In der Werbung scheint das Klimaproblem längst gelöst. In der realen Welt wird jedoch überall weiter Kohlendioxid ausgestoßen, sei es bei der Herstellung oder beim Transport von Waren. Viele vermeintlich umweltbewusste Firmen senken ihre eigenen Emissionen nämlich kaum, sondern zahlen Geld an Projekte, die irgendwo auf der Welt zum Beispiel neue Wälder aufforsten wollen.
Dem Klima bringe das wenig, dem eigenen Image viel, sagt Manuel Wiemann von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch: "Die Hersteller haben realisiert: Wir haben global ein riesengroßes Problem mit der Klimakrise. Und jetzt wollen sie so tun, als würden sie ihren Beitrag zur Lösung leisten. Deswegen vermarkten sie eben ganz viele Produkte als klimaneutral. Wir haben uns das mal genauer angeschaut und festgestellt, dass viele dieser Label irreführend sind."
CO2-Einsparungen nur auf dem Papier
Ein frisch gepflanzter Wald kann zum Beispiel erst in einigen Jahren nennenswert CO2 binden. Zudem weiß niemand, ob die Bäume nicht in zwanzig Jahren einem Waldbrand zum Opfer fallen oder doch gerodet werden. Die CO2-Einsparungen stehen zunächst nur auf dem Papier. Die Kunden und Kundinnen aber denken, sie hätten etwas für das Klima getan, kritisiert Florian Antony vom Öko-Institut: "In den wirklich fast allermeisten Fällen rechnet man die berechneten Emissionen durch gekaufte Zertifikate auf Null. Man suggeriert damit, dass ein Konsum von bestimmten Produkten oder Dienstleistungen jetzt letztlich für das Klima keine Auswirkungen mehr hat. Also, dass man quasi so einen sorglosen Konsum ein Stück weit damit befördert und unterstützt."
Umwelt-Werbesprüche zu vage, irreführend oder nicht fundiert
Eine Studie der EU-Kommission hat 2020 mehr als die Hälfte der Umwelt-Werbesprüche, auf Englisch "Green Claimes", als zu vage, irreführend oder nicht fundiert beurteilt. Dieser "Greenwashing"-Befund deckt sich mit Erkenntnissen des New Climate Institute, das bereits zwei Mal Klimapläne internationaler Großunternehmen unter die Lupe genommen hat.
Mit-Autor Carsten Warnecke sieht große Unterschiede zwischen dem, womit die Konzerne werben, und den tatsächlichen Schritten: "In den meisten Fällen kann man gar nicht identifizieren, wie viel überhaupt reduziert wird. Ob sie überhaupt einen Reduktionsplan haben. Das Ziel, wenn man es sich genauer anschaut, ist dann auch gar nicht ambitioniert, weil der Fokus eben sehr auf Ausgleichszertifikate gesetzt wird. Stattdessen sollte der Fokus auf kurzfristigen Reduktionen des CO2-Ausstoßes liegen. Das müssten die Unternehmen nämlich eigentlich leisten."
- Zum Artikel: Pseudo-nachhaltig? Greenwashing als Chance fürs Klima
Ausgleichsprojekte dürfen nach Ansicht der meisten Klimaforschenden nur noch für CO2-Emissionen genutzt werden, die sich wirklich nicht vermeiden lassen. Wer einfach seine Produkte als "klimaneutral" deklariere und dann nur an Aufforstungsprojekte bezahle, dekoriere nur das eigene Schaufenster. "Das macht es schwierig für wirklich ambitionierte Akteure, sich abzusetzen von den Akteuren, die eigentlich nur Greenwashing betreiben", sagt Carsten Warnecke.
Forderung: Keine Werbung mit "klimaneutral"
Die EU-Kommission will deshalb zumindest in der Werbung haltlose Umweltversprechen eindämmen. Ihr Entwurf für eine "Green Claimes"-Richtlinie sieht vor, dass die Unternehmen Aussagen zur Umweltfreundlichkeit künftig wissenschaftlich belegen und unabhängig prüfen lassen müssen. Wer diese Auflagen einhält, soll sein Produkt weiter als "klimaneutral" deklarieren dürfen. Gilles Dufrasne vom Think Thank "Carbon Watch Market" geht das nicht weit genug: "Ein klimaneutrales Produkt ist wirklich eine Illusion. Großartig, wenn ein Unternehmen sich über die eigenen Emissionen hinaus für den Klimaschutz engagiert und zum Beispiel ein Projekt zur Erhaltung des Regenwaldes unterstützt. Aber es führt in die Irre zu behaupten, dass dies eine bestimmte Menge von CO2 reduziere."
- Zum Artikel: Greenwashing besser erkennen und aufdecken
Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern deshalb, Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" komplett zu verbannen. Das Schlagwort sei einfach irreführend: "Es sollte verboten werden, bestimmte Produkte als 'klimaneutral' zu bewerben", sagt Dufrasne. "Weil die Kunden sonst nicht verstehen, ob die Anbieter dafür wirklich CO2-Emissionen gesenkt oder einfach nur Geld an andere bezahlt haben, damit die den CO2-Ausstoß verringern." Stattdessen könnten die Hersteller ganz transparent auf die Verpackungen schreiben, was sie konkret fürs Klima tun. Aber nur dann, wenn sie etwas dafür tun.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!