Es ist ein Sommer der Temperaturschwankungen: Noch am Sonntag vor einer Woche, am 30. Juni, lag die Höchsttemperatur in München bei 34 °C. Eine Woche später, am vergangenen Sonntag, waren es dann gerade einmal 21 °C. In den Tagen darauf kam es teilweise zu starken Schauern. Der Sommer schien so plötzlich vorbei zu sein wie er gekommen war. Von Klimaerwärmung könne wohl keine Rede sein, spotten deshalb jetzt Klimawandelskeptiker auf Social Media.
Darunter: Die Fraktion der AfD im Bundestag. Sie postete am Dienstag ein Webvideo auf Twitter, in dem sie auf die niedrigen Temperaturen in Hamburg, München und Rostock hinweist.
Der Tweet ist überschrieben mit den Worten "Deutschland bibbert, die Klimaerkältung ist auf dem Vormarsch. Greta, wo bist Du?". Das Video endet mit dem Tipp: "Die Klimaerwärmung kommt. Ziehen Sie sich warm an." Im Bild ist dabei ein Mensch in Regenjacke zu sehen.
Aber es finden sich auch kritische Stimmen unter dem Post. In den Kommentaren moniert ein Nutzer, dass die AfD hier wohl Wetter mit Klima verwechsele. "Zwischen Klima und Wetter nicht unterscheiden zu können, ist schon bezeichnend für den Bildungsstand", schreibt ein anderer.
Wer hat Recht? Ist das, zumindest subjektiv überraschend kalte Juli-Wetter ein Zeichen dafür, dass der Klimawandel nicht stattfindet? Und: Wie viel hat das Wetter mit dem Klima zu tun?
Klima versus Wetter
Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt es bildhaft: Man kann sich den Zusammenhang zwischen Wetter und Klima ganz gut anhand eines Würfels vorstellen. Die Seite, die gerade oben ist, ist das (aktuelle) Wetter. Das Wetter variiert mit jedem Wurf (Tag). Das Klima hingegen beschreibt, wie oft jede der sechs Seiten im Durchschnitt gewürfelt wird sowie die Wahrscheinlichkeit, dass beispielsweise dreimal die gleiche Seite oben liegt.
Oder noch einfacher ausgedrückt: Wetter ist ein kurzfristiges Phänomen, beim "Klima" hingegen werden aus einer Vielzahl an Wetterbeobachtungen typische Verhältnisse abgeleitet – meist über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren hinweg. Ein einzelnes Wetterphänomen wie ein kühler Regentag im Juli sage deshalb, für sich genommen, wenig aus, erklärt der Meteorologe und BR-Wetterexperte Michael Sachweh.
"Es ist typisch für unser Klima in Mitteleuropa, dass es unbeständig ist. Der Klimawandel ist trotzdem eine unbestrittene Tatsache." Meteorologe und BR-Wetterexperte Michael Sachweh
Ein einziger Sommer mit Rekordtemperaturen ist also genauso wenig ein "Beweis" für den Klimawandel wie ein paar Tage Regen im Juli ein "Beweis" gegen den Klimawandel sind. Diesen Eindruck erweckt aber die AfD in ihrem Video – auch wenn sie es nicht explizit sagt.
Die durchschnittliche Temperatur ist bereits um 1,4°C gestiegen
Um den Klimawandel nachzuweisen, braucht es also längerfristige Erhebungen, die zeigen, ob sich das Wetter – auch in Bayern – über die Jahrzehnte verändert hat. Und diese Zahlen gibt es. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz führt in seinem Klima-Report Bayern 2015 gleich mehrere auf. Anbei nur eine kleine Auswahl:
• Im Zeitraum von 1881 bis 2014 ist die Durchschnittstemperatur in Bayern um 1,4°C angestiegen. Besonders deutlich ist der Temperaturanstieg seit Ende der 1980er Jahre: Neun der zehn wärmsten Jahre liegen im Zeitraum ab 1990.
• Sowohl die Anzahl auch die Intensität von Starkregen nimmt zu. Gerade im Bergland kann dies zu überspülten Wildbächen und Lawinen führen.
• Es gibt deutlich weniger Schneetage. In den Alpen lässt sich an mehr als jeder zweiten Messstation ein Negativtrend nachweisen.
• Die Jahresdurchschnittstemperatur der bayerischen Flüsse hat sich erhöht – seit 1980 um rund 0,5 °C je Dekade. Das hat Folgen für Tiere und Pflanzen: Temperaturempfindliche Arten wie die Bachforelle und Insekten ziehen sich zurück.
• Auch für Menschen in Bayern hat der Klimawandel Folgen: Insbesondere Hitzewellen sind für Risikogruppen gefährlich. Steigen die Temperaturen von einem auf den nächsten Tag um mehr als 5 °C, wächst die Herzinfarktgefahr für Menschen mit Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen um 60 Prozent.
Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Wetter
Laut Friederike Otto, Leiterin des Environmental Change Institutes an der Universität Oxford, gibt es zwei Haupteffekte, mit denen das Klima das Wetter beeinflusst.
Erstens: Der "thermodynamische Effekt". Dadurch, dass wir mehr Klimagase in der Atmosphäre haben, erhöht sich die globale Mitteltemperatur – die Temperatur der gesamten Atmosphäre. Das bedeutet lokal, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen erhöht und die Wahrscheinlichkeit für Kältewellen verringert.
Die wärmere Luft kann mehr Wasserdampf speichern, was dann zu häufigeren und heftigeren Regenfällen führt. Im globalen Durchschnitt gebe es deshalb mehr extreme Regenfälle. Dieser thermodynamische Effekt sei im Prinzip überall auf der Erde gleich.
Zweitens gebe es den "dynamischen Effekt", erklärt Otto: Dadurch, dass wir die Komposition der Atmosphäre verändern, verändern wir auch die atmosphärische Zirkulation – wie sich Wetter-Systeme (also Hoch- und Tiefdruckgebiete) entwickeln, wo sie sich entwickeln, wo sie hinziehen. Dieser Effekt könne sehr unterschiedlich von Region zu Region und von Jahreszeit und Jahreszeit ausfallen. "Es ist aber nicht so, dass man nicht feststellen kann, dass es ihn gibt."
Beide Effekte spielen zusammen: Sie können sich gegenseitig verstärken oder abmildern. In manchen Regionen der Welt kommt es allein aufgrund der Erderwärmung zu mehr extremen Regenfällen ("thermodynamischer Effekt"). Wenn dann noch Tiefdruckgebiete hinzukommen ("dynamischer Effekt"), kann das den Effekt "mehr extreme Regenfälle" verstärken. In anderen Regionen wird dieser Effekt abgeschwächt, weil in einer Saison weniger oder gar keine Tiefdruckgebiete mehr in das Gebiet kommen. In der Folge gibt es entweder keine Veränderung in der Regen-Wahrscheinlichkeit oder sogar weniger extreme Regenfälle.
Mit anderen Worten: Der Klimawandel kann sich je nach Region sehr unterschiedlich auf das Klima auswirken. Mancherorts wird es trockener, anderswo gibt es mehr extreme Regenfälle.
2019: Der wärmste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
Die AfD unterstellt in ihrem Video: Weil es in Deutschland im Juli regnet, gibt es keine Erderwärmung. Das ist falsch, sagt Otto. Denn ein Temperatur-Ausreißer ändert ja nichts daran, dass die Temperaturen im Monats- oder Jahresdurchschnitt insgesamt steigen. Außergewöhnlich sei also nicht der Regen – sondern eher die anhaltende, extreme Hitze der Juni-Wochen. "Was wir ganz sicher wissen, ist, dass Hitzewellen in ihrer Intensität und in ihrer Anzahl in Europa zunehmen. Das ist eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen."
Tatsächlich war der Juni 2019 der wärmste und sonnigste Juni in Deutschland seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen vor fast 140 Jahren. Das bestätigte Ende Juni der Deutsche Wetterdienst. Mit 19,8 Grad Celsius lag der Temperaturdurchschnitt um 4,4 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990. Im brandenburgischen Coschen und im sächsischen Bad Muskau wurde es mit 38,6 Grad heißer als je zuvor im Juni. Uwe Kirsche, Sprecher des Deutschen Wetterdienstes, sprach angesichts der Zahlen von "inzwischen in Serie auftretenden Klimarekorden".
Bisher ließ sich bei solchen außergewöhnlichen Phänomenen im Einzelfall nicht sicher sagen, ob sie direkt auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Forscherin Otto arbeitet daran, das zu ändern. Zusammen mit Kollegen hat sie ein Modell entwickelt, um eben diesen Zusammenhang nachzuweisen – sie nennt es "Zuordnungswissenschaft". Die Methode ist schnell erklärt, im Detail allerdings komplex: Die Forscher vergleichen Wetterdaten aus einer Welt ohne Klimawandel (vor der industriellen Revolution) mit der aktuellen Welt der Erwärmung. Anhand der Abweichungen könne man berechnen, wie sich das Wetter verändert und wie häufig Extremereignisse vorkommen. Das Ergebnis für dieses Jahr: Der Hitzesommer hätte auch ohne Klimawandel vorkommen können. Aufgrund des Klimawandels war er allerdings fünf Mal so wahrscheinlich wie ohne.
Fazit
Einzelne Wetterphänomene sind keine Beweise für oder gegen den Klimawandel. Dass es den Klimawandel gibt, zeigen nicht nur Wetter-Statistiken, sondern Forschungen in den unterschiedlichsten Gebieten von den Gletschern bis in die Unterwasserwelt. Durch den "thermodynamischen" und den "dynamischen" Effekt wirkt sich das Klima auf das Wetter aus. In welcher Form, das kann je nach Region sehr unterschiedlich ausfallen.