Universitäten sollten eigentlich ein Raum für intelligente Diskussionen und die Auseinandersetzung mit Problemen und Herausforderungen unserer Zeit sein. Doch was jüdische Studierende derzeit an Universitäten in Deutschland erleben, ist weit weg von diesem Ideal. Für sie ist die Universität, speziell seit dem 7. Oktober, dem Tag des Angriffs der Hamas auf Israel, auch in Deutschland eher ein Ort der Angst geworden. Denn immer wieder gab es in den vergangenen Wochen Berichte über antisemitische Vorfälle an Deutschlands Hochschulen.
Jüdische Studierende kritisieren: "Wird alles in einen Topf geworfen"
Lena und ihrem Freund Fred, die beide Lehramt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der FAU, studieren und einer jüdischen Minderheit angehören, ist an ihrer Uni zwar noch "nichts Großes aufgefallen". Es sei relativ ruhig, sagt Lena. Absolut sicher fühlen sich die beiden in Deutschland trotzdem nicht. Geschehnisse an Universitäten in Nordrhein-Westfalen und Berlin, wie propalästinensische Demonstrationen und andere Aktionen mit spürbarem Antisemitismus, beunruhigen sie. Es werde "alles in einen Topf geworfen", gar nicht reflektiert, "und das ist natürlich schwierig, wenn jüdische Studierende an dieser Uni anfangen, ein bisschen Angst zu haben", beklagt Lena.
Antisemitische Vorfälle auch an der Universität Erlangen-Nürnberg
Ganz so ruhig, wie Lena es anfangs beschreibt, ist es an der FAU dann doch nicht. Als Jüdin spricht die Lehramtsstudentin auf Veranstaltungen und Demonstrationen, steht damit in der Öffentlichkeit. Das macht sie auch an der Uni angreifbar. Und das bekam sie auch jüngst zu spüren - ausgerechnet am Verhalten eines Kommilitonen. Der Mitstudent habe angefangen, die Shoa zu relativieren und zu sagen, Juden seien ihm egal, erzählt Lena. Sie habe versucht, sachlich zu bleiben, ihm zu sagen "hey, das, was Du sagst, ist antisemitisch…".
"Man fühlt sich machtlos, und ich kenne ganz viele Leute in meinem Alter, die jüdisch sind, die die Universitäten wegen solcher Vorfälle meiden, die sich die Notizen von anderen Kommilitoninnen geben lassen, weil sie sich in der Uni nicht sicher fühlen, weil man nicht weiß, wem läuft man über den Weg, wie ist der Dozent eingestellt, wer weiß denn überhaupt, dass ich jüdisch bin, wer folgt mir auf Instagram, wer weiß, was ich teile…", schildert sie die derzeitige Situation jüdischer Studierenden an deutschen Universitäten.
Doch nicht nur die junge Studentin wurde wegen ihrer jüdischen Abstammung an der FAU angefeindet. Auch die Antisemitismusbeauftragte, die die Nürnberger Uni als eine der ersten Universitäten in Deutschland schon lange vor dem Angriff der Hamas auf Israel eingesetzt hat, ist vor Kurzem Opfer einer Verleumdungsaktion geworden, bei der ihr Foto mit Hassparolen beschmiert wurde. An der FAU kam es außerdem seit dem Angriff auf Israel Anfang Oktober "zu Kommentaren und Äußerungen mit stark israelfeindlicher Ausrichtung im mittleren zweistelligen Bereich", wie die Universität dem BR auf Anfrage mitteilte.
Antisemitismusbeauftragter: Keine gefühlte Unsicherheit, sondern reale Bedrohung
Laut Patrick Nitzsche, Antisemitismusbeauftragter der Stadt Bamberg, sehen sich jüdische Studierende an deutschen Universitäten einer realen Bedrohung ausgesetzt. Es sei nicht nur eine gefühlte Unsicherheit. Nitzsche sieht aber Möglichkeiten, den Anfeindungen mit den richtigen Maßnahmen zu begegnen, nämlich, indem man "ganz klar definiert, wo Grenzen überschritten sind", sagt er im BR-Interview. "Das läuft zum Beispiel über eine Selbstverpflichtung der Universität als Kollektiv der Lehrenden und der Lernenden." Eine Ahndung mit der Konsequenz "bis hin zur Exmatrikulation oder zur Ruhe der Lehre" könne erfolgen, so der Antisemitismusbeauftragte über die mögliche Handhabung der Universitäten bei antisemitischem Verhalten von Studierenden oder Lehrbeauftragten.
Das jüdische Studentenpaar Lena und Fred sucht seinen eigenen Umgang mit der Situation. Ihre jüdischen Symbole, die Halskettchen mit den Davidsternen, wollen sie jedenfalls nicht ablegen. "Ich trage meinen jetzt seit elf Jahren und ich würde nicht auf die Idee kommen, ihn abzuziehen", sagt Fred.
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