Heute ist ein wichtiger Tag für die aktuelle Krebsforschung: In den USA startet der weltweit größte Krebs-Kongress, die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO 2023). Und bei uns wird Freitagabend der Deutsche Krebspreis 2023 verliehen.
Deutscher Krebspreis 2023 für aktuelle Krebsforschung
Der Deutsche Krebspreis, gestiftet von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebsstiftung, geht 2023 an fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit ihrer Forschung an der aktuellen Wende in der Krebstherapie mitarbeiten. Der Preis für experimentelle Forschung geht an Studien zur genetischen Entwicklung von Krebszellen. Als Translationale Forschung wird die Untersuchung der genetischen Varianten innerhalb eines Tumors bei Neuroblastomen (einer schwer heilbaren Krebsart) ausgezeichnet. Und der Preis für Klinische Forschung würdigt zwei Studien zu einer neuen Therapie von Brustkrebs, die ohne Chemotherapie auskam, wenn der Tumor bestimmte genetische Merkmale aufwies.
Ist die Chemotherapie gegen Krebs bald Vergangenheit?
Ohne Chemotherapie - das ist eine große Sehnsucht in der Behandlung von Krebs. Denn anders als Krebsoperationen oder die Bestrahlung zielt die "Chemo" auf den gesamten Körper der Erkrankten und bringt massive Nebenwirkungen mit sich. Ganz ohne sie wird es wohl nie gehen, schätzt Professor Andreas Mackensen, Hämatologe und Onkologe des Uni-Klinikums Erlangen und Präsident des Bayerischen Zentrums für Krebsforschung (BZKF) in einem Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. Die Chemotherapie sei eine wichtige Säule in der Krebstherapie. Doch es besteht Hoffnung, dass mit neuen Therapien Krebs effizienter behandelt werden kann - tödlich für die Krebszellen, aber schonender für die Krebskranken.
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Wie wird Krebs behandelt? Klassische Therapieformen
Einer der wichtigsten Bausteine der Krebstherapie ist laut Mackensen die Operation. Nicht jeder Tumor lässt sich operativ entfernen und nicht für jede Krebserkrankung ist die Operation die beste Behandlung. Doch wo ein noch junger Primärtumor entdeckt wurde, bestehen je nach Krebsart gute Chancen, das bösartige Geschwulst komplett zu entfernen.
Im Anschluss wird auch eine Strahlentherapie angewandt: Angrenzendes Gewebe wird mit Teilchenstrahlung oder ionisierender Strahlung beschossen und dabei komplett zerstört. Das betrifft auch gesundes Gewebe, doch auf begrenztem Gebiet: Wie die operative Behandlung ist die Bestrahlung eine lokale Therapie, die sich auf die erkrankten Körperregionen beschränkt. Strahlentherapie wird ansonsten heute nicht mehr so häufig angewandt.
Systemische Krebserkrankungen wie Leukämie oder Lymphome
Es gibt aber einige Krebsarten wie Lymphdrüsenkrebs oder Leukämie (Blutkrebs), die nicht einfach bestrahlt oder herausgeschnitten werden können, weil sie gar nicht an einer bestimmten Stelle im Körper verortet sind, sondern systemische Erkrankungen sind: Die Krebszellen sind im Körper verteilt, etwa durch das Lymphsystem mit seinen verschiedenen Knoten.
Chemotherapie als systemische Krebstherapie
Solcher Krebs braucht eine systemische Behandlung wie etwa die Chemotherapie, die auf den gesamten Körper einwirkt. Medikamente sollen chemische Substanzen zu den Tumorzellen bringen, die diese zerstören. Um nicht auch alle anderen Körperzellen zu schädigen, geht die Chemotherapie gezielt gegen sich schnell teilende Zellen vor - ein Hauptmerkmal von Krebszellen. Aber auch von den Zellen der Haare, daher kommt der Haarausfall bei der Chemotherapie. Und noch andere Körperzellen werden von der "Chemo" angegriffen, daher geht sie mit so starken Nebenwirkungen einher. Viele von denen können inzwischen durch weitere Medikamente, die die Chemo begleiten, eingedämmt werden.
Die schlauen Krebszellen
Keine der Therapien passt hundertprozentig auf alle Tumorarten oder Stadien einer Krebserkrankung, betont der Krebsforscher Mackensen. Mal ist eine operative, mal eine chemische Therapie aussichtsreicher. Dazu kommt, dass sich Krebszellen schnell verändern und verstecken. Das ist genau das Spezifische am Krebs: Tumorzellen versuchen, sich ihrer Zerstörung zu entziehen, und "lernen" schnell dazu.
Krebsforschung: Schlauer sein als der Krebs
Doch die Krebsforschung lernt auch stetig dazu und guckt dem Krebs längst in sein Innerstes: in seine Gene. Die genetische Entwicklung von Tumorzellen wird erforscht, ebenso ihre spezifischen Merkmale und Schwachstellen. Der Kampf gegen Krebs ist gerade dabei, sich zu verändern.
Wie Würzburger Forscher den Krebs angehen
Immuntherapie und Antikörper gegen Krebs
Zwei Immunologen aus den USA und Japan, James P. Allison und Tasuku Honjo, fanden heraus, wie Krebs das menschliche Immunsystem austrickst: Sie entdeckten, dass bestimmte Proteine als eine Art Bremse auf das Immunsystem wirken und dieses von der Bekämpfung von Tumorzellen abhalten. Löst man die Bremse mithilfe dieser Checkpoint-Therapie, attackieren die Immunzellen die Krebszellen und töten sie.
