"Es gibt auch positive Entwicklungen", sagt Martin Kaiser, Vorstand von Greenpeace Deutschland, kurz vor Beginn der Klimakonferenz in Dubai. So hätten beispielsweise einzelne Länder ihre Klimaziele verschärft. Aber auf der anderen Seite werde deutlich, wie die Welt auf einen Abgrund zurase, so Kaiser weiter.
Denn auf der Weltklimakonferenz COP28 wird eine weltweite Bilanz gezogen, die Daten dazu liegen bereits vor. Die Ergebnisse der "Globalen Bestandsaufnahme" (Global Stocktake) werden zum ersten Mal ausgewertet. Dieses Instrument wurde im Pariser Klimaabkommen beschlossen, um alle fünf Jahre zu überprüfen, wie nah die Vertragsstaaten dem Ziel des Abkommens inzwischen gekommen sind: die Erderwärmung auf allerhöchstens 2 Grad, möglichst aber 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.
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"Globale Bestandsaufnahme" greift zum ersten Mal
Im Jahr 2020 hatten die Vertragsstaaten erstmals ihre Pläne für das Erreichen der Klimaziele vorgelegt, in zwei Jahren steht die nächste Runde an. Die Bestandsaufnahme jetzt dient dazu, die Klimaschutzanstrengungen der Staaten anzupassen und nachzuschärfen.
Klar ist: Mit den aktuellen Plänen verfehlt die Welt die Ziele: "Das Problem ist, dass die Emissionen und die Ziele für 2030 vollkommen unzureichend sind", beschreibt Niklas Höhne vom New Climate Institute die Situation. "Wenn wir nur das machen, dann emittieren wir im Jahr 2030 immer noch doppelt so viel, wie wir für das 1,5-Grad-Ziel dürften."
Das New Climate Institute betreibt mit anderen internationalen Experten den Climate Action Tracker. Er berechnet, wie erfolgreich die aktuellen Klimaschutzzusagen der einzelnen Länder die Erwärmung im 21. Jahrhundert bremsen können. Die Vertragsstaaten müssten ihre Zusagen schon jetzt erhöhen, so Höhne. Nicht erst, wenn sie in zwei Jahren ihre Ziele für 2035 vorlegen sollen, dann sei es zu spät. Das hatte auch die letzte Klimakonferenz in Ägypten bekräftigt, aber seitdem haben nur neun Länder ihre Zusagen erhöht.
"Jedes Zehntelgrad zählt"
Auch Martin Kaiser weist auf die prekäre Ausgangslage hin. Noch immer würden die Emissionen weiter steigen und die Folgen seien deutlich zu spüren: "Wir stehen aktuell bei 1,2 Grad Erwärmung global und haben es schon mit verheerenden Wetterextremen zu tun. Nicht auszudenken, wie es weitergeht, wenn nicht massiv umgesteuert wird."
So könne es Verteilungskriege zwischen Arm und Reich geben, es drohe Migration in vielen Ländern, sagt Kaiser. Studentin Alina Reize nimmt für die BUNDjugend online an der Konferenz teil. Sie ist auch Delegierte von Fridays for Future Fürstenfeldbruck. Sie wirbt dafür, sich nicht entmutigen zu lassen, "denn jedes Zehntelgrad zählt und ist entscheidend, wenn es darum geht, die Folgen der Klimakrise einzudämmen".
Abschied vom fossilen Zeitalter
Als wichtiges Ziel für die Klimakonferenz definieren Klimaökonomen wie Niklas Höhne genauso wie NGO-Vertreter Martin Kaiser und Alina Reize: eine klare Entscheidung gegen neue Investitionen in fossile Infrastruktur. Anders sei das 1,5 Grad-Ziel nicht zu erreichen. Außerdem müsse der schrittweise Abbau und Ausstieg aus den fossilen Energieträgern eingeleitet werden.
