War es der Klimawandel? Diese Frage stellt sich, nachdem Mitte Juli starke Regenfälle und Dauerregen in Teilen Deutschlands und den Benelux-Staaten Hochwasser und verheerende Überschwemmungen ausgelöst haben: In Nordrhein-Westfalen gab es in Zusammenhang mit dieser Naturkatastrophe 47 Tote, in Rheinland-Pfalz kamen 133 Menschen ums Leben. Auch die Nachbarländer wie Belgien und die Niederlande waren von den extremen Starkregenfällen betroffen: Die Flutkatastrophe forderte auch dort mehre Dutzend Menschenleben und hinterließ in zahlreichen Gemeinden ein Bild der Zerstörung.
In Deutschland wird der Wiederaufbau der betroffenen Regionen wohl mehrere Milliarden Euro kosten und mehrere Jahre dauern: Das Bundeskabinett hat einen Fonds für die Wiederaufbauhilfe beschlossen, der insgesamt 30 Milliarden Euro umfassen soll.
Der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet (CDU), bezeichnete das Hochwasser als Jahrhundertkatastrophe. Andererseits warnen Klimaforscherinnen und Klimaforscher seit Jahren, dass der Klimawandel extreme Wetterereignisse noch extremer machen wird. Gehört auch diese "Jahrhundertkatastrophe" dazu? Am Dienstag werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Antwort dazu präsentieren: Am Dienstag, dem 24. August 2021, stellt das Forscherteam der World Weather Attribution eine Studie vor, die klären soll, ob und inwiefern der Klimawandel eine Rolle bei der jüngsten Flutkatastrophe in Westeuropa gespielt hat.
Der Klimawandel macht Extremwetter extremer
Die Frage, ob der Klimawandel eine Rolle bei einer der schlimmsten Flutkatastrophen spielte, die sich in Deutschland je ereignet hat, stellte sich bereits kurz nach ihrem Eintreten Mitte Juli. Und die kurze Antwort der Wissenschaft darauf lautete zu jenem Zeitpunkt: Es ist kompliziert. Denn es ist zwar inzwischen klar, dass der Klimawandel aufgrund der globalen Erderwärmung extreme Wetterereignisse und Wetterlagen wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen verstärkt. Zu diesem Schluss kommt auch der jüngste Klimabericht des Weltklimarates IPCC, der am 9. August 2021 erschienen ist: So stellt der Weltklimabericht beispielsweise fest, dass inzwischen der Anteil des Klimawandels an mitteleuropäischen Hitzewellen als "hoch" einzustufen ist. Auch bei Starkregen ist der prinzipielle Zusammenhang bekannt: Wärme Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen als kältere Luft. Somit enthält die Luft mehr Wasser, die als Regen wieder zur Erde fallen kann. Aufgrund der globalen Erderwärmung könnten Starkregenereignisse somit tendenziell intensiver ausfallen.
Der Weltklimabericht allerdings setzt sich nicht mit einzelnen extremen Wetterereignissen auseinander. Dafür braucht es derzeit immer noch wissenschaftliche Handarbeit in Form einer Attributionsstudie.
Welche Rolle spielt der Klimawandel beim extremen Wetterereignissen?
Die Attributionsforschung wird auch Zuordnungsforschung genannt: Sie erforscht die Rolle des menschengemachten Klimawandels für Extremwetterereignisse aller Art. Vereinfacht gesagt, modellieren Attributionsforscherinnen und -forscher eine Parallelwelt: Sie berechnen mithilfe eines Klimamodells, wie wahrscheinlich ein gewisses Ereignis - wie zum Beispiel eine Hitzewelle, eine Kälteperiode oder ein Sturm - in der vorindustriellen Zeit gewesen wäre und vergleichen dieses Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf dem Ist-Zustand basiert, erhöhte Durchschnittstemperaturen aufgrund der globalen Erwärmung inklusive. Für derzeitige Attributionsstudien kommt dabei nicht nur ein Klimamodell, sondern mehrere Klimamodelle zum Einsatz, die die gleiche Frage beantworten sollen.
Eine derartige Studie beantwortet also nicht die Frage: Hätte dieses Ereignis auch ohne den Klimawandel stattgefunden? Denn eine derartige Frage kann niemand beantworten. Stattdessen beantworten die Forscherinnen und Forscher andere Fragen, die trotzdem immer deutlichere Schlüsse zulassen: Inwiefern hat der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses beeinflusst? Und inwiefern hat der Klimawandel ein solches Ereignis intensiver gemacht?
Hitzewellen, Starkregen, Tropische Stürme: Attributionsforschung zeigt menschlichen Einfluss
Als Beispiel: Wenn eine Hitzewelle in vorindustriellen Zeiten, also der simulierten "Parallelwelt", nur etwa alle 80.000 Jahre auftreten sollte, unter Berücksichtigung des Klimawandels aber etwa alle 130 Jahre, dann kann daraus der Schluss gezogen werden: Die beobachteten Temperaturen sind ohne den menschlichen Einfluss durch die globale Erderwärmung quasi unmöglich. Zu diesem Schluss kam eine Attributionsstudie zu einer Hitzewelle in Sibirien im Juni 2020.
Die letzte Attributionsstudie, die das Forscherteam der World Weather Attribution durchgeführt hat, beschäftigte sich mit der Hitzewelle, die im Juni und Juli 2021 in Nordamerika hunderte Menschenleben forderte. Auch hier war das Ergebnis eindeutig: Ohne den menschlichen Einfluss durch den Klimawandel sei diese Hitzewelle praktisch undenkbar.
Flutkatastrophe in Deutschland und Westeuropa: War es der Klimawandel?
Zu welchem Schluss die Forscherinnen und Forscher der Wissenschaftsinitiative World Weather Attribution für die Flutkatastrophe kommen, ist derzeit noch nicht bekannt. Allgemein lässt sich sagen: Hitzewellen lassen sich dem Klimawandel einfacher zuordnen, da sie direkt von den Temperaturen abhängen. Bei Niederschlägen wie Starkregen oder starkem Dauerregen sind hingegen die natürlichen Schwankungen von Jahr zu Jahr und auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt größer. Zudem müssen Attributionsstudien für Starkregenereignisse kleinere Regionen sowie komplexere Phänomene in ihren Klimamodellen und Parallelwelten berücksichtigen, beispielsweise Konvektion. Daher ist die Studienlage in der Attributionsforschung oft nicht so klar wie bei Hitzewellen - beziehungsweise noch nicht.
So äußerte sich Sebastian Sippel vom Institut für Klima und Atmosphäre der ETH Zürich gegenüber dem Science Media Center Germany bereits kurz nach den heftigen Starkregenfällen im Juli: "Pro ein Grad Celsius Temperaturerhöhung kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Diese durch Erwärmung zusätzliche Feuchte führt daher in der langfristigen Tendenz zu höheren Niederschlagsmengen, insbesondere bei Starkregen. Es ist daher aufgrund dieser einfachen physikalischen Gesetzmäßigkeit davon auszugehen, dass langfristig in den mittleren Breiten Starkregenereignisse zunehmen, obwohl auch die natürliche Variabilität bei Niederschlagsereignissen sehr groß ist – was unter anderem bei potenzieller Zuordnung zum Klimawandel berücksichtigt werden muss."
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