Die Lokführergewerkschaft GDL hat trotz breiter Kritik ihren bisher längsten Bahnstreik im laufenden Tarifkonflikt begonnen. Seit Dienstagabend stehen die meisten Züge der Frachtsparte DB Cargo still, seit Mittwochfrüh auch im Personenverkehr. Bis Montagabend soll der Ausstand dauern. Fast sechs Tage lang müssen sich Fahrgäste und auch die Wirtschaft auf weitreichende Einschränkungen im Fern-, Regional- und Güterverkehr einstellen.
Dass es der letzte Arbeitskampf im aktuellen Tarifkonflikt ist, gilt zudem als unwahrscheinlich. Zu unversöhnlich ist derzeit der Ton zwischen der Bahn und der GDL, zu weit auseinander liegen ihre Positionen. Die Rufe nach einem Schlichtungsverfahren werden deshalb lauter.
Streit um Arbeitszeit prägt den Konflikt
Die GDL hatte zuletzt ein Kompromissangebot der Bahn als nicht verhandelbar zurückgewiesen. Darin hatte das Unternehmen am Freitag erstmals Bereitschaft bekundet, über ein Wahlmodell zur von der Gewerkschaft verlangten Arbeitszeitreduzierung um eine Wochenstunde ab 2026 zu sprechen. Die GDL reagierte mit der Streikankündigung und erklärte, der Konzern habe sein bisheriges Angebot nur "vermeintlich" verbessert.
Das vorgeschlagene Wahlmodell sei ein "Etikettenschwindel": Die Arbeitnehmer müssten für die eine Arbeitsstunde weniger pro Woche ab 2026 auf eine Gehaltserhöhung verzichten. Auch gelte das Angebot nur für das Fahrpersonal, nicht für andere Arbeitnehmer im Schichtdienst, und auch nur "wenn es betrieblich darstellbar ist".
Bahn lehnt GDL-Einigungsvorschlag ab
Die Bahn lehnte wiederum ein neues Verhandlungsangebot der GDL ab, in dem es erneut um die Absenkung der Arbeitszeit für Beschäftigte im Schichtbetrieb ging: Vor allem Lokführer und Zugbegleiter sind in der GDL organisiert. Ihre Wochenarbeitszeit soll nach den Vorstellungen der GDL von 38 auf 35 Stunden sinken, ohne dass sie auf Geld verzichten müssen.
Diese Forderungen konkretisierte die Gewerkschaft nochmals in einem Schreiben an die Deutsche Bahn unter Verweis auf Tarifvereinbarungen mit 18 kleineren Verkehrsanbietern. "Die Vorschläge orientieren sich an den Tarifabschlüssen, die wir in den vergangenen Wochen mit unseren Tarifpartnern erzielen konnten", heißt es in dem Schreiben. Die Arbeitszeitreduzierung soll demnach ab 2025 stufenweise umgesetzt werden, der letzte Schritt soll zum 1. Januar 2028 erfolgen.
Nach BR-Informationen hatte die GDL der Bahn in Aussicht gestellt, den Streik auszusetzen, wenn sich die Bahn grundsätzlich auf das Angebot einlasse und zu Verhandlungen bereit sei.
Bahn: "Wiederholung altbekannter Maximalforderungen"
Die Bahn wies die Vorschläge der GDL als Grundlage für weitere Verhandlungen zurück. Es handele sich lediglich um die "Wiederholung altbekannter Maximalforderungen", sagte eine Sprecherin am Mittwochmorgen, die geforderte Arbeitszeitverkürzung sei angesichts des Fachkräftemangels nicht darstellbar.
Der Verweis der GDL auf andere Tarifabschlüsse sei ein nur "PR-Gag", da diese Tarifeinigungen jeweils eine Vorbehaltsklausel enthielten, wonach die Unternehmen bei der Arbeitszeitreduzierung nachverhandeln können, sollte beim Branchenführer DB nicht Ähnliches vereinbart werden.
Die GDL pocht außerdem auf weitere Punkte, über die die Bahn bislang grundsätzlich nicht reden will, darunter eine Ausweitung der Tarifzuständigkeit auf weitere Bereiche, wo die konkurrierende und weit größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) bislang die Verträge verhandelt. Die Bahn verweist hier auf das Tarifeinheitsgesetz.
