Der Markt für Fleischalternativen wächst stark. Viele Hersteller versprechen nicht nur Lebensmittel der Zukunft, sondern auch Lösungen für die Probleme von heute: Alternative Proteinquellen sollen den ökologischen Fußabdruck senken, weniger Tierleid verursachen und möglicherweise sogar gesünder sein. Ob das alles so stimmt, ist allerdings umstritten.
Ein der Alternativen dabei heißt auch, Fleisch im Labor herzustellen. Weltweit arbeitet eine ganze Reihe von Forschenden, Lebensmittelherstellern und Start-ups daran. Auf dem Markt gibt es bereits Fleischprodukte aus Zellkulturen aus Singapur. Ein Unternehmen aus Deutschland will Fleisch aus dem Labor jetzt auch in der EU verkaufen und hat bei der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einen entsprechenden Antrag gestellt.
Was ist Fleisch aus dem Labor?
Die meisten Fleischalternativen, die schon jetzt bei uns in vielen Supermärkten zu kaufen sind, sind pflanzlich. Sie bestehen also etwa aus Soja-, Erbsen- oder Weizenprotein. Im Gegensatz dazu besteht Zellkulturfleisch tatsächlich aus tierischen Muskel- und Fettzellen. Diese sind jedoch nicht im Körper eines Rindes oder Schweines herangewachsen, sondern wurden im Labor kultiviert.
Wie wird Fleisch im Labor genau hergestellt?
Aus einem Tier, etwa einem Rind, entnehmen die Hersteller Gewebe. Daraus gewinnen sie Stammzellen. In einer Nährlösung wächst daraus eine Zellkultur heran. Sowohl Muskel- als auch Fettzellen können auf diese Weise kultiviert werden. So entstehen Fasern von Muskelzellen, die sich dann in sogenannten Bioreaktoren zusammen mit Fettgewebe zusammensetzen lassen. Auf einem Trägergerüst wächst das Zellmaterial zu größeren Fleischstücken zusammen. So entstandene Fleischstücke können in Form und Konsistenz etwa einem Filetstrang ähneln. Einige Start-ups experimentieren auch mit 3D-Druck zur Herstellung von möglichst steak- oder fischfiletähnlichen Stücken. Oder aber das kultivierte Fleisch wird einfach direkt zu Burger oder Wurstwaren verarbeitet.
Wie viel Tier steckt noch im Fleisch?
Zuerst muss zumindest als Ausgangsmaterial tierisches Gewebe zum Beispiel von einem Rind entnommen werden. Das Gewebe kann von einem lebenden Tier entnommen werden, es muss aber nicht geschlachtet werden. Darüber hinaus wird aber für die Nährlösung, in der die Zellen heranreifen, oft sogenanntes Kälberserum verwendet, das aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Das Muttertier muss dafür geschlachtet werden und der Fötus stirbt dabei. Auch als Trägergerüst wird oft tierisches Kollagen verwendet.
Einige Hersteller arbeiten aber auch daran, ohne diese tierischen Bestandteile auszukommen und pflanzliche Ausgangsstoffe, zum Beispiel Algen, für die Nährlösung zu verwenden. Im Fall der Wurst, die jetzt in Europa auf den Markt soll, haben die Hersteller Zellen von einem Schwein verwendet. Der weitere Herstellungsprozess soll laut der Firma ohne tierisches Serum auskommen, um "kultivierte Fleischprodukte so tierleidfrei wie möglich zu gestalten".
Wie schmeckt Laborfleisch?
Laut den Herstellern soll kultiviertes Fleisch geschmacklich Fleisch von Tieren sehr ähnlich sein. Firmen und Forschende arbeiten daran, dass Laborfleisch auch in Konsistenz und Textur an ein Steak oder Filet herankommt. Die Produkte, die bereits in anderen Ländern auf dem Markt sind, werden aber zum Teil mit pflanzlichen Proteinen gestreckt. Auch bei der Wurst, die nun von der EFSA als neuartiges Lebensmittel zugelassen werden soll, ist das der Fall.
Laut Herstellerfirma soll die Wurst einer Brühwurst für einen Hot Dog ähneln. Auch dieses Produkt ist aber ein Hybrid: aus einer pflanzlichen Wurstalternative, wie es sie bereits zu kaufen gibt und einer "signifikanten Menge von kultiviertem Fleisch".
