Die Iranerin Narges Mohammadi wird mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Die Inhaftierte bekommt den prestigeträchtigen Preis "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle", wie die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen, bei der Preisbekanntgabe in Oslo sagte.
Narges Mohammadi verbüßt langjährige Haftstrafe
Narges Mohammadi ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen im Iran und stellvertretende Vorsitzende des iranischen Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte (Defenders of Human Rights Center). Die 51-jährige Mutter zweier Kinder wurde seit 1998 immer wieder inhaftiert. Seit November 2021 sitzt sie wegen "Propaganda gegen den Staat" im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran. Schon als Physik-Studentin setzte sie sich für Frauenrechte ein und kam dafür ins Gefängnis. "Ihr mutiger Kampf ist mit gewaltigen persönlichen Kosten verbunden", so Reiss-Andersen. Das Regime habe sie insgesamt 13 Mal festgenommen, fünfmal verurteilt und mit insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhiebe bestraft, hieß es.
Ende 2022, während der landesweiten Aufstände im Iran, brachte Mohammadi einen Bericht ans Licht, der mutmaßliche Folter an Dutzenden Frauen im Hochsicherheitsgefängnis aufdeckte.
Im September 2022 war die junge Kurdin Mahsa Jina Amini in Polizeigewahrsam getötet worden, woraufhin die jüngste von mehreren Protestwellen im Iran entbrannt war. Unter dem Motto "Frauen, Leben, Freiheit" gingen Hunderttausende friedlich auf die Straße. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen. Dem Nobelkomitee zufolge wurden mehr als 500 Demonstrantinnen und Demonstranten getötet, Tausende verletzt und mindestens 20.000 inhaftiert. Mohammadi habe sich aus dem Gefängnis dafür eingesetzt, dass die Proteste nicht abebben, erklärte das Nobelkomitee.
UN: Preis richtet Blick auf den Mut iranischer Frauen
Das Nobelkomitee verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Iran Mohammadi freilassen werde. Die Vereinten Nationen erklärten, die Verleihung des Preises an Mohammadi richte den Blick auf den Mut iranischer Frauen. "Frauen im Iran sind eine Inspiration für die Welt", sagte Liz Throssell, Sprecherin des UN-Büros für Menschenrechte, in Genf. "Wir haben ihren Mut und ihre Entschlossenheit angesichts von Repressalien, Einschüchterung und Gewalt gesehen." Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb auf X: "Der #Friedensnobelpreis an #NargesMohammadi und damit die Frauen Irans zeigt die Kraft von Frauen für #Freiheit. Mohammadis furchtlose Stimme lässt sich nicht wegsperren, die Zukunft des Irans sind seine Frauen." Am Rande einer Westbalkan-Konferenz in Albaniens Hauptstadt Tirana ergänzte Baerbock, "wenn Frauen nicht sicher sind, dann ist niemand sicher. Das hat dieser Friedensnobelpreis dieses Jahr unterstrichen, auf beeindruckende Art und Weise."
"Das wird den iranischen Frauen in ihrem Kampf für Freiheit enorm Kraft geben und #NargesMohammadi im Evin Gefängnis, den Schutz durch die Aufmerksamkeit von außen", so die langjährige ARD-Iran-Korrespondentin Natalie Amiri auf X.
Steinmeier nennt Mohammadi ein Vorbild
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, Mohammadi sei vielen Menschen auch über den Iran hinaus ein Vorbild. "Trotz aller persönlicher Entbehrungen und Ihrer eigenen Inhaftierung erheben Sie weiterhin Ihre Stimme gegen die Unterdrückung der Frauen", hieß es in einer Mitteilung des Staatsoberhauptes. Er bewundere Mohammadis Mut, Hartnäckigkeit und Belastbarkeit und wünsche sich, "dass Frauen und Mädchen in Ihrem Land von Gleichberechtigung und Freiheit nicht nur träumen, sondern sie in nicht allzu ferner Zukunft auch persönlich erleben werden, ohne dass sie dafür ihr Leben riskieren müssen."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, mit dem Preis werde der Kampf der iranischen Frauen gewürdigt, die sich unter Gefahren der Unterdrückung widersetzten. Auch UN-Generalsekretär Guterres begrüßte die Auszeichnung der iranischen Frauenrechtlerin. Dies sei ein "Tribut an alle Frauen, die sich unter Einsatz ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit und sogar ihres Lebens" für ihre Rechte einsetzen und eine "wichtige Erinnerung daran, dass die Rechte von Frauen und Mädchen stark zurückgedrängt werden", erklärte Guterres.