GDL: "Wiederholende Ablehnung aller Forderungen"
"Was die Deutsche Bahn AG macht, ist nichts anders als die wiederholende Ablehnung aller Forderungen", kritisierte daraufhin GDL-Chef Claus Weselsky im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF. Die Bahn bewege sich nur millimeterweise. Auf die Frage, wann die Gewerkschaft wieder verhandeln werde, sagte der Gewerkschafter: "Sobald die Deutsche Bahn vom hohen Ross herunterkommt."
Weselsky verteidigte den Arbeitskampf als "verhältnismäßig". Das Bahn-Management sei hingegen "beratungsresistent", daher müsse seine Gewerkschaft "länger und auch härter streiken", sagte er. Die Verhandlungsergebnisse mit anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen seien eine "mögliche Kompromisslinie", die Bahn gehe darauf jedoch nicht ein. Eine Einigung und damit ein vorzeitiges Streikende schloss Weselsky daher aus.
Verkehrsminister Wissing fordert Schlichtung
Angesichts dieser verfahrenen Situation hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) die GDL aufgefordert, über eine Schlichtung mit einem externen Vermittler zu einer Lösung zu kommen. Im Deutschlandfunk ließ Wissing durchblicken, dass er vor allem die Gewerkschaft für die Zuspitzung im Tarifkonflikt verantwortlich macht.
Er erwarte von der GDL, dass sie Verantwortung übernehme und an den Verhandlungstisch komme, sagte Wissing: "Und wenn das so festgefahren ist, dass man offensichtlich nicht mehr miteinander reden kann, dann brauchen wir dringend eine Mediation oder ein Schlichtungsverfahren." Allerdings schätzt auch der Minister die Chancen für eine Schlichtung derzeit als gering ein, da die GDL ein solches Verfahren bisher ablehnt.
Allianz pro Schiene für "verbales Abrüsten"
Dennoch sprach sich neben Wissing sprach auch der Interessenverband Allianz pro Schiene, in dem die GDL Mitglied ist, der aber auch von der Bahn unterstützt wird, für eine Schlichtung aus. Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege kritisierte zudem das Vorgehen der Arbeitnehmerseite. "Die häufigen und zunehmend längeren Streiks auf der Schiene sind Querschüsse für die Verkehrswende", teilte Flege mit. Sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Reisenden werde "Vertrauen zerstört", er wünsche sich ein verbales Abrüsten und ein Vermittlungsverfahren.
Fahrgastverband Pro Bahn schlägt Schlichter vor
Auch der Fahrgastverband Pro Bahn schloss sich den Rufen nach einem Schlichtungsverfahren an. Verbandschef Detlef Neuß schlug dafür den früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) vor. Dieser habe bereits mehrmals zwischen GDL und DB vermittelt, sagte Neuß der "Rheinischen Post". Schon gestern hatte Neuß, die Streikankündigung der GDL kritisiert. "Angesichts dieser sechs Tage muss man sich wirklich fragen, ob die GDL noch angemessen agiert", erklärte er.
Debatte um Reform des Streikrechts
Der Wirtschaftsbeirat Bayern forderte die GDL ebenfalls auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und brachte zudem eine Reform des Streikrechts ins Gespräch. "Zentrale Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie auch die Grundversorgung an Mobilität dürfen nicht eine Woche lang flächendeckend lahmgelegt werden", sagte die Präsidentin und CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler. Vor großen Streiks müssten Schlichtungsgespräche Pflicht werden, ein Arbeitskampf dürfe nur das letzte Mittel sein.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Rufe aus den Reihen der Unionsparteien nach Änderungen am Streikrecht zurückgewiesen, rief die Bahnmitarbeiter aber dazu auf, ihre Rechte maßvoll einzusetzen. Arbeitskämpfe zu führen, gehöre zu den Freiheiten, "die in unserem Grundgesetz so fest geregelt sind, dass sie nicht einfach abgeschafft werden können - auch nicht durch Gesetze", sagte Scholz in Berlin. Das halte aber "niemanden davon ab, von seinen Möglichkeiten und seinen Rechten immer mit klugem Maß Gebrauch zu machen. Und das ist mein Appell".
