Von Insekten übertragene Tropenkrankheiten können selbst bei moderaten Temperaturanstiegen durch den Klimawandel für Menschen in Mitteleuropa künftig zu einem Risiko werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Forschungsgruppe Medizinische Biodiversität und Parasitologie von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, die am 10. Mai vom Deutschen Netzwerk für vernachlässigte Tropenkrankheiten veröffentlicht wurde. Mögliche Strategien zur Vorbeugung sind beispielsweise "die Trockenlegung von Bruthabitaten oder die Ausbringung steriler Männchen".
- Zum Artikel: Wird das West-Nil-Virus zur Gefahr in Deutschland?
Tigermücke in München
Seit Mai 2023 kontrolliert das Münchner Gesundheitsreferat an acht über das Stadtgebiet verteilten Stellen, ob irgendwo Tigermücken zu finden sind. Sie stammen ursprünglich aus Südostasien und können Krankheiten wie das Denguefieber, das West-Nil-Virus und das Zika-Fieber auslösen. Im Jahr 2019 wurden die erste Tigermücken in Fürth und in München nachgewiesen. Laut der Münchner Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek ist die Gefahr, dass man hierzulande von einer Tigermücke gestochen wird, allerdings sehr gering. Dennoch sei es denkbar, dass sich "stabile Populationen auch hier ausbilden und dann als Krankheitserreger in Betracht kommen". Das wird vor allem in Zukunft eine größere Rolle spielen: "Und da ist es wichtig, dass man weiß, welche Mückenarten vorkommen, um präventiv darauf einwirken zu können", so der Infektionsbiologe Sven Klimpel von der Goethe-Universität Frankfurt.
Denguefieber breitet sich weltweit aus
Viren, die beispielsweise in Tigermücken überleben können, übertragen sich bei einem Stich auf den Menschen. Die Sorge, dass tropische Infektionskrankheiten auf diesem Weg zu uns kommen, ist groß. Das Denguefieber gehört zu den Viruserkrankungen, die sich global gesehen besonders rasant ausbreiten. Zwischen 1960 und 2010 haben sich die Fallzahlen nahezu verdreißigfacht. Eine Zikavirus-Epidemie in Lateinamerika machte im Jahr 2015 weltweit Schlagzeilen - mit Bildern von Säuglingen, die mit einem verformten, zu kleinen Kopf geboren wurden.
Mücken legen Eier ins Wasser
Tigermücken sind tagaktiv und aggressiver als heimische Mückenarten. Sie sind also unangenehmer und die Gefahr, gestochen zu werden, ist höher. Mücken legen ihre Eier generell ins Wasser. Ihnen reichen kleinste Wasseransammlungen. Die Larven schlüpfen dann nach ein bis zwei Wochen. Gefäße im Garten oder auf dem Balkon sollten so gelagert werden, dass sich darin kein Wasser ansammeln kann. Sie sollten zudem regelmäßig geleert und gesäubert werden. Regentonnen sollten mit einem eng schließenden dichtmaschigen Netz oder einem Deckel gut abgedeckt werden, so die Ratschläge des Münchner Gesundheitsreferats.
Beim Mückenatlas mitmachen
Der sogenannte Mückenatlas erfasst, wo in Deutschland welche Stechmücken leben. Jeder kann mitmachen und Mücken ans Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung nach Müncheberg nahe Berlin schicken und die bundesweite Karte ergänzen: "Das Projekt Mückenatlas ist ein typisches Citizen Science-Projekt, in dem interessierte und engagierte Bürger helfen, wissenschaftlich verwertbare Daten zu erheben." Allerdings: Man darf die Mücken nicht zerquetschen, erklärt Alexandra Weikert aus Taufkirchen, die bei der Aktion mitmacht: "Das hilft leider gar nichts. Man muss sie als Ganzes einfangen, in eine Dose geben, im Gefrierfach töten und dann verschicken."
Asiatische Buschmücken und Riesenzecken werden heimisch
Außer der Tigermücke haben auch japanische und koreanische Buschmücken den Weg zu uns gefunden. Auch sie können das Dengue- oder auch das Chikungunya-Fieber auslösen, das zu starken Gelenk- und Muskelschmerzen führen kann und ähnlich wie eine Grippe abläuft. Eingewandert ist auch die tropischen Riesenzecke Hyalomma. Eine flinke Zeckenart, die anders als heimische Zecken nicht auf ihre Opfer wartet, sondern sie mehrere hundert Meter weit verfolgt. 2018 wurde sie zum ersten Mal gehäuft auch in Bayern beobachtet. Im Sommer 2019 hat sich durch sie erstmals ein Mensch in Deutschland mit Fleckfieber infiziert, das sich mit Antibiotika gut behandeln lässt. In anderen Ländern überträgt Hyalomma das Krim-Kongo-Hämorrhagische-Fieber. Diese Infektionskrankheit kann in kurzer Zeit Blutungen am ganzen Körper verursachen: In drei von zehn Fällen verläuft sie tödlich. Wer solche Riesenzecke mit gestreiften Beinen entdeckt, sollte sie zur Analyse ans Robert Koch-Institut nach Berlin schicken.
