Sommer in Deutschland – das sind nicht nur strahlend blaue Tage am See und laue Nächte auf dem Balkon. Von Juni bis September setzen immer mehr extreme Hitzetage den Menschen gesundheitlich zu. Ein Problem, das nicht nur, aber besonders ältere Menschen betrifft. Eine internationale Studie bestätigt jetzt: Der Klimawandel könnte ernste Auswirkungen auf die Gesundheit vieler Deutschen haben. Denn die Modellrechnungen des internationalen Forscherteams zeigen, dass im weltweiten Vergleich die Bundesrepublik bei der Zahl der Hitzetoten weit vorne liegt.
Nach der im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichten Studie ermittelten die Wissenschaftler für 2018 in Deutschland rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Zusammenhang mit Hitze. Nur die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Welt mit je rund 1,4 Milliarden Einwohnern lagen in reinen Zahlen in dem Rechenmodell noch höher: China mit 62.000 und Indien mit 31.000 Hitzetoten. In die Kalkulation nahmen die Forscher unter anderem die tägliche Maximaltemperatur, den Anteil der über 65-Jährigen und das Sterberisiko dieser Altersgruppe durch Hitze auf.
Diese Ergebnisse sind Teil der Studie "Lancet Countdown on Health and Climate Change 2020", in der sich 120 internationale Forscher mit Beteiligung der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Weltbank mit den Zusammenhängen von Klimawandel und Gesundheit beschäftigen.
Toxischer Mix: mehr Hitzetage, mehr ältere Menschen
Als Ursache für die große Zahl an Hitzetoten nennt die Studie die Zunahme der Hitzetage pro Jahr in Kombination mit dem steigenden Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre. Mit Blick auf die Mittelwerte der Vorjahre zeige der Wert für Deutschland eine deutliche Steigerung, so die Forscher. In den Jahren 2014 bis 2018 habe die Zahl der Hitzetoten nach dieser Methode hierzulande im Schnitt noch bei 12.080 gelegen. Und das seien bereits 3.640 Hitzetote mehr gewesen als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004.
Warum Hitze besonders Senioren gefährdet
Dass besonders ältere Menschen durch die Hitze bedroht sind, hat vielfältige Gründe. Senioren sind oft in ihrer Mobilität eingeschränkt, sie empfinden weniger Durst oder registrieren negative Folgen von Hitze nicht. Da der Blutdruck aufgrund der sich erweiternden Blutgefäße bei hohen Außentemperaturen sinkt, kommt der Kreislauf bei vielen Menschen an heißen Tagen ins Trudeln. Für ältere Menschen, die zusätzlich Blutdruck senkende Medikamente einnehmen, kann dies zum echten Problem werden.
Hinzu kommt eine geringere körperliche Belastbarkeit für jene, die nicht genug trinken. Senioren, deren Durstgefühl häufig beeinträchtigt ist, obwohl der Körper durch Schwitzen Flüssigkeit verliert, sind hier besonders betroffen. Alltägliches wie Treppensteigen, Aufstehen aus dem Sitzen und das Halten des Gleichgewichts können für Ältere aufgrund großer Hitze zu echten Herausforderungen mit weitreichenden Folgen werden.
Hitze in der Stadt wirkt gravierender
Nicht einkalkuliert haben die Forscher der „Lancet“-Studie in ihre Modellrechnung, dass in Deutschland viele Menschen in Städten lebten. Große Städte erhitzten sich aber mitunter noch stärker als die Werte, mit denen die Modellrechnung arbeitet - insbesondere in der Nacht. Ein Trend, der sich in Zukunft noch verstärken wird, sagt Professor Matthias Garschagen, Klimaforscher und Lehrstuhlinhaber für Anthropogeographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München:
"Wir werden auch in Deutschland, in Mitteleuropa, mit einer höheren Anzahl von Hitzewellen zu tun haben, mit intensiveren Hitzewellen. Wobei das größere Problem bei den Hitzewellen die Nachttemperaturen sind – die Frage, kühlt es sich in der Nacht noch soweit ab, dass gerade Ältere, Schwächere, Kranke sich nachts regenerieren können." Professor Matthias Garschagen, Lehrstuhl für Anthropogeographie, LMU München
Krank durch tropische Stechmücken
Der Klimawandel und die damit verbundenen Hitzetage könnten laut "Lancet"-Studie aber noch ein weiteres Problem verschärfen: neue Infektionskrankheiten. Denn höhere Temperaturen begünstigen langfristig die Umweltbedingungen für bestimmte Mückenarten, die nach Deutschland einwandern und Tropenkrankheiten übertragen können. So wurden im Sommer 2019 erste in Deutschland durch Mücken übertragene Fälle von West-Nil-Fieber bekannt. Im Sommer 2020 hatten sich hierzulande vier Menschen mit der Tropenkrankheit angesteckt.
Das Robert Koch-Institut hält Ansteckungen mit der Tropenkrankheit in Deutschland dauerhaft für möglich. Vor allem längere Sommer mit hohen Temperaturen könnten zu einer verlängerten Saison und einer weiteren räumlichen Ausbreitung beitragen. Der Erreger des West-Nil-Fiebers sei offenbar in der Lage, in Deutschland zu überwintern. Von Mensch zu Mensch kann das Virus nach bisherigem Kenntnisstand nicht übertragen werden.
Auch Gefahr für Dengue-Fieber-Infektion steigt
Die aktuelle "Lancet"-Studie bestätigt, dass auch die Wahrscheinlichkeit, sich hierzulande mit Dengue-Fieber anzustecken, steigt. Die Viruserkrankung wird durch Stechmücken, die eigentlich in den Tropen und Subtropen leben, auf den Menschen übertragen und betrifft weltweit jährlich 50 Millionen Menschen. Zwar sei in Deutschland noch keine einheimische Dengue-Fieber-Infektion registriert worden. Es gebe im Vergleich der Zeiträume von 1950 bis 1954 und 2014 bis 2018 allerdings eine Steigerung der klimatischen Möglichkeiten dafür von fast 120 Prozent, so die Wissenschaftler.
Die Tigermücke, Überträgerin unter anderem des Dengue-Virus, ist laut Experten inzwischen in Europa und auch in Deutschland angekommen. Die Überträger Aedes aegypti und Aedes albopticus sind sehr widerstandsfähig und können auch milde Winter überleben. Containerhandel und Tourismus dienen den Mücken als Brücke nach Deutschland. Noch sind die Mücken allerdings aufgrund des fehlenden Virus-Reservoirs kein Träger des Dengue-Fiebers.
Damit es nicht zu Krankheitsausbrüchen kommt, müsse man die Lage beobachten – und gegebenenfalls auch eingreifen, sagt auch Moskitoforscherin Renke Lühken, Moskitoforscher am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
„Für uns sind diese Übertragungen von Viren durch Stechmücken ein ganz neues Phänomen, das beobachten wir erst seit etwa zehn Jahren in Deutschland.“ Renke Lühken, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg
Die Luft wird reiner
Immerhin, es gibt auch Lichtblicke in Sachen Umwelt, Klima und Gesundheit: So sei das Risiko, in Deutschland durch Luftverschmutzung vorzeitig zu sterben, leicht zurückgegangen, heißt es in der „Lancet“-Studie. Durch Kohleverbrennung seien 2015 geschätzt 9.280 Menschen in Deutschland früher gestorben, drei Jahre später seien es geschätzt 8.140 gewesen.
"Darüber spricht Bayern": Der BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!