Hassrede, Hate Speech, zwei Worte, die ein globales Phänomen beschreiben. Hass, das ist ein starkes Wort, aber Hass zu erkennen ist nicht immer leicht. Gerade Lehrer stehen dabei vor einem Problem. "Viele Lehrkräfte fühlen sich unsicher, wenn sie gewisse Verhaltensweisen bei ihren Schülern beobachten", berichtet der Erziehungswissenschaftler Sebastian Wachs. "Ist das jetzt Hate Speech, wollen sie sich gegenseitig fertig machen? Oder ist das eher so eine jugendtypische Sprachnorm, die wir als Erwachsene als Beleidigung wahrnehmen, die aber unter den SchülerInnen als spaßhaft oder nicht so negativ wahrgenommen wird?"
- Zum Artikel: Wie wir bei BR24 mit Hasskommentaren umgehen
Derbe Jugendsprache ist Teil der Lebenswelt der Heranwachsenden. Grenzen austesten, seinen Platz in der Gesellschaft finden, dabei kann ein junger Mensch auch mal ein bisschen zu weit gehen. Aber genau deshalb ist die Schule ein wichtiger Ort, um für das Thema zu sensibilisieren, denn das Verhalten und das Weltbild der Jugendlichen ist noch nicht gefestigt. Gleichzeitig ist die Schule ein Ort, an dem sich Hassrede immer wieder beobachten lässt.
Hassrede nicht nur ein Online-Phänomen
"Es trifft am häufigsten Schüler:innen mit einer sexuellen Orientierung, die von der Norm abweicht, gefolgt von Schüler:innen, die eine andere Herkunft haben", sagt Wachs, der an der Uni Münster zu den Themen Hassrede und Onlinerisiken forscht. Dabei weist er darauf hin, dass das Phänomen nicht nur in der digitalen Welt, in den Sozialen Medien vorkomme. Auch auf dem Pausenhof und im Klassenzimmer kann sich sprachliche Gewalt gegenüber anderen direkt entladen.
Den Lehrern kommt eine große Verantwortung zu. Doch neben der beschriebenen Herausforderung, Hassrede zu erkennen, gibt es noch weitere Gründe, warum sie im Schulalltag oft nicht thematisiert wird. Zwar gebe es viele Lehrkräfte, die da sehr engagiert seien, so Wachs. In Befragungen habe sich aber gezeigt, dass oft nicht die Zeit bleibt, neben dem Bildungsauftrag – also dem, was der Lehrplan an Wissensvermittlung vorgibt – auch noch sensible und schwierige Themen wie Hate Speech zu bearbeiten. Zudem fühlten sich manche Lehrkräfte gerade für die Onlinewelt, in der sich ihre Schülerinnen und Schüler bewegen, nicht zuständig.
Viele Jugendliche von Hassrede betroffen
In einer der wenigen repräsentativen Studien über die Verbreitung von Hassrede haben Sebastian Wachs und seine Kolleginnen und Kollegen knapp 1.900 Jugendliche befragt. Mehr als die Hälfte von ihnen gab an, innerhalb eines Jahres Hate Speech im Internet wahrgenommen zu haben. Ein Fünftel fühlte sich selbst als Ziel von Hassrede, und 13 Prozent gaben an, selbst Online-Hass verbreitet zu haben.
Die Weltbildungsorganisation Unesco hat ebenfalls Zahlen erheben lassen. Dabei wurden zwar nicht gezielt Heranwachsende abgefragt, aber in 15 von 16 untersuchten Staaten von Belgien bis Bangladesch gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, oft oder sehr oft auf Hassrede im Internet zu stoßen. Einzige Ausnahme war Österreich.
Krieg in den Köpfen
"Wenn der Krieg in den Köpfen der Menschen entsteht, dann muss auch der Frieden in den Köpfen der Menschen entstehen", beschreibt Roman Luckscheiter, Generalsekretär der Unesco in Deutschland, den Gründungsgedanken der Organisation im Jahr 1945. Bildung sei dabei ein wichtiges Instrument; und so sieht auch die Unesco die Schulen in einer Schlüsselrolle beim Kampf gegen Hass im Netz und in der realen Welt.
"In der Schule ist die konzentrierte Atmosphäre gegeben, wo man sich über den eigenen Platz in der Gesellschaft verständigen kann, wo man verstehen kann, wie die Bezüge zwischen individuell erfahrenem Hass und gesellschaftlichem Zusammenhalt, wo Diskriminierung und Gewalt thematisiert werden kann", so Luckscheiter. Viele nichtstaatliche Organisationen würden sich in dem Bereich engagieren. Auch die Unesco selbst stelle immer wieder gute Beispiele vor, darunter ein Projekt aus den Niederlanden, bei dem junge Menschen ihre Erfahrungen in Sozialen Medien in kurzen Filmen verarbeiten, die wiederum von Lehrkräften an den Schulen aufgegriffen werden können.
Hilfe für Lehrer und Lehrerinnen
Zum Welttag der Bildung am 24. Januar organisiert die Unesco zudem einen Workshop. Mehrere tausend Lehrerinnen und Lehrer treffen sich online, um sich über Hassrede zu informieren und zu erarbeiten, wie sie damit in den Klassenzimmern umgehen können. Weltweit gesehen zwar ein Tropfen auf den heißen Stein, aber die Unesco setzt auf den Multiplikatoreffekt: Die Teilnehmer sollen ihre Erkenntnisse an Kolleginnen und Kollegen in aller Welt weitertragen.
Die bayerische Staatsregierung verweist im Kampf gegen Hassrede darauf, wie wichtig Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen ist, um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden und auch dort ein friedliches Miteinander zu pflegen. Für Lehrkräfte wie auch für Schülerinnen und Schüler gebe es eine Reihe von Ansprechpersonen, angefangen bei den Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz bis hin zu den erst vor wenigen Jahren etablierten Schulsozialpädagogen.
Deutschlandweit engagiert sich Sebastian Wachs im Projekt Hateless: Darin stellen Erziehungswissenschaftler den Lehrerinnen und Lehrern Anleitungen für eine fünftägige Projektwoche bereit, in denen sie das Thema Hate Speech mit den Jugendlichen erarbeiten – und im besten Fall lernen die Lehrkräfte dabei auch selbst, wie sie künftig mit Hassrede an der Schule umgehen können.
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