Diese Praxis der Hersteller, das kultivierte Fleisch nicht in purer Form auf den Markt zu bringen, hat laut Verbraucherzentrale vor allem Kostengründe. Denn noch ist die Produktion von kultiviertem Fleisch sehr teuer. Das dürfte sich erst ändern, wenn es in entsprechend großem Maßstab produziert werden sollte. Derzeit steht aber der Großteil der potenziellen Kundinnen und Kunden Laborfleisch skeptisch gegenüber und würde es laut Umfragen eher nicht kaufen und essen wollen.
Welche Vorteile hat Fleischproduktion im Bioreaktor?
Laut Experten könnte Fleisch aus dem Labor weniger Tierleid bedeuten. Denn es kommt, wenn auch nicht ganz ohne, aber mit deutlich weniger Nutztieren aus. Darüber hinaus sollen bei der Produktion weniger Treibhausgase entstehen und das Fleisch damit einen deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck haben. Ob das allerdings wirklich der Fall ist, ist laut Verbraucherzentrale bisher noch überhaupt nicht belegt, entsprechende Berechnungen seien uneindeutig.
Derzeit ist die Herstellung von Fleisch im Labor außerdem noch sehr energieintensiv, was die Umweltbilanz verschlechtert. Die Frage ist auch, wie und wo die Rohstoffe gewonnen oder angebaut werden, mit denen das Fleisch im Reaktor "gefüttert" wird. Dennoch würde für die Produktion von kultiviertem Fleisch wohl deutlich weniger Fläche gebraucht als für die Haltung von Tieren und den Anbau ihres Futters.
Darüber hinaus lassen sich die Bedingungen, unter denen das Fleisch heranwächst, im Labor genau kontrollieren. So hätten die Hersteller sehr genauen Einfluss auf die Zusammensetzung, wie etwa den Fett- und Proteinanteil im Fleisch. Und unter entsprechend sterilen Bedingungen ließe sich wohl auch der Einsatz von Medikamenten in der Fleischproduktion wie etwa Antibiotika deutlich reduzieren. Auch würde Fleisch aus dem Bioreaktor im größeren Maßstab wohl auch weniger Gefahr für Übertragungen von Krankheiten von Tieren auf Menschen bedeuten. Experten versprechen sich jedenfalls von der Technologie einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel und zur weltweiten Ernährungssicherheit.
Gibt es Risiken?
Noch gibt es kaum Daten oder Studien zum Verzehr von Zellkulturfleisch. Ob es sogar gesünder ist als herkömmliches Fleisch oder vom Verzehr Risiken ausgehen könnten, lässt sich momentan also noch nicht sagen. Die Verbraucherzentrale verweist darauf, dass eine überwiegend pflanzliche Ernährung mit Abstand die gesündeste und umweltfreundlichste Alternative zu konventionellem wie auch zu Laborfleisch sei.
Worauf kommt es bei der Zulassung an?
Die Europäische Lebensmittelbehörde hat mit dem Zulassungsantrag aus Deutschland jetzt die Aufgabe zu prüfen, ob es sich bei der Wurst, für die der Antrag gestellt wurde, um ein sicheres Lebensmittel handelt. Die Herstellerfirma weist darauf hin, dass damit die Lebensmittelsicherheit und der Nährwert in der EU mit besonders hohen Standards geprüft würden.
Wer ist die Herstellerfirma?
Den Antrag bei der EFSA hat die Firma The Cultivated B mit Sitz in Heidelberg gestellt. Es handelt sich um ein Tochterunternehmen der deutschen Konzerngesellschaft InFamily Foods, die 2020 aus dem Zusammenschluss der deutschen Wurstwarenhersteller Reinert und Kemper entstanden ist. Der Lebensmittelkonzern setzt seitdem mit in drei Sparten und jeweiligen Tochterunternehmen sowohl auf die Produktion von konventionellen Fleischprodukten und Wurstwaren, veganen Ersatzprodukten auf pflanzlicher Basis und mit The Cultivated B auch auf die Produktion von Proteinquellen mit Biotechnologie.
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