Narges Mohammadis Bruder glaubt nicht, dass die Auszeichnung seiner Schwester im Iran etwas ändern wird - im Gegenteil. "Das Regime wird sein Vorgehen gegen die Opposition verdoppeln", sagte der in Norwegen lebende Hamidresa Mohammadi der Nachrichtenagentur AP. "Sie werden die Leute einfach niederwalzen."
Für ihn sei die Bekanntgabe der Preisträgerin ziemlich nervenaufreibend gewesen, sagte Hamidresa Mohammadi. Als die Nobelpreiskomiteevorsitzende Berit Reiss-Andersen zu Beginn auf Farsi den Slogan der iranischen Frauendemonstrationen "Frauen - Leben - Freiheit" zitiert habe, sei ihm aber sofort klar gewesen, dass seine Schwester gewonnen habe. "Es hat sich großartig angefühlt", sagte er. Er habe zwar noch keinen Kontakt zu ihr gehabt, doch die Auszeichnung bedeute seiner Schwester sehr viel. "Der Preis bedeutet, dass die Welt diese Bewegung gesehen hat."
Mohammadi: "Werde nie aufhören zu kämpfen"
Ob Mohammadi bereits von der Auszeichnung weiß, ist unklar. Im Ewin-Gefängnis sei es freitags "unmöglich", telefonischen Kontakt zu Gefangenen aufzunehmen, heißt es auf dem Instagram-Account, der von ihrer Familie geführt wird. Man müsse daher bis morgen warten, "um von Narges zu hören und ihr die guten Nachrichten zu überbringen". Die New York Times zitiert aus einer Mitteilung, bei der aber unklar ist, ob sie von der 51-Jährigen selbst oder ihrer Familie veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Ich werde nie aufhören, für die Verwirklichung von Demokratie, Freiheit und Gleichheit zu kämpfen. Sicherlich wird mich der Friedensnobelpreis auf diesem Weg noch belastbarer, entschlossener, hoffnungsvoller und enthusiastischer machen und mein Tempo beschleunigen."
Narges Mohammadi ist die 19. Frau und die zweite Iranerin, die den Friedensnobelpreis erhält. 2003 war die Anwältin Shirin Ebadi mit der Auszeichnung geehrt worden.
Im Video: Friedensnobelpreis geht an Iranerin Narges Mohammadi
259 Persönlichkeiten und 92 Organisationen im Rennen
Angesichts einer angespannten Weltlage mit Ukraine-Krieg, Klimakrise sowie weiteren Krisen und Konflikten in verschiedenen Erdteilen waren in diesem Jahr 259 Persönlichkeiten und 92 Organisationen für den Friedensnobelpreis im Rennen gewesen. Die Gesamtzahl von 351 Kandidatinnen und Kandidaten war damit die zweithöchste jemals. Wer unter den Nominierten ist, wird von den Nobel-Institutionen traditionell 50 Jahre lang geheim gehalten.
Eine der renommiertesten Auszeichnungen
Der Friedensnobelpreis ist eine der renommiertesten Auszeichnungen weltweit. Benannt sind die Nobelpreise nach dem schwedischen Chemiker und Erfinder Alfred Nobel (1833-1896). Er hielt in seinem Testament fest, dass sein Nachlass die finanzielle Grundlage für fünf internationale Preise in den Sparten Physik, Chemie, Literatur, Medizin und Frieden werden solle. 1968 wurde in Erinnerung an Nobel zudem ein Wirtschaftspreis ins Leben gerufen.
Der Friedenspreis soll, so Nobels Letzter Wille, an jenen verliehen werden, der die beste Arbeit für mehr Brüderlichkeit zwischen Nationen geleistet, das Militär abgeschafft oder Friedenskongresse veranstaltet hat. Der Friedensnobelpreis ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert. Im vergangenen Jahr wurden der belarussische Menschenrechtsanwalt Ales Bjaljazki, die russische Organisation Memorial und das Center for Civil Liberties aus der Ukraine ausgezeichnet.
Im Video: Friedensnobelpreis für Menschenrechtsaktivistin Mohammadi
Mit Informationen von AP, KNA, AFP, epd
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