Ein „Jahrhundertunwetter“ verursacht in Landshut schwere Schäden, golfballgroße Hagelkörner verwüsten Wolfratshausen, umgestürzte Bäume, vollgelaufene Keller, gesperrte Bahnstrecken in fast allen Regierungsbezirken Bayerns. Die Wetter-Warnmeldungen schienen in den vergangenen Wochen nicht abzureißen. Wetterwarnkarten nahmen teils Farben an, die man sonst selten sieht, die der amtlichen Warnung vor extremem Unwetter zum Beispiel. Dunkelrot. Und dann kommt die Frage, die inzwischen bei fast jedem derartigem Extremwetter gestellt wird: Ist das noch (Un-)Wetter oder ist das schon Klimawandel?
Alle Zutaten für Unwetter in Bayern waren vorhanden
Zunächst einmal sind derartige Unwetter zu dieser Jahreszeit nicht sonderlich ungewöhnlich. „Juni und Juli sind die typischen Gewittermonate“, sagt Michael Kunz vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie KIT. „Außergewöhnlich war der große Anteil an richtig schweren konvektiven Systemen, beispielsweise die zwei Superzellen, die den Großraum München innerhalb weniger Tage getroffen haben.“
Die physikalischen Zusammenhänge für eine Gewitterentstehung sind prinzipiell klar: Es gibt eine erhöhte Temperatur, eine erhöhte Luftfeuchtigkeit sowie eine instabile Schichtung der Luft. Das bedeutet, dass die Temperatur mit zunehmender Höhe stark abnimmt. So kommen alle Zutaten für Gewitter und Unwetter zusammen. Fragt sich nur, wo auf dieser Zutatenliste das Klima steckt.
Der Zusammenhang zwischen Klima und Wetter: eine Henne-Ei-Situation
Klima ist nicht Wetter und Wetter ist nicht Klima. Aber beide bedingen sich gegenseitig. Das Wetter beschreibt den kurzfristigen Zustand der Atmosphäre. Das Klima berechnet sich aus den täglichen Wetterdaten, die zunächst über das Jahr und anschließend über einen Zeitraum von dreißig Jahren gemittelt werden. „Das Klima ist sozusagen das mittlerste Wetter“, sagt Gudrun Mühlbacher, Leiterin der Niederlassung München vom Deutschen Wetterdienst DWD.
Gudrun Mühlbacher vergleicht den Zusammenhang zwischen Klima und Wetter mit dem Henne-Ei-Problem: Was kam zuerst? „Das Klima verändert das Wetter. Das Wetter verändert sich und verändert dadurch das Klima.“ So spiegelt sich der Klimawandel auch in den Wetterdaten wider, aber nur über lange Zeiträume von mehreren Jahrzehnten.
Stellschrauben des Klimawandels am Wetter sind Temperatur und Wasserdampf
Die Stellschraube, mit dem das Klima in unseren Breitengraden am Wetter dreht, ist die gestiegene Durchschnittstemperatur aufgrund des Treibhauseffekts. Im Jahr 2020 überstiegen die Durchschnittstemperaturen in Bayern das längjährige Mittel von 1961-1990 um mehr als zwei Grad.
Steigende Temperaturen beeinflussen das Wettergeschehen über den Wasserdampf. Warme Luft kann mehr Wasser aufnehmen, pro Grad Celsius sind es rund sieben Prozent mehr Wasser. „Dieser Zusammenhang ist also nicht linear, sondern exponentiell“, sagt Michael Kunz. Einerseits befindet sich in der Atmosphäre mehr Energie, somit stünde prinzipiell auch mehr Energie für Gewitter zur Verfügung. Andererseits kann eine höhere Feuchtigkeit auch mehr Niederschlag nach sich ziehen, einfach, weil mehr Wasser da ist.
Die globale Erwärmung fängt an, sich in den Wetterdaten bemerkbar zu machen
Heißt das, dass Bayern bereits jetzt von immer mehr Unwettern und Starkniederschlägen heimgesucht wird? Die Antwort auf diese Frage ist leider etwas kompliziert. „Wir sehen eine Zunahme in den Starkniederschlagsereignissen“, sagt Michael Kunz. Allerdings variieren diese Ereignisse von Jahr zu Jahr. Mal gibt es weniger, mal mehr. Hinzu kommt, dass Starkregen als Wetterphänomen unterm Strich ein eher seltenes Wetterphänomen ist. Bis man einem Wetterphänomen wie Starkregen einen „Klima-Trend“ wirklich zuschreiben kann, dauert es mindestens dreißig Jahre. Erst dann haben Meteorologinnen und Meteorologen genügend Daten, um das Klima-Signal der „Zunahme von Starkregenereignissen“ vor dem „Rauschen“ der natürlichen Schwankungen klar herauszufiltern.
