakt übertragen und kann zu Genitalwarzen führen, aber es können sich daraus auch verschiedene Krebsarten entwickeln.
Noch ein Beispiel aus Asien: In Pakistan werden Teams, die Kinder gegen Kinderlähmung impfen, angegriffen, weil radikale Islamisten glauben, dass Impfungen Teil der Verschwörung des Westens seien, um Muslime unfruchtbar zu machen.
Impfstoff hat immer Risiken
Völlig frei von Risiken ist kein Impfstoff. Zum Impfstoff von Biontech und Pfizer sind zum Beispiel in Großbritannien allergische Reaktionen aufgetreten, weshalb Menschen mit einer Vorgeschichte von allergischen Reaktionen auf Arzneimittel und Impfstoffe gewarnt werden.
Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, sagt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, bei den beiden Fällen in Großbritannien handele es sich um Personen mit einer Geschichte von schwersten, lebensbedrohlichen Allergien, die ständig ein Notfallset mit sich tragen. Solche Menschen hätten bei jedem Arzneimittel und bei jeder Impfung ein starkes Risiko und seien auch nicht in der Zulassungsstudie berücksichtigt worden. Sehr wohl hätten da aber auch Menschen mit Allergien teilgenommen. Allergische Nebenwirkungen seien in der Studie jedoch nicht erhöht gewesen.
Wie bei anderen Impfstoffen können zeitlich begrenzte Begleiterscheinungen wie Kopfweh, Müdigkeit oder Schmerzen an der Impfstelle, Schüttelfrost oder Fieber auftreten. Dies hat eine Studie zu dem Biontech-Impfstoff mit 44.820 Männern und Frauen ergeben. Die Nebenwirkungen waren schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit wieder ab. Solche Begleiterscheinungen sind bei Impfungen üblich, wie Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, erklärt: "Ganz ohne geht es nicht." Eine vorübergehende Entzündungsreaktion sei erstmal nichts Negatives. Der Körper müsse schließlich merken, wo er mit seiner Immunantwort hinsolle, sagt Kaufmann.
Am 21. Dezember hat die EU-Kommission den Impfstoff von Biontech/Pfizer zugelassen. Bedingung ist, dass die Hersteller in allen 27 Mitgliedsstaaten unter anderem Daten zu Langzeitwirkungen an die Europäische Arzneimittelagentur geben. Auch zu möglichen Nebenwirkungen oder allergischen Reaktionen werden weiterhin Daten erhoben und geprüft.
Fazit:
Der Mythos, dass Impfen unfruchtbar macht, ist in verschiedenen Kulturen seit langem verbreitet und kursiert auch während der Corona-Pandemie. Die Behauptung, dass ein mRNS-Impfstoff gegen das Coronavirus auch eine Abwehrreaktion gegen ein Plazenta-Protein auslösen könnte, wird sowohl von der Wissenschaftlerin Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik der TU München, als auch vom Hersteller Biontech als Falschbehauptung zurückgewiesen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den zwei Proteinen seien zu gering, um die Abwehrreaktion zu verursachen. Bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose oder Diabetes mellitus werden bereits therapeutische Antikörper gegen das HERV-W-env-Protein eingesetzt, das deutlich mehr Ähnlichkeit mit dem Plazenta-Protein hat, als das Spike-Protein. Zahlreiche Experimente zeigten, dass diese Antikörper aber keinen Einfluss auf die normale Plazentaentwicklung hatten. Wenn es zu der unerwünschten Abwehrreaktion kommen würde, müssten coronapositive Schwangere große Probleme während der Schwangerschaft haben und Fehlgeburten erleiden. Klinische Studien hätten gezeigt, dass dies eben nicht der Fall ist.
Unter Verwendung von Material der Nachrichtenagentur dpa.
Der ursprüngliche Artikel vom 22.12.2020 wurde am 10.03.2021 aktualisiert, um die aktuelle Forschungslage abzubilden. Dabei wurden auch Überschrift, Teaser und Fazit geändert.
03.09.2021, 13:20: Im Abschnitt zu den Forschungsergebnissen der Universität Jena stand fälschlicherweise, der therapeutische Antikörper hätte eine Ähnlichkeit mit dem Plazenta-Protein. Nicht der Antikörper hat eine starke Ähnlichkeit zum Plazenta-Protein Syncytin, sondern das HERV-W-env-Protein, gegen das der Antikörper entwickelt wurde. Der Abschnitt und das Fazit wurden entsprechend korrigiert.
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