Laut Statistischem Bundesamt nutzen fast 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland WhatsApp, Telegram und Co. In vielen Schulen wird gleich zu Beginn des Schuljahres eine Chatgruppe für die ganze Klasse aufgesetzt. Am Gymnasium Veitshöchheim hat man mit den Messenger-Gruppen gemischte Erfahrungen gemacht.
Reger Austausch im Klassenchat
Es geht in den Chats nicht nur um Hausaufgaben oder Sporttermine, weiß Gunnar Leuner, stellvertretender Schulleiter am Gymnasium Veitshöchheim. Oft wird einfach nur "Hallo, wie geht es Dir?" oder "Was machst Du gerade?" in die Chatgruppe geschrieben. Das kann schnell ausufern. "Da kommen pro Tag 500, 600 Meldungen", erzählt Leuner, teilweise sogar um drei Uhr nachts.
Daniel Wolff, Medienpädagoge aus Grafrath in Oberbayern, weiß: "Kinder nutzen WhatsApp aus einem anderen Grund als Erwachsene, nämlich zum Spaß. Einer der häufigsten Dialoge im Klassenchat ist: 'Mir ist langweilig' und es kommt dann sofort die Antwort: 'Mir auch, mir auch, mir auch.' Und dann gibt es den ersten lustigen Sticker, und schon ist fünf Kindern nicht mehr langweilig."
Mobbing und Ausgrenzung im Klassenchat
Das Nachrichtengewitter in den Chatgruppen macht aber nicht nur jede Konzentration zunichte. Manchmal kann sich der Klassenchat auch in eine Plattform für Mobbing und Ausgrenzung verwandeln.
Gunnar Leuner hat das am Gymnasium Veitshöchheim schon erlebt: "Wenn die Kinder emotional belastet sind oder wenn sie mit jemandem Probleme haben, schreiben sie das in die Gruppe: 'Ich habe Ärger mit XY' oder 'Der ist ein Depp'. Und das ist natürlich eine ganz andere Qualität, weil das dann zu Ausgrenzungen von einzelnen Schülerinnen und Schülern, zu Mobbing und zu Diskriminierung führen kann."
Eltern und Lehrer sind ahnungslos
Solche Eskalationen können die Betroffenen schwer belasten, und die Dynamik in einem Klassenchat lässt sich nur schwer kontrollieren. Eltern und Lehrkräfte bekommen von solchen Vorfällen meist nichts mit. Betroffene befürchten noch mehr Beschimpfungen, andere wollen nicht als "Petze" dastehen. Und alle wollen auf jeden Fall eines vermeiden: "Die größte Sorge aller Kinder und Jugendlichen ist: Handyverbot", weiß Digitalcoach Daniel Wolff.
Die meisten Eltern würden außerdem darauf vertrauen, dass sich ihre Kinder schon ihnen anvertrauen würden, wenn es in einer Chatgruppe Probleme gibt. "Das ist ein totaler Trugschluss", meint Wolff. Die meisten "fallen rückwärts vom Stuhl, wenn sie zum ersten Mal in einen Klassenchat reinschauen".
Medienscouts als Vertrauenspersonen
Gunnar Leuner vom Gymnasium Veitshöchheim ist deshalb stolz auf eine besondere Institution an seiner Schule: Seit sieben Jahren werden hier "Medienscouts" ausgebildet. Leuner hatte beobachtet, dass sich Kinder und Jugendliche bei Problemen oft an Mitschüler wenden, die etwas älter sind als sie. So wurden Schülerinnen und Schüler zu digitaler Kommunikation speziell geschult und dann direkt in die Klassen geschickt.
"Sie machen in der Regel eine Doppelstunde und versuchen, sich spielerisch in Position zu bringen. Damit haben die Kinder einen Bezug zu den Medienscouts und wenn es dann Probleme gibt, können sie sie direkt ansprechen", erklärt Leuner. Die Medienscouts können in kritischen Fällen auch Lehrkräfte einbinden.
Großer Werkzeugkasten "Medienbildung"
Doch die Medienscouts sind nur ein Teil eines umfassenden Medienbildungskonzepts am Gymnasium Veitshöchheim. Bereits ab der fünften Klasse gibt es spezielle Schulstunden zur Medienbildung, zusätzlich werden mehrtägige Klassenprojekte zu digitalen Themen durchgeführt, es gibt klare Regeln zur Handynutzung in der Schule, und Klassenchats werden moderiert.
Ein regelmäßiger Kontakt zu den Eltern gehört ebenfalls zum Programm.
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