"Das ist aber nicht das, was der COP-Präsident Ahmed Al Jaber will", so Kaiser. Er kritisiert damit, dass der Präsident der diesjährigen UN-Klimakonferenz gleichzeitig Chef des Nationalen Ölkonzerns ADNOC ist. Einige ölproduzierende Länder wollen statt des Ausstiegs aus den fossilen Energien nur den Ausstieg aus den fossilen Emissionen, etwa indem das CO₂, das bei der Verbrennung von Kohle oder Gas entsteht, aus den Abgasen abgeschieden und unterirdisch gespeichert wird. CCS heißt die Technologie, Carbon Capture and Storage: "Das wäre aus meiner Sicht ein Fehler, ein großer Fehler", sagt Niklas Höhne, "das sind falsche Lösungen, die das Leben der fossilen Energien verlängern".
Kritik: Präsident der COP steht Ölindustrie nahe
Für Martin Kaiser von Greenpeace stellt sich bei der Klimakonferenz in Dubai auch die Frage, auf welcher Seite der Konferenzpräsident steht: "Auf der Seite von Milliarden von Menschen, die massiv unter der Klimakrise leiden, oder auf der Seite der Business-Interessen des eigenen Konzerns, von dem er bezahlt wird?"
Wobei nicht alle das so kritisch sehen. Lambert Schneider vom Öko-Institut, der in Dubai die EU-Delegation berät und schon bei vielen Klimagipfeln dabei war, sagt, ein Präsident wie Al Jaber könne auch eine Chance sein: "Er will natürlich etwas liefern. Und manchmal passiert es ja, dass gerade die Kräfte, von denen man es nicht erwartet, wenn die sich bewegen, dass dann eher etwas möglich ist."
Ziele für Methan, Lachgas und andere Treibhausgase
Um die Klimaziele nachzuschärfen, setzt Lambert Schneider unter anderem darauf, dass sich die Staaten auf konkrete Einzelziele einigen können, zum Beispiel auf Ziele für Methan, für Lachgas, oder auch für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Und man so dem großen Ziel Schritt für Schritt näherkomme.
Für NGO-Vertreter wie Alina Reize von Fridays for Future aber wären klare Signale in Sachen Kohle, Öl und Gas entscheidend: Deutschland dürfe nicht weiter Geld in fossile Investitionen stecken, so die Studentin weiter. "Als siebtgrößter weltweiter Finanzierer von fossiler Infrastruktur trägt die Bundesrepublik eine große Verantwortung."
Globaler Klimafonds und Zahlungen für Schäden und Verluste
Außer der globalen Bestandsaufnahme und der Debatte um den Ausstieg aus fossilen Rohstoffen wird Geld ein großes Thema sein auf der Klimakonferenz. Zum einen geht es darum, den Grünen Klimafonds abzusichern und für die Zukunft auf eine solide Basis zu stellen. 100 Milliarden Dollar pro Jahr sollen die Industrieländer darin bereitstellen, damit Entwicklungs- und Schwellenländer Klimaschutzmaßnahmen finanzieren können.
"Es geht um die 'Most affected people', die Menschen, die am meisten unter dem Klimawandel leiden", erklärt Alina Reize. "Das ist auch ein ganz großer Punkt von historischer Verantwortung, dass Länder, die historisch gesehen sehr viel ausgestoßen haben, mehr in diesen Fonds einzahlen."
Große CO₂-Emittenten sollen zahlen
Im Jahr 2023 sind zum ersten Mal endlich genügend Zusagen zusammengekommen, um das 100 Mrd.-Ziel zu erreichen. Allerdings fehlen die Einzahlungen aus den letzten Jahren und auch langfristig sei der Fonds damit noch lange nicht gesichert. "Ich hoffe sehr, dass Deutschland da mit gutem Beispiel vorangeht", sagt Alina Reize.
Dazu kommt das Thema Schäden und Verluste: Bei der Klimakonferenz in Ägypten wurde vereinbart, dass die Länder, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden, zusätzliche finanzielle Hilfen bekommen sollen, um diese Schäden zu lindern. Zahlen sollen die großen CO₂-Emittenten. Viele Details dazu sind allerdings noch nicht geregelt. "Das wird politisch ein sehr großes Thema sein, dass dieser Fonds eingesetzt wird", sagt Lambert Schneider.
Das ist die Europäische Perspektive auf dem Weltklimagipfel COP28 bei BR24.
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