Der Mensch schleppt fremde Organismen ein
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums gehen davon aus, dass statistisch gesehen täglich mindestens ein bis zwei gebietsfremde Arten irgendwo auf der Welt eine neue Heimat finden. Das Bundesamt für Naturschutz listet für Deutschland derzeit über 300 sogenannte Neozoen, also nicht heimische Tierarten, auf, die mit Hilfe des Menschen in ein Ökosystem eingewandert sind und sich dort etabliert haben. Den größten Anteil haben hierbei mit mehr als 100 Arten die Insekten, denen also eine besondere Bedeutung zukommt.
Die Welt wird wärmer und vernetzter
Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum invasive Insekten und Gliedertiere aus warmen Breitengraden zu uns kommen: der fortschreitende Klimawandel - er sorgt auch in Bayern für gute Lebensbedingungen wie etwa milde Winter und ein ausreichendes Nahrungsangebot. Außerdem führt die zunehmende Globalisierung - sei es in Form von Warenverkehr oder auch Tourismus - dazu, dass fremde Arten bei uns Einzug halten. Möglich ist auch, dass Zugvögel infizierte Insekten in ihrem Gefieder mitbringen.
Vögel verbreiten die Viren in Deutschland
Wenn ein tropisches Virus einmal in einer neuen Region angekommen ist, dann bleibt es auch dort. Das Virus kann über die Eier von einer Stechmückengeneration auf die nächste übertragen werden. Infizierte Menschen tragen hingegen nicht zur Ausbreitung bei, sagt der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit: "Die Viruslast im Menschen ist nicht so hoch ist, dass sich eine Stechmücke so infizieren könnte. Wir brauchen immer die Vögel. Sie führen dazu, dass sich das Virus innerhalb Deutschlands ausbreitet. Eine Stechmücke muss einen Vogel stechen, um wieder Viren aufzunehmen." Das West-Nil-Virus beispielsweise kommt in wildlebenden Vögeln vor. Es wird von der asiatischen Tigermücke übertragen, aber auch von heimischen Mücken. Stechmücken dienen dabei nur als Überträger, da sie das infizierte Blut der Vögel saugen und von Vogel zu Vogel weiterverbreiten.
Invasive Arten können Ernten vernichten
Die asiatische Kirschessigfliege befällt reife Früchte wie Kirschen, Erdbeeren oder Weintrauben. Das Obst verdirbt zu Matsch, weil sich die Fliege rasant vermehrt und ihre Eier im Fruchtfleisch ablegt. Sie ist zwar für den Menschen unschädlich, führt aber zu enormen Ernteausfällen. Kosten verursachen in Deutschland auch Arten wie der westliche Maiswurzelbohrer, die Rosskastanienminiermotte und der vor Jahrzehnten schon eingewanderte Kartoffelkäfer. Der asiatische Laubholzbockkäfer gilt als besonders schädliche invasive Art, die amtlich überwacht und bekämpft wird. "Im Moment können wir wirklich als beste Methode empfehlen, das Tier von der Kultur wegzuhalten, indem man ganz feinmaschige Netze verwendet", sagt die Biologin Heidrun Vogt vom Julius-Kühn-Institut in Dossenheim.
Eichen-Prozessionsspinner
Ein weiterer Schädling ist der Eichen-Prozessionsspinner, der einst aus der Mittelmeerregion stammt. In Deutschland sind infolge der Massenvermehrungen mittlerweile alle Bundesländer betroffen, am stärksten Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Seine Raupen fressen Wirtsbäume kahl und stellen für die Forstwirtschaft ein Problem dar. Außerdem können die Haare der Raupen beim Menschen eine starke Hautreaktion auslösen, die sogenannte Raupendermatitis.
Wärme setzt manchen Tierarten zu
Während sich invasive Arten aus den Tropen plötzlich bei uns heimisch fühlen, kommen heimische Tiere oft mit dem Klimawandel nicht zurecht. In der Vogelwelt sind das beispielsweise alpine Arten wie das Alpenschneehuhn oder die Winterlerche. "Bei steigenden Temperaturen ziehen sie sich in höhere Lagen sowie nordwärts zurück. Die Bestände sind gefährdet, weil diese Rückzugsorte geografisch begrenzt sind", warnt der Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern auf seiner Homepage. Das gilt auch für wärmeempfindliche Murmeltiere und Schneehasen. Außerdem sei der Jahresrhythmus von Amphibien gestört, wenn es schon zu Beginn des Jahres warm sei. Wärme sei das Startsignal für Frühjahrswanderungen: "Sind sie einmal losgelaufen, stellen plötzliche Kälteeinbrüche eine massive Gefahr dar. Wandernde Amphibien können sich nicht mehr rechtzeitig durch Eingraben vor der Kälte schützen und erfrieren."
Fazit: Invasive Arten aus südlichen Breiten können gefährliche Viren übertragen. Dieses Risiko lässt sich vermindern, wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird und die Temperaturen moderat bleiben. Das hilft auch heimischen Pflanzen und Tieren in unseren Breiten zu überleben und funktionierende Ökosysteme zu bewahren.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!