Genauso ist es bei vielen anderen Wetterphänomenen. Gudrun Mühlbacher sagt: „Der typische Landregen fällt aus. Dafür haben wir mehr Einzelereignisse an Niederschlag. Wir sehen auch eine Verschiebung der Niederschläge, weg von den Sommerniederschlägen, hin zu den Winterniederschlägen.“ Statistisch belastbar ist das noch nicht, aber: „Es kristallisiert sich langsam eine statistische Sicherheit heraus.“
Das „noch“ ist entscheidend. Erst in zehn oder zwanzig Jahre werden Meteorologen ihre benötigten langen Zeitreihen haben. Wo man den Klimawandel bereits heute auch bei uns schon deutlich sehen kann, ist bei der Temperatur. „Das ist ein absolut signifikant steigender Trend. Wir bekommen mehr Hitzetage und weniger Eistage“, sagt Mühlbacher. Hitzetage sind Tage mit einer Temperatur von mindestens 30 Grad Celsius. Zwischen 1971 und 2000 gab es durchschnittlich vier Hitzetage pro Jahr. Der Klimareport 2021 für Bayern stellt Klimamodelle vor, laut denen bis 2100 36 weitere Hitzetage dazukommen könnten, wenn keine Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden.
Wie wird das Wetter in dreißig Jahren?
Es gibt heute natürlich noch keine Wettervorhersage für den 5. Juli 2051, und auch keine Unwetterwarnung. Aber da die physikalischen Zusammenhänge – steigende Temperaturen bedingen wärmere Luft, und wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen – klar sind, ist zumindest in Bezug auf Unwetter eines klar: „Extremereignisse werden extremer. Starkregen wird wahrscheinlich stärker. Jeder Sturm regnet ein bisschen mehr“, sagt George Craig, Professor für theoretische Meteorologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Aber im Gegensatz zu Hitzewellen oder Hitzetagen, die einerseits direkt von der Temperatur abhängen und andererseits großflächige Ereignisse sind, besteht bei Unwettern ein indirekter und etwas komplexerer Zusammenhang. Außerdem ist beispielsweise Starkregen ein eher kleinflächiges Wettergeschehen: Ein Dorf mag von Regenmassen überflutet werden, während das Nachbardorf drei Kilometer daneben relativ glimpflich davonkommen mag.
Wetterextreme werden extremer
Deshalb ist derzeit zwar klar, dass Starkregen tendenziell noch heftiger ausfallen wird. Aber unklar ist, ob die Häufigkeit dieser Extremereignisse zunehmen wird, also ob es tatsächlich mehr einzelne Unwetter geben wird. „Es ist eine sehr knifflige Frage,“ sagt George Craig.
Attributionsforschung: Welche Rolle spielt der Klimawandel beim Wetter?
Trotz all dieser Erkenntnisse ist die eingangs gestellte Frage bislang unbeantwortet geblieben: Ist das noch (Un-)Wetter oder ist das schon Klimawandel? Der Beantwortung dieser Frage hat sich die Zuordnungsforschung verschrieben, auch Attributionsforschung genannt. Sie erforscht die Rolle des menschengemachten Klimawandels für Extremwetterereignisse aller Art.
Vereinfacht gesagt modellieren Attributionsforscherinnen und -forscher dabei eine Parallelwelt: Sie berechnen, wie wahrscheinlich ein gewisses Ereignis wie zum Beispiel eine Hitzewelle, eine Kälteperiode oder ein Sturm in der vorindustriellen Zeit gewesen wäre und vergleichen dieses Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf dem Ist-Zustand basiert, erhöhte Durchschnittstemperaturen aufgrund der globalen Erwärmung inklusive.
Zuordnung von Hitzewellen in der Attributionsforschung: eindeutige Signale
Besonders für Hitzewellen klappt das inzwischen gut und ziemlich eindeutig. So kamen die Wissenschafterlinnen und Wissenschaftler der World Weather Attribution zu dem Schluss, dass eine Hitzewelle in Sibirien im Jahr 2020 ohne den Klimawandel quasi unmöglich gewesen wäre. So war für die Hitzewelle 2020 in Sibirien aus den Berechnungen klar: Auch mit Klimawandel sollte eine derartige Hitzewelle nur alle 130 Jahre auftreten, ohne den Klimawandel allerdings nur alle 80.000 Jahre.
„Die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen ist größer und die Temperatur ist auch höher. Es hat natürlich auch früher schon Hitzewellen gegeben. Aber was die Attributionsforschung herausarbeitet, ist, dass Hitzewellen in der vorindustriellen Zeit seltener waren, und die Temperaturen dabei waren niedriger“, erklärt Gudrun Mühlbacher.
Ein komplexeres Bild für Unwetter in der Zuordnungsforschung
Für Unwetter mit Gewitter, Starkregen und Hagel ist eine derartige Zuordnung schwieriger zu bewerkstelligen. Es handelt sich dabei um kleinskaligere, kürzere und komplexere Wetterphänomene. Aber auch hier gibt es Studien, die den menschlichen Einfluss bereits aufgezeigt haben.
Das heißt, dass Forscher die menschlichen Einflüsse bei Unwettern immer besser nachweisen können, vor allem, was die Intensität angeht. Trotzdem ist es auch der Attributionsforschung derzeit unmöglich zu sagen: Dieses Unwetter mit Starkregen hätte ohne den menschlichen Einfluss gar nicht stattgefunden.
Unterm Strich hat aber die Zuordnungsforschung seit ihren Anfängen vor rund zehn Jahren die Kinderschuhe hinter sich gelassen. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Einerseits liegt es daran, dass sich Statistik und Datenverarbeitung seitdem verbessert haben. Der zweite Grund ist vielleicht eher ernüchternd: „Die Signale der Klimaveränderung sind viel größer als noch vor zehn Jahren“, sagt George Craig.
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