Die Grippeschutzimpfung wird vor allem chronisch Kranken, Schwangeren und Menschen über 60 Jahren empfohlen, da bei ihnen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf besteht. Zusätzlich sollte sich medizinisches Personal auf Grund des erhöhten Patientenkontakts impfen lassen.
Grippesaison wegen Corona-Maßnahmen ausgefallen
Im Idealfall passiert die Grippeimpfung schon im Oktober oder November, bevor sich die Influenzasaison ab Januar ihrem Höhepunkt nähert. Da sich Grippeviren jedes Jahr ändern können, muss jede Saison neu geimpft werden.
Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. Durch die Abstands- und Hygienemaßnahmen der Corona-Pandemie ist die Grippe-Saison 2020/2021 nahezu ausgefallen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ein positiver Nebeneffekt.
Grippeimpfung kann vor Aufnahme auf Intensivstation schützen
Andersherum könnte die jährliche Grippeimpfung aber auch einen positiven Effekt auf einige schwere Covid-19-Folgen wie Venenthrombosen, Schlaganfälle oder Sepsen haben und dafür sorgen, dass SARS-CoV-2-Erkrankte seltener in die Notaufnahme und auf die Intensivstation müssen. Eine nicht neue Theorie. Das berichteten Forscher auf dem "European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases", der dieses Jahr online stattfand. Eine Veröffentlichung der Analyse ist am 3. August 2021 in dem Fachmagazin PLOS One erschienen.
Patientenakten aus aller Welt untersucht
Die Forschenden der Miller School of Medicine der Universität Miami in den USA untersuchten dafür Patientendaten aus der ganzen Welt. Basis waren die elektronischen Patientenakten aus einer Datenbank mit mehr als 70 Millionen Menschen weltweit. Aus ihnen generierten sie zwei Gruppen mit je 37.377 Patienten aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Italien, Israel und Singapur - eine Versuchs- und eine Kontrollgruppe.
Gruppen nach gleichen Faktoren ausgewählt
Dabei wurde darauf geachtet, dass die Gruppen in etwa gleich zusammengestellt wurden - basierend auf Faktoren, die einen schweren Covid-19-Verlauf begünstigen können, wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Rauchen und Vorerkrankungen wie Diabetes, Übergewicht und chronische obstruktive Lungenerkrankungen. Alle Patienten waren an Covid-19 erkrankt. Die erste Gruppe wurde jedoch 14 Tage bis sechs Monate vor der Infektion gegen Influenza, also Grippe, geimpft. Die zweite nicht.
Vergleich von 15 schweren Corona-Folgen
Dann verglichen die Forscherin Susan Taghioff und ihr Team die Häufigkeit von 15 schweren Folgen durch Covid-19 in den zwei Gruppen in den ersten 120 Tagen nach der Corona-Infektion. Dazu gehörten: Sepsis (also Blutvergiftung), Schlaganfall, tiefe Venenthrombose, Lungenembolie, akutes Lungenversagen, akutes Atemnotsyndrom, Gelenkschmerzen, Nierenversagen, Appetitlosigkeit, Herzinfarkt, Lungenentzündung, Aufsuchen der Notaufnahme, Krankenhausaufnahme, Aufnahme auf die Intensivstation und Tod.
Grippeimpfung vermindert Risiko von Schlaganfall
Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Grippeschutzimpfung vor einigen schweren Folgen einer Covid-19-Erkrankung schützen kann: So hatten die Patienten aus der Gruppe ohne Grippeimpfung eine bis zu 20 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, auf der Intensivstation zu landen. Ein Besuch in der Notaufnahme war für die Ungeimpften um bis zu 58 Prozent wahrscheinlicher.
Auch bei den gesundheitlichen Folgen gab es Unterschiede: Die Gruppe ohne Impfung hatte ein bis zu 45 Prozent höheres Risiko, eine gefährliche Sepsis zu entwickeln, einen Schlaganfall zu bekommen (bis zu 58 Prozent) oder eine Thrombose (bis zu 40 Prozent) zu erleiden. Das Risiko zu sterben, erhöhte sich nicht.
Grippeimpfung boostet das Immunsystem
Zwar muss noch in weiteren Studien herausgefunden werden, warum die Grippeimpfung vor diesen schweren Verläufen genau schützen kann. Die meisten Theorien konzentrieren sich aber darauf, dass die Impfung das eigene Immunsystem pusht - also die Abwehrkräfte, die bereits angeboren sind und nicht speziell auf eine bestimmte Erkrankung abzielen.
Dr. Christoph Spinner vom Münchner Klinikum Rechts der Isar weist im Gespräch mit dem BR darauf hin, dass es sich hier um eine rückblickende Beobachtung handelt: "Das Setting der Studie ist also viel schlechter kontrolliert als ein Blick nach vorne. Man kann sich also nie sicher sein, ob die Beobachtungen so in der Praxis auch zutreffen." Die Hypothese sollte laut Spinner aber auf jeden Fall verfolgt werden.
Nützlich für Länder ohne genügend Impfstoffe
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die Grippeschutzimpfung daher ein wichtiger Bestandteil für die Bekämpfung der Corona-Pandemie sein kann - vor allem in Ländern, die noch nicht den vollen Zugang zu Corona-Impfstoffen haben. Auch wenn sie nicht vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 schützt, kann sie in Teilen zumindest schwere Verläufe eindämmen und trägt dazu bei, eine "Twindamic", also einen gleichzeitigen Ausbruch von Grippe und Corona, zu vermindern. Denn Influenza ist nicht zu unterschätzen und die vergangene - nahezu nicht vorhandene - Grippesaison hat gezeigt, wie viele Todesfälle durch die Impfung verhindert werden können.
Grippeimpfung kein Ersatz für Corona-Impfung!
Taghioff fügt hinzu, dass das auch ein Anreiz für Menschen sein könne, die noch zögerlich mit der Corona-Impfung umgehen. Eine Grippeschutzimpfung könnte sie dennoch vor einigen Folgen bewahren. Allerdings weist sie auch darauf hin, dass die Grippeimpfung kein Ersatz für eine Corona-Impfung ist und rät trotzdem allen dazu, sich gegen Corona impfen zu lassen.
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