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Der Vorsitzende Richter thront über dem Gerichtssaal, von ihm aus seitlich sitzen der Angeklagte und sein Verteidiger, auf der anderen Seite die Staatsanwaltschaft. Für viele ein Bild, dass man direkt im Kopf hat, wenn man über Gerichtsverfahren spricht. Bei manchen Prozessen, über die BR24 zuletzt berichtete, waren auf der Anklagebank aber mehrere Anwälte vertreten. Das fiel auch der Community auf.
So schrieb etwa eine Userin per E-Mail angesichts des Prozesses zum Manchinger Goldschatz: "Könntet ihr mal (Rückfragen bei Gericht) abklären, wie es denn sein kann, dass 4 Ganoven denn 8 Rechtsanwälte haben - werden diese 8 Rechtsanwälte von denen denn bezahlt?!? Von ‘1 Pflichtverteidiger’, den ein Täter bekommt, habe ich durchaus gehört, aber von 2 doch nicht…"
Es sind mehrere Verteidiger möglich
Niemand muss sich in einem Strafprozess selbst verteidigen. Zunächst einmal gibt es aber einen Unterschied zwischen den vom Angeklagten selbst bestellten Anwälten – diese heißen Wahlverteidiger – und den Pflichtverteidigern. Letztere werden einem Angeklagten von einem Gericht zugewiesen. Grundsätzlich gilt: Ein Strafverteidiger darf im selben Strafverfahren nicht mehr als einen Angeklagten vertreten.
Für Wahlverteidiger sieht die Strafprozessordnung (StPO) eine Maximalanzahl von drei Anwälten vor. Sollte ein Gericht der Auffassung sein, ein Fall bedürfe beispielsweise mehr als die drei Verteidiger für einen Angeklagten, kann es durch die Zuweisung von Pflichtverteidigern das Team des Angeklagten um zwei weitere Verteidiger aufstocken. Denn laut StPO (externer Link) ist es dem Gericht möglich, zwei Pflichtverteidiger zusätzlich zuzuordnen. Ein Team aus bis zu fünf Anwälten ist also möglich. Fälle, in denen ein Angeklagter keinen Wahlverteidiger hat, die StPO aber eine anwaltliche Vertretung vorschreibt, gehen direkt an Pflichtverteidiger.
Mitspracherecht auch bei Pflichtverteidigern
Professor Armin Engländer von der LMU in München erklärt, wann ein Gericht sich dafür entscheiden könnte, mehrere Verteidiger einzusetzen: "Das kann natürlich einmal schlicht die schiere Masse sein. Der Wirecard-Prozess ist dafür ein ganz exzellentes Beispiel, weil es eine unglaubliche Masse an Akten gibt." Ebenfalls besonders fordernd könne ein Verfahren sein, in dem es um Fragen geht, die "in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind oder bei denen es noch gar keine gerichtlichen, jedenfalls obergerichtlichen Entscheidungen gibt".
Der Professor für Strafprozessrecht erläutert zudem, dass nicht nur das Gericht, sondern auch der Angeklagten selbst gemeinsam mit seinem Verteidigerteam mehr Unterstützung beantragen kann. Der Angeklagte habe auch das Recht, eigene Vorschläge über mögliche Pflichtverteidiger bei Gericht einzureichen. Auf der anderen Seite könne aber auch das Gericht mehr Verteidiger anordnen, zum Beispiel wenn befürchtet wird, dass das Verfahren mit dem bestehenden Anwaltsteam nicht zu Ende gebracht werden könnte.
Kompetenzgerangel möglich
Prinzipiell haben alle Anwälte im Verteidigerteam die gleichen Rechte und Pflichten, eine Hierarchie besteht in der Theorie nicht. "In der Praxis läuft es üblicherweise ein bisschen anders", so Engländer. Wenn zum Beispiel mehrere Anwälte derselben Kanzlei an dem Fall arbeiten, gebe es meist eine interne Aufgabenverteilung. Gerade zwischen Wahl- und Pflichtverteidigern könne es aber auch zu Kompetenzgerangel kommen. Beispielhaft nennt der Jurist hier den NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe.
RAF-Prozesse als Grund für Obergrenze
Warum gibt es überhaupt eine Obergrenze für drei Wahlverteidiger, wenn doch auch Prozesse geführt werden, in denen die Gerichte selber die Notwendigkeit nach noch mehr Verteidigern sehen? Engländer sagt: "Wie gar nicht so wenige solcher Regelungen stammt das Ganze so aus den RAF-Prozessen oder allgemeiner aus den Terroristen-Prozessen. Man hat gesagt, wir haben hier schlechte Erfahrungen gemacht, wenn die Verteidigerteams zu groß sind. Weil das zu einer Gefahr führt, dass im Grunde das Verfahren verschleppt, verzögert oder vielleicht sogar ganz unmöglich gemacht wird."
Und: Auch Pflichtverteidiger sind nicht umsonst. Es greift Paragraf 465 der StPO. Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte zu tragen, wenn er verurteilt wird. Bei einem Freispruch hingegen trägt der Staat die Kosten.
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