Wirtschaft fürchtet große Schäden
In der Tat befürchtet die deutsche Wirtschaft schwere Auswirkungen des GDL-Streiks. Der europäische Güterverkehr über die Alpen, Polen oder nach Skandinavien sowie die Seehäfen in Holland oder Belgien seien betroffen, teilte die Bahn mit. Bereits vor dem Streik sei ein deutlicher Mengenrückgang registriert worden, weil viele Kunden Transporte abbestellt hätten.
Unternehmen drohten deshalb harte Einschränkungen bis hin zu einzelnen Produktionsausfällen, Drosselungen und Stillständen in der Industrie, sagte Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie: "Bei einem sechstägigen Streik ist eine Schadenshöhe von insgesamt bis zu einer Milliarde Euro nicht unrealistisch." Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte im Gespräch mit den Zeitungen der Mediengruppe Bayern vor "massiven Folgen für den Güterverkehr und die Wirtschaft".
Notfahrplan "stabil angelaufen"
Im Personenverkehr der Bahn bleibt den Fahrgästen vorerst nur die Hoffnung auf den Notfahrplan der DB. Dieser sei am Mittwochmorgen "stabil angelaufen", teilte die Bahn mit. Der Fahrplan soll ein stark reduziertes, aber verlässliches Angebot bereitstellen. Im Fernverkehr solle rund jeder fünfte Zug fahren, teilte die Bahn mit. Neben dem Fernverkehr ist auch der Regional- und S-Bahnverkehr stark beeinträchtigt, auch wegen des größeren Marktanteils privater Unternehmen gibt es hier regional aber große Unterschiede.
Die Bahn riet dazu, gewählte Verbindungen 24 Stunden vor Fahrtantritt zu überprüfen und für Fernzüge Sitzplatzreservierungen zu buchen. Fahrgäste können sich auch über die Internetseite der Bahn oder die App "DB-Navigator" über ihre Fahrt informieren. Zudem hat die Bahn eine Info-Rufnummer eingerichtet. Für gebuchte Fahrten während des Streikzeitraums ist die Zugbindung aufgehoben. Kundinnen und Kunden können ihre Reisen somit auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Massive Auswirkungen auch in Bayern
Auch in Bayern hat der GDL-Streik einen großen Teil des Zugverkehrs zum Erliegen gebracht. Im Allgäu, im Mittelfranken, in Mainfranken und in Nordostbayern fielen Regionalbahn- und Regionalexpresszüge auf mehr als 20 Strecken komplett aus, auf vielen anderen fuhren Züge nur vereinzelt oder über den Notfahrplan im Vier-Stunden-Takt.
Der Streik trifft auch Bahnunternehmen, die gar nicht direkt bestreikt werden. In einigen Stellwerken der DB Netz schlossen sich in der GDL organisierte Mitarbeiter dem Streikaufruf an. Bei Go-Ahead traf es wie schon in den vorangegangenen Tarifrunden wieder das Allgäunetz: "Die Stellwerke in Mindelheim und Memmingen werden bestreikt", teilte Go-Ahead mit. Für die Strecke zwischen Lindau und Buchloe wurde bis Montag ein Bus-Ersatzverkehr eingerichtet.
Bei der Bayerischen Regionalbahn kam es am Mittwoch auf den Linien Augsburg - Füssen, München - Füssen und Buchloe - Füssen zu Ausfällen. Zwischen Buchloe und Füssen wurde ein Pendelbus eingerichtet.
Längster GDL-Streik
Der Ausstand auf der Schiene soll bis Montagabend um 18.00 Uhr andauern. Mit Einschränkungen ist auch danach noch zu rechnen. Der vierte Arbeitskampf der GDL im laufenden Tarifstreit mit dem bundeseigenen Konzern sei "der längste in der Geschichte der Deutschen Bahn", sagte eine Bahn-Sprecherin. 136 Stunden soll er im Personenverkehr andauern, 144 Stunden im Güterverkehr. Der Streik umfasst erstmals im aktuellen Konflikt auch ein komplettes Wochenende.
- Aktuelle Informationen zum Bahnstreik im Newsticker
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Tag Zwei im Streik-Marathon
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