Das Thema "Kinder und Corona" ist seit Beginn der Pandemie heiß umstritten. Von "Virenschleudern" bis "völlig unbeteiligt am Infektionsgeschehen" reichen die Einschätzungen, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung der Pandemie spielen. Danach richtet sich auch das Urteil, welche Bedeutung Schulen und Kitas für die Verbreitung des Coronavirus haben und unter welchen sie Umständen sie offen bleiben können. Eine eindeutige, wissenschaftlich fundierte Antwort gibt es darauf nicht. Einige Studien liefern aber Informationen für eine sachliche Beurteilung der Frage, ob Kinder sich bei der Ansteckung und Verbreitung des Coronavirus von Erwachsenen unterscheiden.
Schulschließungen zeigen Wirkung
Eine Untersuchung der Wirksamkeit verschiedene Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus und ihres Einfluss auf die Covid-19-Infektions- und Todeszahlen zeigte: Schulschließungen sind ein einschneidendes Mittel, können Verbreitung des Coronvirus aber eindämmen. Nur die Schließung von Arbeitsstätten und Ausgangsbeschränkungen hatte eine noch deutlichere Wirkung. Das Virus wird also offensichtlich auch an Schulen weitergegeben. Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina wies bereits Mitte November darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler ein wesentlicher Teil des Infektionsgeschehens sind. Ebenso zeigte eine Studie der Universität Wien an mehr als 240 Bildungseinrichtungen: Jüngere Schülerinnen und Schüler hatten ähnlich viele Infektionen wie ältere und nicht wesentlich weniger als Lehrerinnen und Lehrer.
Keine Symptome, keine Tests
Bei vielen Studien taucht allerdings ein Problem auf: Kinder haben bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 seltener Symptome und werden daher auch seltener getestet. Daher ist bei ihnen vermutlich auch die Dunkelziffer höher als bei Erwachsenen. Eine Untersuchung des Helmholtzzentrums München zeigte beispielsweise, dass die Zahl der Kinder mit Antikörpern im Blut sechsmal höher lag als die vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Ernährung gemeldeten Fälle.
Studien zum Infektionsgeschehen in den Bundesländern
Es gibt sowohl international als auch aus einzelnen Bundesländern Studien zum Infektionsgeschehen an Schulen und Kindertagesstätten.
Die Corona-Ansteckungsgefahr für Kinder in Kitas ist nach der SAFE KiDS Studie in Hessen extrem gering. Von 800 Mädchen und Jungen, die hessischen Forscher im Jahr 2020 mehrere Wochen lang untersuchten, steckte sich keines mit Sars-CoV-2 an, wie Studienleiterin Sandra Ciesek sagte. An der Studie mit dem Titel "Sars-CoV-2-Früherkennung in Kitas mit Dual Swabs" nahmen 825 Kinder und 372 Erwachsene aus 50 repräsentativ ausgewählten Kitas in Hessen nahmen teil. Dual Swabs bezeichnet zwei Abstriche aus Wange und Po, die jeweils wöchentlich genommen wurden. Die Erhebung wurde unter anderem vom Institut für Medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt am Main vorgenommen.
In Sachsen wurden im Frühjahr 2020 Rachenabstriche und Blutproben von Schülern und Lehrern an zehn Grundschulen und neun Gymnasien genommen. Kinder wären im untersuchten Zeitraum Mai bis Juni 2020 kaum von Corona betroffen gewesen, fasste Professor Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, die Studienergebnisse zusammen, die eine Analyse seiner Dresdner Kollegen vom Juli bestätigten. Nach diesem Resümee hatten sich die Schulen nach ihrer Wiedereröffnung in der Corona-Krise nicht als Schwerpunkte bei Infektionen erwiesen.
Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kam eine Studie, die die Landesregierung in Baden-Württemberg für den Zeitraum April bis Mai 2020 in Auftrag gegeben hatte. Mit Abstrichen wurde getestet, wie viele Kinder akut an Covid-19 erkrankt waren. Ein Ergebnis der Studie: Kinder werden anscheinend nicht nur seltener krank, sondern sind auch seltener infiziert als Erwachsene. Allerdings wurde in Baden-Württemberg nicht beurteilt, ob Kinder genauso häufig andere anstecken wie Erwachsene.