- Zum Hintergrund: Nobelpreis für die Entdecker der Checkpoint-Therapie gegen Krebs
- Zum Audio: Checkpoint-Therapie genau erklärt am Beispiel einer Studie von 2022
Eine solche Immuntherapie ist extrem effizient, aber auch sehr aufwändig: Bei der CAR-T-Zellen-Therapie werden aus dem Blut der Krebserkrankten Immunzellen (T-Zellen, auch: Killerzellen) entnommen und so modifiziert, dass sie genau an den Krebszellen des untersuchten Tumors andocken können - und sie killen.
So funktioniert die CAR-T-Zellen-Therapie
Diese Antikörper-Therapien machen die Krebszellen wieder sichtbar für das eigene Immunsystem. Zwar können auch andere Körperzellen unter der Immuntherapie leiden, jedoch in viel geringerem Maße als bei einer Chemotherapie. Immuntherapien werden seit 2011 bei einigen Krebsarten eingesetzt, sind aber noch Brennpunkt der Forschung.
Erste sehr erfolgreiche Ergebnisse der Immuntherapie
"Da gibt es wirklich sehr, sehr beeindruckende Ergebnisse," erklärt Mackensen. "Zunächst mal bei bestimmten Leukämieformen und bestimmten Lymphdrüsen-Krebsformen. Das ist heute zugelassen und ist eine nicht mehr wegzudenkende neue Therapie. Und im Moment geht die Entwicklung dahin, auch bei anderen sogenannten soliden Tumoren wie zum Beispiel bei Lungenkrebs und einigen anderen Krebsarten diesen neuen Ansatz zu testen. Und vielleicht auch eines Tages dann zur Zulassung zu bringen."
KI hilft in der Krebsforschung Daten auszuwerten
Für solche modernen Krebstherapien sind viele und große Analysen notwendig - etwa bei der Biopsie der Krebszellen. Denn gesucht ist jetzt deren genetischer Bauplan oder ihre genauen molekularen Profile, um gezielt gegen einen solchen individuellen Tumor vorzugehen. Ohne die Hilfe von Künstlicher Intelligenz bei der Erstellung der Analysen ginge das nicht.
Aber auch in der klinischen Forschung ist KI wichtig. Um aus den vielen verschiedenen Therapieversuchen zu lernen, braucht es Daten: Bei welcher Art von Krebserkrankung wurde welche Therapie angewandt? Welchen Erfolg hatte die Behandlung? Welchen Bauplan wies der Tumor auf? Welche Antikörper waren erfolgreich? Daten, die vereinheitlicht werden müssen, um für Krebsärztinnen, Forscher und Experimentierende lesbar zu werden.
Die Daten sollen Forschung und Therapie voranbringen, daher schließen sich die großen Forschungskliniken zusammen, etwa im Bayerischen Zentrum für Krebsforschung (BZKF). Zugleich muss aber der Datenschutz gewahrt bleiben. In Bayern heißt das aufgrund des Bayerischen Krankenhausgesetzes: Patientendaten dürfen das jeweilige behandelnde Krankenhaus nicht verlassen. Vereinfacht ausgedrückt: Was in Würzburg einem Krebspatienten geholfen hat, darf einer behandelnden Ärztin in Erlangen nicht mitgeteilt werden.
Und auch dieses Problem soll KI meistern: Die Datenwissenschaftlerin Jasmin Ziegler arbeitet für ein Projekt des BZKF an einer KI, die ihr Wissen in verschiedenen Kliniken erlernt. "Dieser Algorithmus wandert von Krebszentrum zu Krebszentrum. Er lernt dort, wird trainiert und mit den neuen Updates ans nächste Zentrum weitergeleitet, lernt hier wieder. Und am Schluss hat dieser Algorithmus eine große Datenvielfalt gesehen und kann besser zum Beispiel eine Behandlungsempfehlung geben oder eine Therapieunterstützung vorschlagen," erläutert Ziegler.
Die große Hoffnung: Impfstoffe gegen Krebs
Ähnlich wie beim Coronavirus könnte ein mRNA-Impfstoff das Immunsystem des Erkrankten zur Bekämpfung von Krebszellen anregen. Entscheidend ist, dass der im Labor hergestellte mRNA-Impfstoff die passenden Baupläne für die Zellen liefert, wodurch das Immunsystem den Tumor bekämpft. Zahlreiche Studien zu verschiedenen Krebsarten - von Brust-, Prostatata-, Haut- oder Lungenkrebs - werten derzeit den Nutzen eines mRNA-Impfstoffs aus. Laut Niels Halama, Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ), sollen mRNA-Impfstoffe "als Konzept für alle Tumorerkrankungen" einsetzbar sein, wie er in einem BR-Interview betont.
Dass trotz langer Forschung noch kein mRNA-Präparat gegen Krebs auf dem Markt ist, liegt daran, dass Tumorzellen im Gegensatz zu Viren ununterbrochen mutieren. Das macht es schwer, einen passgenauen Impfstoff herzustellen. Trotzdem rechnen Wissenschaftler am DKFZ damit, dass die mRNA-Technologie zur Behandlung von Krebspatienten vor 2030 einsetzbar ist.
- Zum Hintergrund: Hoffnung auf mRNA-Impfstoffe gegen Krebs
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