Straßen sind bekannt dafür, dass sie ungünstig für Tiere sind. Auf den Fahrbahnen werden sie entweder überfahren, oder die Straßen zerschneiden die Lebensräume der Tiere. Ganz anders liegen die Dinge, wenn es um Graswege geht. Also die Feldwege, die rechts und links und in der Mitte einen Grasstreifen haben. Die sichern sogar das Überleben von Tieren. Wenn die Landwirte mitmachen.
Besonderheit: Viele Vögel in der Agrarlandschaft
Es ist ein bisschen wie auf einer Safari: Wenn man mit dem Auto durchs Aislinger Ried im Landkreis Dillingen fährt, sieht man Kiebitze mit ihren Jungen, Schafstelzen, Feldlerchen und Feldhasen. Wie passt das zum Eindruck, dass hier Vollgas-Landwirtschaft betrieben wird? Es gibt fast nur Äcker, häufig mit Mais oder Zuckerrüben, kaum Wiesen. Die Landschaft ist bretteben, nur ein paar Gräben und Gehölze.
Die Tiere können sich im Aislinger Ried halten, weil es ausgesprochen viele Graswege gibt, sagt Anton Burnhauser aus Augsburg. Er ist Biologe im Ruhestand und engagiert sich seit fünf Jahren unter anderem für den Kiebitzschutz in Aislingen.
Schutz vor Greifvögeln
Anton Burnhauser sieht mit dem Fernglas am anderen Ende des Feldes einen erwachsenen Kiebitz mit einem Jungvogel. Er kennt die Familie. Das Junge ist 14 Tage alt. "Dass der Altvogel das die ganze Zeit hierbehält, zeigt eigentlich, wie elementar wichtig fürs Überleben diese Graswege sind." Denn die Graswege bieten Deckung. Das ist insbesondere dann existenziell, wenn Thermik herrscht und viele Greifvögel unterwegs sind. "Da muss halt der Altvogel den Luftraum überwachen und der junge kann sich verkriechen ins Gras." Die Kiebitz-Eltern können ihre Jungen warnen oder locken – je nachdem, wie sie rufen. Und wenn der Alte Alarm gibt, versteckt sich das Junge, so Anton Burnhauser. "Also das Spiel funktioniert. Wir müssen denen bloß die Strukturen bieten."
Der Kiebitz lebt ursprünglich allerdings an offenen, flachen Nassstellen. Maisfelder mit Graswegen sind Ersatzhabitate, die das Überleben sichern. Denn im hohen Gras findet sich auch Nahrung, wie Grashüpfer und andere Insekten, Spinnen, Schnecken sowie Grassamen. Außerdem ist es hier kühler.
Graswege früher und heute
Im Aislinger Ried hat die letzte Flurbereinigung vor mehr als 50 Jahren stattgefunden. Damals hat man die einzelnen Felder nicht besonders groß gemacht und einen Großteil der Feldwege als Graswege – im Behördendeutsch heißen sie Grünwege – angelegt.
Doch macht man heute noch Graswege, wenn man die Fluren neu ordnet? Die Antwort von Christian Kreye, dem Leiter des Amtes für Ländliche Entwicklung Schwaben in Krumbach: "Ein eindeutiges Ja." Wenn der Weg nur wenige Felder erschließen müsse und Biotope miteinander vernetzen könne, "dann planen wir auch mit Graswegen".
Graswege haben noch mehr Vorteile
Graswege werden kaum von Radlern befahren – es gibt also weniger Störungen durch Menschen als auf geteerten Wegen. Und Graswege sind viel preisgünstiger anzulegen.
Christian Kreye vom Amt für Ländliche Entwicklung sieht noch einen Vorteil: Sie halten Bodenabschwemmungen, Gülle oder Mineraldünger viel besser auf als Teerwege. Insbesondere zum Beispiel zwischen einem Acker und einem Bach: "Dieser Weg ist quasi dann der Puffer, zwischen der landwirtschaftlichen Nutzung und der eher naturschutzfachlichen oder Gewässerschutz-Nutzung." Damit bringen Graswege sogar Fischen und anderen Wasserlebewesen Vorteile.
Auch Feldlerchen und Schafstelzen profitieren
Die Graswege helfen nicht nur Kiebitzen, sie sichern auch das Überleben von anderen Vögeln, meint Anton Burnhauser. So kommen im Aislinger Ried auch Schafstelzen und Feldlerchen auffallend häufig vor. "Wenn man sich überlegt, wo fliegen die Vögel hier hoch? An einem Kiesweg oder Asphaltweg, da werden sie die Feldlerchen nicht antreffen. Aber hier alle naslang."
Wichtig: Nicht überall gleichzeitig Mähen
Doch die Artenvielfalt am Grasweg ist kein Selbstläufer. Es kommt auf die richtige Pflege an, so die Erfahrung von Anton Burnhauser. "Wenn alles gleichmäßig und gleichzeitig gemäht ist, dann haben wir uns unter Wert geschlagen." Gleichmäßig niedrig abgemähte Graswege finden sich in der Aislinger Flur etliche. Und wenn das Gras weder rechts noch links hoch wächst, ist es vorbei mit der Deckung. Wo sollen sich die Kiebitze, Schafstelzen und Feldlerchen da verstecken? Das gefällt nur den Krähen, Rohrweihen und Milanen, sagt Anton Burnhauser.
Grasweg nur richtig wertvoll, wenn die Landwirte mitmachen
Anton Burnhauser hat einen guten Draht zu den Aislinger Landwirten. "Ich möchte erreichen, dass man mit den Landwirten das abspricht: Wenn der rechts schon gemäht hat, dann mäht halt der links am Feld erst in vier Wochen."
Ludwig Keis, Landwirt in Aislingen und Ortsobmann vom Bauernverband, passt schon länger auf, dass bei seinen Feldern mindestens eine Seite des Graswegs so hoch bleibt, dass sie Deckung bieten kann. Und Keis geht davon aus, dass so gut wie alle Aislinger Landwirte künftig mitziehen: "Wenn man weiß, wie die Sachlage ist, dann kann man aufpassen und reagieren."
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