Am 6. Juli 2020 startete eine flächendeckende Langzeitstudie zur Ansteckungsgefahr durch SARS-CoV-2 bei Kindern in Bayern. Daran beteiligt sind die sechs Universitätskinderkliniken im Freistaat. "COVID Kids Bavaria" heißt das Forschungsprojekt. An der Studie wirken fast 150 ausgewählte Kinderbetreuungsstätten im Freistaat mit, bei denen Kinder zwischen einem und zehn Jahren sowie Erzieher und Lehrer stichprobenartig getestet werden. Sie soll bis Januar 2021 andauern, Ergebnisse werden im März 2021 erwartet.
Am 21. September 2020 begann in Würzburg eine Corona-Studie, die der Frage nachgeht, wie die Kitas auch in Pandemie-Zeiten geöffnet bleiben können. Zu diesem Zweck werden von der Würzburger Uniklinik 800 Vorschulkinder auf das Coronavirus getestet - mit Nasenabstrichen, Speichel- und Blutproben. Die Kinder sollen über drei Monate hinweg regelmäßig auf eine Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus untersucht werden. "Wir möchten herausfinden, wie wir bestmöglich auch während der Pandemie eine kontinuierliche und sichere Betreuung in Kindergärten ermöglichen können", sagt der Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Johannes Liese vom Universitätsklinikum Würzburg.
Kinder können auch ohne Symptome das Coronavirus verbreiten
Bislang beobachtet man, dass Kinder, vor allem unter zehn Jahren, offenbar seltener an der vom Coronavirus übertragenen Krankheit Covid-19 erkranken oder sehr milde bzw. kaum Symptome zeigen. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem mit dem Virus infiziert sein könnten oder es sogar verbreiten.
Der Berliner Virologe Christian Drosten sieht in seiner Studie zur Infektiosität von Kindern keinerlei Hinweise darauf, dass Kinder in Bezug auf Sars-CoV-2 nicht genauso infektiös seien wie Erwachsene. Zu einer Öffnung von Kitas und Schulen heißt es in seiner Studie: "Die uneingeschränkte Öffnung dieser Einrichtungen sollte sorgfältig mit Hilfe von vorbeugenden diagnostischen Tests überwacht werden."
Es gibt auch einzelne Studien zum Infektionsgeschehen bei Kindern, die sich aber teilweise widersprechen. Die Studien sagen etwas darüber aus, wie viele Kinder schon eine Covid19-Infektion durchlaufen haben. Im Ergebnis sind das sehr wenige. Allerdings sagen diese Studien nichts darüber aus, wie ansteckend Kinder sind. Es gibt die Befürchtung, dass Kinder, selbst wenn sie kaum Symptome haben, trotzdem die Krankheit weitergeben. Deshalb ist auch die Unsicherheit bei den Schulöffnungen so groß.
Symptome und Verlauf von Covid-19 bei Kindern
Wenn Kinder an Covid-19 erkranken, entwickeln sie meist nur leichte Symptome - ein wenig Husten, Schnupfen und manchmal Durchfall. In weniger als der Hälfte der Fälle entwickeln die Kinder Fieber. Zwar zeigen Lungenaufnahmen, dass es durchaus typische Entzündungsanzeichen gibt. Trotzdem verläuft die Infektion mit SARS-CoV-2 bei Kindern ungewöhnlich mild. Dass Kinder eine Sars-CoV-2-Infektion besser abwehren, könnte möglicherweise daran liegen, dass das bei ihnen noch nicht voll ausgebildete Immunsystem aktiver arbeitet als bei Erwachsenen.
Bei den meisten Kindern, die an Covid-19 erkranken, verläuft die Krankheit also mild. Im Mai 2020 gab es aber in Europa und den USA dokumentierte Fälle von Kindern, die nach einer Covid-19-Infektion eine überschießende Entzündungsreaktion zeigten. Die Symptome der jungen Patienten ähnelten dem Kawasaki-Syndrom, bei dem Gefäße und Organe entzündet sind. Die Ursache der "Multi-System-Entzündung" mit grippeähnlichen Symptomen ist unbekannt. Obwohl sich die Symptome von Covid-19 und dem Kawasaki-Syndrom ähneln - wie beispielsweise Atemwegsprobleme und die überschießenden Entzündungsreaktionen – konnte ein direkter Zusammenhang zwischen den beiden Krankheiten nicht belegt werden.
Deshalb bleiben die Mediziner dabei, dass nur wenige Kinder schwer am Coronavirus erkranken und oft gar nichts von ihrer Infektion bemerken.
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