Es hat sich mittlerweile rumgesprochen: Nur die wenigsten Wildbienen gehen ins Insektenhotel. Die meisten Arten bauen Nisthöhlen in die Erde. Und einige legen ihren Nachwuchs in aufrechte markhaltige Pflanzenstängel, zum Beispiel von Königskerzen, Kugeldisteln und Brombeeren. Damit das auch im Garten und auf dem Balkon funktioniert, braucht es Hobbygärtner mit Durchhaltevermögen.
Stängel einfach stehen lassen reicht Marienkäfer – Wildbienen nicht
Es geht hier um mehr, als im Herbst die Stauden nicht zurückzuschneiden. Wer die verholzten Stängel von Schafgarben, Sonnenhüten oder zum Beispiel Zitronenmelisse bis zum Frühjahr stehen lässt, hilft Marienkäfern, Zitronenfaltern und andere Insekten, einen Überwinterungsplatz zu finden.
"Nur wenn man wirklich speziell Wildbienen fördern will, dann muss man eben das über mehrere Jahre machen", sagt Hannah Burger, Wildbienen-Expertin an der Universität Ulm. Damit meint sie, dass man markhaltige Pflanzenstängel jahrelang im Garten stehen lässt. Warum gleich mehrere Jahre? Die Wildbienen besiedeln nur abgestorbene Stängel. In einen Stängel, der heuer, also 2023 abgestorben ist, legt die Wildbiene frühestens im Sommer 2024 ihre Eier hinein. Dann dauert es ein ganzes Jahr, bis zum Sommer 2025, bis aus dem Ei eine Wildbiene geworden ist, die den Stängel verlässt.
Welche Stängel brauchen die Wildbienen?
Pflanzenstängel, die Mark, eine schwammig weiche Substanz enthalten, haben nicht alle Pflanzen. Unter den einheimischen Pflanzen findet man Markstängel zum Beispiel bei Brombeeren, Königskerzen, Heckenrosen, Beifuß, Disteln und auch Kletten. Brennnesselstängel eignen sich nicht, denn sie enthalten kein Mark, sondern Fasern.
Die markhaltigen Stängel wirft man nicht auf den Kompost, wenn man Wildbienen unterstützen will. Stattdessen schneidet man sie oben und unten auf ungefähr einen halben Meter Länge ab. Und platziert sie aufrecht im Garten. Zum Beispiel in einen großmaschigen Maschendraht, den man zu einem Zylinder zusammengesteckt hat. Dort kann man ein paar Stängel hineinfädeln. Wichtig: Sie sollten den Boden nicht berühren, damit sie keine Feuchtigkeit ziehen. Mit Installationen dieser Art schafft der Ökologe Martin Döring aus Triesdorf im Landkreis Ansbach Nistplätze für verschiedene Wildbienen, die nicht ins Insektenhotel gehen: "Man staunt immer wieder, dass überhaupt jemand in dieses alte Gruschel reingeht"
Die schwarzspornige Stängelmauerbiene: Ein Gartenbewohner
Wem bringen die Markstängel was? Unter den Wildbienen gibt es mehrere Arten, die ihre Eier nicht in Bodennester legen und auch nicht in Hohlräume, wie sie im Insektenhotel angeboten werden. Zum Beispiel manche Masken-, Mauer- und Keulhornbienen. Auch einige Grabwespen, Faltenwespen und sogar Ameisen nutzen markhaltige Stängel für die Aufzucht ihres Nachwuchses. Im naturnahen Hausgarten können unter anderem die gewöhnliche Maskenbiene (Hylaeus communis), die schwarzspornige Stängelmauerbiene (Osmia leucomelana) und die Luzerne-Blattschneiderbiene (Megachile rotundata) leben – wenn es abgestorbene Markstängel gibt, die jahrelang stehen bleiben.
Wichtig: Volle Sonne
Die Markstängel sollen an einem möglichst sonnigen Platz stehen. Martin Döring hat den Maschendrahtzylinder mit den Stängeln mitten im Gras platziert, wo die Sonne den ganzen Tag hinscheint. "Weil die ganzen Hautflügler, die da gern reingehen, sind ja sehr wärmeliebend."
Man könnte die Stängel auch an einzelne Pfähle, Tomatenstecken oder an Zaunlatten, die in der Sonne stehen, binden. Dabei gilt: Abstand halten! Die entsprechenden Wildbienen und manche Grabwespen brauchen Markstängel, die senkrecht und nicht zu nah beieinander stehen, so Martin Döring. "Die wollen irgendwie diese einzelnen Stängel. Ich platziere die so luftig, dass man ohne Weiteres noch einen weiteren Stängel zwischendrin stecken könnte." Der Wildbienen-Experte Paul Westrich empfiehlt einen Abstand von mindestens 20 Zentimeter zwischen den einzelnen Stängeln.
Was passiert im Markstängel?
Die seltene Dreizahn-Mauerbiene (Osmia tridentata) ist so kräftig, dass sie die markhaltigen Stängel selbst von der Seite aus anbohren kann. Der Rest der markstängel-bewohnenden Wildbienen ist nach allem, was man weiß, auf eine offene Schnitt- oder Bruchstelle an der Oberseite angewiesen, sagt Hannah Burger vom Lehrstuhl für Evolutionsökologie an der Uni Ulm. "Die brauchen im Normalfall einen Zugang direkt zum Mark."
Viele Wildbienen leben nur ein paar Wochen im Jahr als erwachsene Tiere. So wie die schwarzspornige Stängelmauerbiene, sie ist nicht mal einen Zentimeter lang, schmal und hauptsächlich schwarz. Sie kommt an Waldrändern, auf Streuobstwiesen und im Garten vor und lebt von Juni bis August. In der Zeit legt sie um die zehn Eier in einen Markstängel, zusammen mit dem Pollen von Kleeblüten zum Beispiel. Hannah Burger: "Das ist dann sozusagen die Babynahrung, und darauf legt sie das Ei. Und dann schließt sie die Zelle und die junge Biene entwickelt sich dann da drin." Um im nächsten Sommer zu schlüpfen. Damit die Wildbienen-Mütter auch den nötigen Pollen für ihre Brut finden, ist es natürlich auch wichtig, dass im Garten viele einheimische Wildpflanzen blühen und aussamen können.
Unordnung schafft Leben
Damit das alles funktioniert, müssen Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner Unordnung aushalten und jahrelanges Durchhaltevermögen beweisen. So wie Martin Döring. Er ersetzt die Stängel nach einigen Jahren, wenn sie der Länge nach ausfransen, und stellt sie noch ein Jahr lang auf die Seite an eine geschützte Stelle. Falls doch noch jemand drin wohnt.
In seinem Garten herrscht eine lebensbejahende Unaufgeräumtheit. "In der Regel sind wir ja nicht sehr vertraut damit. Soll ja schließlich aufgeräumt sein im Garten. Und dann schmeißt man dieses ganze alte, vertrocknete Zeug halt gleich weg und beseitigt auf die Art und Weise ein extrem wichtiges Kleinbiotop", so Döring. Doch ohne diese Ressourcen würden die Stängelbrüter nicht überleben, es gäbe keinen Ersatz dafür, so der Ökologe.
Dieser Artikel ist erstmals am 29.10.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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