Weil zu viel Zucker ungesund ist, kommen in Lebensmitteln immer häufiger Zuckeraustauschstoffe zum Einsatz, wie etwa Erythrit. Erythrit wird durch die Fermentierung von Mais erzeugt und ist süß, wenn auch nicht so süß wie Zucker. Aber dafür ist der Zuckeraustauschstoff nahezu frei von Kalorien: Erythrit wird zwar vom Körper aufgenommen und landet in der Blutbahn, wird aber nahezu vollständig wieder ausgeschieden. Süße ohne Reue? Ohne Speckpölsterchen, ja. Aber es gibt bislang nahezu keine Studien über die Langzeitwirkung solcher Zuckeraustauschstoffe.
- Zum Hintergrund: Unterschätzte Gefahr - Zuckergehalt in Lebensmitteln
Neue Studie zu Erythrit und dem Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt
Eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung der Berliner Charité beschäftigte sich näher mit Erythrit und fand einen möglichen Zusammenhang mit Herzkreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Die neue Studie wurde am 27. Februar im Fachmagazin nature medicine veröffentlicht.
Die Studie im Überblick
Verknappt ausgedrückt legt das Ergebnis mehrerer empirischer und experimenteller Studien nahe, dass Erythrit die Bildung von Blutgerinnseln begünstigen könnte und dadurch Thrombosen befördern könnte. Diese wiederum sind einer der wesentlichen Auslöser für Herzinfarkte und Schlaganfälle, bei denen solche Blutgerinnsel Arterien verstopfen und die Blutzufuhr stoppen.
Zuckeraustauschstoff oder Süßstoff?
Erythrit (auch: Erythritol oder E 968) ist ein Zuckeralkohol (auch Polyol genannt) und damit ein Zuckeraustauschstoff. Polyole sind eng mit Zucker verwandt, erreichen meist aber nicht dessen Süße. Süßstoffe dagegen sind ganz unterschiedliche Stoffe, können wie Stevia auch aus der Natur stammen, sind aber um ein Vielfaches süßer als Zucker. Beide - Zuckeraustauschstoffe und Süßstoffe - zählen zu den Zuckerersatzstoffen und sind kalorienarm, weil der menschliche Körper sie nicht verstoffwechseln kann.
Erhöhter Erythrit-Spiegel bei Hochrisiko-Personen
Über drei Jahre hinweg wurden mehr als tausend Personen mit einem hohen Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt beobachtet. Bei denjenigen mit einem schweren Verlauf innerhalb der drei Jahre - also dem Eintritt eines Schlaganfalls, Herzinfarktes oder gar Todes, wurde im Blut ein erhöhter Erythrit-Spiegel festgestellt. Zwei anschließende Vergleichsstudien (einmal mit mehr als 2.000, einmal mit knapp 1.000 Versuchspersonen) mit anderen Herzkreislauf-Risiko-Patienten bekräftige dies.
Zuckeraustauschstoff beschleunigt Blutgerinnsel
Zusätzlich untersuchte die Forschungsgruppe um Marco Witkowski von der Cleveland Clinic im US-Bundesstaat Ohio in vitro, d.h. in der Petrischale, was Erythrit im Blut bewirkt. Es zeigte sich, dass der Zuckeraustauschstoff die Blutgerinnung beschleunigte. Im menschlichen Körper verkleben Blutplättchen miteinander, um beispielsweise blutende Wunden wieder zu verschließen. Als Blutgerinnsel in der Blutbahn sind solche Thrombozyten dagegen lebensgefährlich.
Hohe Erythrit-Spiegel im Blut halten lange an
Noch eine kleine experimentelle Studie gehörte zu dem gesamten Paket: Acht gesunde Personen nahmen so viel Erythrit zu sich, wie etwa in einem handelsüblichen Getränk mit Zuckerersatzstoffen enthalten ist. Und es zeigte sich, dass die Versuchspersonen selbst nach zwei Tagen noch so hohe Erythrit-Spiegel im Blut aufwiesen, die im Petrischalen-Versuch zur Gerinnselbildung führte. Eine mögliche Schlussfolgerung wäre, dass sich das Risiko damit aufaddiert.
Kritik an der Studie: Weist einen Zusammenhang nicht wirklich nach
Doch noch ist die Studie nicht aussagekräftig genug, kritisieren dazu befragte Forschende. Sie ist eher ein erster Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang. Ob Erythrit tatsächlich das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen (kardiovaskuläre Erkrankungen) erhöht, sei durch den eingeschränkten Aufbau der Studie nicht nachweisbar, kritisiert Harald Schulze, Professor für Experimentelle Hämostaseologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Denn untersucht wurden in allen drei Kohorten nur Hochrisikogruppen für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Im Gegenzug wären Studien nötig, ob ein erhöhter Erythrit-Spiegel bei gesunden Personen das Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen verstärkt.
Auch Stefan Kabisch, Doktor für Stoffwechselerkrankungen und Diabetesforscher von der Berliner Charité, schränkt die Aussagekraft der Studie ein: Die in den experimentellen Teilen der Studie angewandte Menge an Erythrit sei viel höher, als man bei normaler Ernährung zu sich nehme. Und die Studie könne auch keinen Aufschluss darüber geben, wie sich der Zuckeraustauschstoff bei gesunden Menschen niederschlage. "Für eine Warnung vor Zuckerersatzstoffen ist es zu früh. Der Wechsel zurück zum Zucker ist vermutlich nicht der gesündere Weg," so sein Fazit gegenüber dem Science Media Center.
Wichtiger Hinweis auf mögliche unerwünschte Langzeitwirkungen
Doch als Hinweis auf eine mögliche unerwünschte Wirkung des Zuckerersatzstoffes ist die Studie wertvoll. Und sie ist auch nicht die erste Studie, die einen Zusammenhang zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen nahelegt, sagt Hans Hauner, Professor für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München (TUM): "In diesem Kontext ist erwähnenswert, dass in den letzten Jahren bereits andere und größere Kohortenstudien einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Getränken, die statt mit Zucker mit Süßstoffen oder kalorienfreien Zuckerersatzstoffen gesüßt waren, und einem erhöhten Auftreten von Schlaganfall und anderen kardiovaskulären Ereignissen gefunden hatten."
Weitere Studien dringend erwünscht
Alle drei zur Studie befragten Experten halten es für dringend nötig, umfassende Studien zu Langzeitwirkungen von Zuckeraustauschstoffen zu machen. Im Zuge einer Gesundheitspolitik, die vom schädlichen Zucker immer weiter weg will, müsse man damit rechnen, dass Erythrit und andere Stoffe immer häufiger in Lebensmitteln verwendet werden. Und da Erythrit selbst ein auch in der Natur vorkommender Stoff ist (etwa in Obst oder Pilzen), müssen Lebensmittelerzeuger nicht einmal die Menge angeben, die davon in einem Produkt enthalten ist.
Soll ich als Verbraucher Erythrit meiden?
Die Studie gibt es nicht her, dass man sich als gesunder Mensch mit normaler Ernährung Sorgen machen müsste. Hans Hauner empfiehlt jedoch, generell Zucker und Zuckerersatzstoffe nur in mäßigen Mengen zu konsumieren. "Damit landen wir schnell bei der wenig aufregenden, aber wirklich gut belegten Empfehlung für eine pflanzlich betonte und wenig verarbeitete Ernährung gemäß den 'Zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung'," meint Hauner.
Süßstoff – ebenfalls ein Gesundheitsrisiko?
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